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Offener Brief von Pro­fes­so­r*in­nenGegen Judenhass und Israel-Boykott

Zahlreiche Dozierende sprechen sich gegen Antisemitismus an Unis aus. Auch eine kürzlich geschasste Bildungs-Staatssekretärin hat unterschrieben.

Spricht sich gegen Antisemitismus an Unis aus: Prof. Dr. Sabine Döring Foto: Jürgen Heinrich/imago

Berlin taz | Zahlreiche deutsche Pro­fes­so­r*in­nen sprechen sich in einem offenen Brief gegen Antisemitismus und die Forderung aus, israelische Unis und Forschungseinrichtungen zu boykottieren. Unterzeichnet haben den Aufruf etwa der Soziologe Armin Nassehi, der Politikwissenschaftler Carlo Masala, aber auch die kürzlich als Staatssekretärin im Bildungsministerium geschasste Philosophieprofessorin Sabine Döring. Hintergrund sind propalästinensische Demos und antisemitische Vorfälle an den Unis seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem anschließenden Beginn des Gaza-Krieges.

In dem offenen Brief heißt es zu Boykottforderungen gegen Israel, man lehne solche „Formen der Ausgrenzung“ klar ab und setze sich „weiterhin für die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen an israelischen Universitäten oder Forschenden mit israelischer Staatsangehörigkeit ein.“

Unter anderem die umstrittene Bewegung „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) fordert, Israel zu isolieren. Obwohl BDS immer wieder auch des Antisemitismus verdächtigt wird, haben zahlreiche Universitäten im europäischen Ausland mittlerweile ihre Verbindungen nach Israel gekappt. An US- und deutschen Unis konnte BDS dagegen bisher kaum Erfolge erringen.

Die Pro­fes­so­r*in­nen erklären in ihrem offenen Brief außerdem, „alles in unserer Macht Stehende“ dafür tun zu wollen, dass Ju­den*­Jü­din­nen „unversehrt und sicher an unseren Einrichtungen studieren und arbeiten können“. Antisemitismus gehöre an den Unis und Hochschulen „geächtet und geahndet“.

Bisher ist das Gegenteil der Fall: Jüdische Studierende berichten von einem Klima der Angst und der Ausgrenzung an den Unis, immer wieder kommt es auch zu Gewalt gegen Juden*Jüdinnen. Im Februar griff etwa ein propalästinensischer Student der Freien Universität Berlin einen jüdischen Kommilitonen an und verprügelte ihn so heftig, dass dieser mit mehreren Brüchen ins Krankenhaus musste.

Die Pro­fes­so­r*in­nen verurteilen in ihrem offenen Brief aber neben Antisemitismus auch „jegliche Form von Gewalt und Verwüstungen in Universitätsgebäuden aufs Schärfste.“ Damit zielen die Pro­fes­so­r*in­nen wohl auf die propalästinensische Demos, Protestcamps und Besetzungen von Uni-Gebäuden, um die es seit dem Frühjahr immer wieder Streit gibt.

Kri­ti­ke­r*in­nen verweisen darauf, dass bei den Protesten oft antisemitische Parolen zu hören sind, Israel werde zudem das Existenzrecht abgesprochen und Ju­den*­Jü­din­nen würden bedroht. Be­für­wor­te­r*in­nen argumentieren dagegen mit Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der besonderen Bedeutung von Universitäten als Orten der öffentlichen Diskussion.

Interessant ist nicht nur, dass dieses Thema im offenen Brief lediglich indirekt angesprochen wird, sondern auch, dass mit Sabine Döring eine Person unterschrieben hat, die bis vor kurzem politisch damit befasst war. Als Staatssekretärin unter Ministerin Bettina Stark-Watzinger ließ sie prüfen, ob Dozierenden Fördergelder gestrichen werden können, weil sie sich für einen nachsichtigeren Umgang mit propalästinensischen Studierenden ausgesprochen hatten. Die Veröffentlichung des Mailverkehrs zu dem Prüfantrag sorgte im Mai für einen Skandal. Stark-Watzinger versetzte Döring daraufhin in den einstweiligen Ruhestand.

Aktualisiert und ergänzt am 02.07.2024. 16:35 Uhr. d. R.

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23 Kommentare

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  • Moderation , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Ein Boycott gegen ein Land welches nachweisbar Kriegsverbrechen begeht und wegen Völkermord von wer weiß wie vielen Ländern angeklagt wird.



    Man darf auch nicht vergessen das viele Importierte Produkte aus der Westbank stammen, von Siedlern die sich dort illegal niedergelassen haben.



    Es ist nicht Antisemitisch wenn man keine Gestohlenen Früchte abkaufen will.

    Solche Boykotts sind absolut normal und legitim und nichts besonderes.

  • Danke für den klaren, dabei unaufgeregten Brief. Er zeigt auch, wie man Solidarität üben kann, ohne andere abzuwerten.

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Nie wieder ist jetzt. Hic Rhodus, hic salta. Der Antisemitismus auf dem Campus und in der Gesellschaft überhaupt muss in Wort und Tat bekämpft werden.

  • In Israel protestieren zur Zeit Tausende von Juden gegen die zionistische Politik Israels, währen Israel immer mehr Gebiet im Westjordanland annektiert.. ich würde mir hier zum Beispiel einen Artikel von Hanno Hauenstein wünschen.. aber wesentlich ist das Juden nicht mit Staat Israel gleichgesetzt werden — es ist kein Antisemitismus den Staat Israel zu kritisieren

  • Betr. Universitäten, Stätten der Meinungs- u. Versammlungsfreiheit...

    Meines Wissens wurden pro-palästinensische Protestcamps auf Universitätsgeländen nie "mal einfach so" ohne Grund geräumt. Geräumt oder aufgelöst wurden solche Camps weil es gesetzl. Verstöße gab. Z. B. allein schon deshalb, weil es über einen gesondert zu betrachtenden zivilen Ungehorsam hinaus geht, wenn bestzte Räume zerstört, masiv beschädigt werden. Wenn verbotene Symbole "gemalt" werden. Wenn Sympathien mit terroristischen Organisationen geäußert werden.

    In Hamburg, quasi neben der Moorweide am Dammtor, dem Abtransport der Juden in die Vernichtungslager, steht das Protestcamp bis heute. Sehr nahe der Universität. Ich besuche das nicht aber wer will der kann und darf. Am 30. Juni sollte das Camp beendet sein. Auch das findet jetzt Kritik. Siehe Hamburger Morgenpost:

    www.mopo.de/hambur...a-camp-am-dammtor/

    Aber es wird eben nicht so "einfach mal so geräumt.



    Weil DAS eben auch zu Recht nicht sein dürfte. Solange Regeln eingehalten werden.

    • @Moon:

      Vielleicht finden Uiguren den Abtransport in Lager auch nicht gut, und Palästinenser ihren durch Fluchtkorridore auch nicht. Usw. usw.



      Bei aller Besonderheit von damals reden wir hierbei doch von heute.

      Lassen wir Netanyahu nicht den billigen Trick, einfach ablenken zu können. Verurteilen wir Hamas _und Netanyahu, das geht beides.

    • @Moon:

      Die rechtliche Grundlage der Räumung der FU war, dass die Uni von ihren Hausrecht Gebrauch machte. Das darf sie natürlich. Aber das heißt im Umkehrschluss halt auch, dass die Proteste geräumt werden können, weil sie dort unerwünscht sind. Dass sie dort errichtet werden, obwohl sie unerwünscht sind, würde ich schon eher als ziviler Ungehorsam bezeichnen. Als die Räumung angeordnet wurde, war nichts vorgefallen, das über das bloße Errichten des Protestcamps hinausging. Möglich war es, weil es auf Unigelände errichtet wurde und die Uni deshalb entscheiden konnte, es räumen zu lassen. Wenn heute fünf Leute entscheiden, vor der Tür des Springerverlags Plakate hochzuhalten, können sie ebenso geräumt werden. Das heißt nicht, dass die Betreffenden etwas Schlimmes gemacht haben. Mein Punkt ist: Dass geräumt wurde, belegt nicht, dass etwas zerstört wurde, es Gewalt o.Ä. gab. Das heißt nicht, dass das an der HU -nach dem offenen Brief!! - nicht passierte oder dass das okay wäre. Aber ein Polizeieinsatz beweist nicht, dass die Proteste problematisch sind. Das können sie sein, das sollte man dann aber anders begründen.

  • Sehr beruhigend, dass die Akademikerschaft nicht komplett der Hamas und ihren Freunden folgt.

    • @vieldenker:

      Wie gesagt, ob ein Boykott israelischer Hochschulen zielführend ist, bezweifle ich. Wirtschaftlicher gezielter Druck auf Unternehmen, die von der militärischen Dauer-Besatzung getrieben sind, das wäre schon eher nachvollziehbar.

      Kritik an Netanyahus Handeln muss nicht heißen, die Hamas zu unterstützen - außer man könnte nur binär denken.

      Es sind Netanyahu wie Hamas ja sogar einig, dass sie die Unterscheidung zwischen Jude und Israel mit allen Kräften verwischen wollen, zu jeweils eigennützigen Zwecken.



      Das müssen wir nicht mitmachen.

  • Gab es jemals einen Aufruf, wegen des Genozids an den Uighuren alle akademischen Kooperationen mit China einzustellen?

    Eben.

    • @Suryo:

      Meines Wissens nicht. Aber gibt es massive Proteste oder Empörung dagegen, dass Sanktionen die akademische Zusammenarbeit mit Russland extrem beeinträchtigt? Oder wurde gefordert, auch China zu sanktionieren als gegen Russland Sanktionen verhängt wurden? Auch dort trifft es sicher auch unpolitische oder Putin-kritische Wissenschaftler*innen. Klar, das eine sind staatliche Sanktionen, das andere sind Boykotts einzelner Universitäten. Aber das ist in meinen Augen kein grundlegender Unterschied. Man kann argumentieren, dass die beiden Fälle sich grundlegend unterscheiden (Angriffskrieg Vs. Reaktion auf Massaker). Aber das ist eine andere Ebene. Grundsätzlich ist das Aussetzen von Kooperation ein valides Druckmittelv- auf nationaler und institutioneller Ebene. Das sollte prinzipiell auch für Israel gelten. Ob es hilfreich und aktuell gerechtfertigt ist, ist eine andere Frage.

  • "Be­für­wor­te­r*in­nen argumentieren dagegen mit Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der besonderen Bedeutung von Universitäten als Orten der öffentlichen Diskussion."

    Wenn die Sudis tatsächlich diskutieren wollten, würde ja niemand etwas sagen. Stattdessen werden unverhandelbare (!) Forderungen verkündet. Dass die sich mit Organisationen solidarisieren, die das Hamas Massaker unterstützen, kommt oben drauf.

  • Ich bin kein Prof. Würde diesen Brief auch unterschreiben, als einer, der in der DDR aktiv in Aktion sühnezeichen war.

  • Können wir so langsam mal wieder sauber unterscheiden zwischen Juden und Israelis - ist doch echt nicht schwer.

    Die meisten Juden sind keine Israelis und leben auch nicht dort. Israelis können Juden, Atheisten, Christen, Muslime, Drusen, ... sein.

    D.h. trennen wir Kritik am Handeln des Staates Israel (nachvollziehbar durch: Besatzung, Ungleichheit, Vertreibung) von Antisemitismus (nicht nachvollziehbar; gegen "die Juden").

    Ob man Israels Hochschulen boykottieren sollte, darüber lässt sich reden. Ich finde dabei, gerade bei Kunst, Kultur und Bildung lohnt sich die Kommunikation besonders.

    Während man Organisationen, Firmen und Farmer im besetzten Gebiet wohl boykottieren sollte, damit es die dort hingezogenen Radikalen kapieren, dass es nicht nur um sie geht, sondern um die dortigen Palästinenser!

    • @Janix:

      Wer ist "wir"? Natürlich KANN man so messerscharf differenzieren. Aber selbst Jene, die das tun, haben vielfach ein Problem damit, ihre Aktionen merklich denen derer abzugrenzen, die Alles durcheinander werfen und ihre Wut, über das, was in Israel und den besetzten Gebieten passiert in wahllose Aggression ummünzen - Israeli, Netanjahu-Fan, Zionist, Jude, Israel als Ganzes, egal.

      Es ist leicht, hier im zivilisierten, moderierten, einigermaßen kühlköpfig mit Text beschickten taz-Forum weise festzustellen, dass dieses nicht immer nur verbale - Um-Sich-Schlagen nicht sachgerecht ist und wer die richtigen nicht-antisemitischen Ziele wären. Aber da draußen, wo geschrien, sich aufgeregt, gewütet und gehasst wird, wo Demos oder Camps gleichermaßen Appell wie emotionales Ventil sind, da herrscht halt ein anderes Klima. Und das geht nicht weg davon, dass die selbsterklärt Rechtschaffenen bei Gegenwehr rufen "ICH? Wieso ICH? Ich bin doch voll sachbezogen und so!“ - und dann in ihren Forderungen nach Meinungsfreiheit und Ausbreitungsraum eben doch wieder die Hasser mit in Schutz nehmen.

    • @Janix:

      Sie machen sich das zu einfach. Genau wie die nicht antisemitischen Teile des BDS. Es gibt nicht das gute Palästina und das böse Israel, sondern eine sehr komplizierte Geschichte gegenseitigen Misstrauens. Wer da mit populistischen Boykottaufrufen agiert, hat die Situation eindeutig nicht verstanden.

  • "Obwohl BDS immer wieder auch des Antisemitismus verdächtigt wird"

    Schau mal einer an. Eine Organisation, in deren obersten internationalen Leitungsgremium die Hamas, die PFLP und der Islamische Jihad sitzen, wird des Antisemitismus verdächtigt.

    Honi soit qui mal y pense.

    • @Jim Hawkins:

      Erst einmal hat der Islam als ganzes keinen Konflikt mit dem Judentum, der Westen hat den.



      Zweitens weiß ich nicht woher solche Fakten kommen, ich zweifle aber an ihrer Richtigkeit.



      Drittes, BDS ist selbst eine Jüdische Organisation. Gründer und viele Mitglieder.

  • Endlich. wir sollten uns gegen Judenhass an deutschen Unis zur Wehr setzen.

    • @casio:

      Genau : Denn Hass ist immer wertlos, egal woher und wohin.

    • @casio:

      alle sollten sich immer gegen jede art von diskriminierung ueberall auf der welt zur wehr setzen