Offener Brief an Friedrich Merz: „Tiefe Scham wegen deutscher Positionierung“
Prominente fordern einen stärkeren Einsatz der Bundesregierung für einen Waffenstillstand in Gaza. Auch Rüstungsexporte müssten ausgesetzt werden.

taz | Vor dem Besuch des israelischen Außenministers Gideon Sa’ar am Donnerstag in Berlin fordern zahlreiche Kunstschaffende mehr Druck von der Bundesregierung für einen Waffenstillstand in Gaza. „Wir schreiben Ihnen mit großer Bestürzung angesichts der anhaltenden humanitären Katastrophe im Gazastreifen und der Rolle Deutschlands in diesem bewaffneten Konflikt“, heißt es in dem offenen Brief, der unter anderem an Bundeskanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadephul (beide CDU) adressiert ist. In dem Schreiben fordern unter anderem der Regisseur Fatih Akin, der Violinist Michael Barenboim und die Schauspielerin Sandra Hüller eine Aussetzung deutscher Waffenlieferungen nach Israel.
„Viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes empfinden eine tiefe Scham angesichts der deutschen Positionierung im Nahostkonflikt“, heißt es in dem Brief. Eine gleich lautende Onlinepetition hatte am Donnerstagnachmittag mehr als 10.000 Unterzeichner*innen. Sie fordern von der Bundesregierung, für die Einhaltung des Völkerrechts einzutreten. Deutschland müsse die Warnungen über einen möglichen Genozid im Gazastreifen ernst nehmen und „völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Verhinderung eines Völkermordes“ nachkommen, heißt es.
Die Verfasser des offenen Briefs berufen sich unter anderem auf eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Januar 2024, die den Palästinenser*innen ein „plausibles Recht zum Schutz vor Genozid“ zugesprochen und festgestellt hatte, dass Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung im Küstenstreifen erforderlich seien. „Seitdem hat sich die Katastrophe vor den Augen der Weltöffentlichkeit und der deutschen Politik immer weiter verschärft“, steht in dem Brief, den einer der Überlebenden des rechtsextremen Attentats von Hanau, Said Etris Hashemi, initiiert hat.
Deutsche Waffenlieferungen nach Israel werden wohl auch eine Frage für Wadephul und Sa’ar bei ihrer Begegnung in Berlin sein, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Mittwoch. Der deutsche Außenminister hatte zuletzt Rüstungsexporte nach Israel vorsichtig infrage gestellt. Es werde derzeit geprüft, ob das, was im Gazastreifen geschehe, mit dem humanitären Völkerrecht in Einklang zu bringen sei, hatte Wadephul in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Daran würden die Entscheidungen über weitere Waffenlieferungen ausgerichtet.
Wadephul erntete für diese Haltung Kritik aus seiner Schwesterpartei CSU, die sich auf die Einhaltung der „deutschen Staatsräson“ berief. Vor Wadephuls offizieller Begegnung mit seinem israelischen Counterpart traf sich unterdessen auch CSU-Innenminister Alexander Dobrindt am Mittwoch mit Sa’ar. Grund und Inhalt ihres Treffens waren zunächst nicht bekannt.
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