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Offener Brief an Frank CastorfSchluss mit der Arschlochhaftigkeit

Simone Dede Ayivi
Kommentar von Simone Dede Ayivi

Nach Castorfs sexistischen Aussagen hat Simone Dede Ayivi den offenen Brief an ihn unterzeichnet. Sie findet diese bezeichnend für Theaterstrukturen.

Der ehemalige Intendant der Volksbühne: für manche ein Genie, für andere ein Sexist Foto: dpa

D er ehemalige Volksbühnenintendant und alternde Star-Regisseur Frank Castorf ist der Meinung, dass Frauen nicht Regieführen können. Zumindest nicht so gut wie Männer. So sagt er es jedenfalls in einem Interview mit Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung. Und Fußballspielen können sie auch nicht. Da sieht er einen klaren Qualitätsunterschied und deshalb interessiert ihn Frauenfußball auch nicht.

Dass Castorf sich nicht für Frauenfußball interessiert, kann dem Fußball egal sein – denn der Fußball interessiert sich auch nicht für Castorf. Im Theater ist das jedoch etwas Anderes. Da war er jahrzehntelang ein wichtiger Entscheidungsträger und seine Stimme wird weiterhin gehört. Deshalb bleiben seine sexistischen Äußerungen auch nicht ohne Antwort, obwohl man sich wünscht, sein verkrustetes Weltbild und diese langweilige Provokation einfach ignorieren zu können.

Ein offener Brief der Dramaturgin Felizitas Stilleke, der am Mittwoch auf welt.de veröffentlicht wurde, findet über 600 Unterzeichner*innen. Kein Wunder, denn hier geht es um mehr, als dass ein Mann in einer Zeitung etwas Sexistisches gesagt hat. Was er sagt, ist bezeichnend für die Strukturen, in denen Theater entsteht und wem dort eine Plattform geboten wird. Unabhängig davon, wie groß der Mist auch ist, den er spricht.

Das sind festgefahrene Machtstrukturen und ein Genie-Bild, das vorwiegend Männern erlaubt, auf Proben zu schreien und zu demütigen. So entsteht Kunst, die ohnehin nur für einen erlauchten Kennerkreis gedacht ist, der sich immer wieder um sich selbst dreht. Dieses Theater ist nicht inklusiv, nicht queer, nicht vielfältig. In diesem Theater hat die Kunst von Frauen, Schwarzen Menschen, People of Color und anderen Marginalisierten keinen Platz.

Dort werden vorwiegend tote Dichter und Denker immer wieder neu interpretiert. Neu – aber immer motiviert durch die Liebe zum Alten und wer das kritisiert, hat es einfach nicht verstanden – so die übliche arrogante Abwehr von Castorf und Konsorten. Diese Arroganz können sich die Herren auch leisten: Keine der offen ausgesprochenen Diskriminierungen hat jemals berufliche Konsequenzen nach sich gezogen.

Es sind nicht alle Castorfs

Momentan sind die Machtverhältnisse noch so verteilt, dass viel mehr diejenigen um ihre Aufträge fürchten müssen, die sich diesem Muster entgegenstellen. Die Kritik wird lächerlich gemacht: als unkünstlerisch und lustfeindlich abgetan.

Simone Dede Ayivi

Simone Dede Ayivi studierte Kulturwissenschaften und schrieb ihre Abschlussarbeit zum Thema „Schwarze (Selbst-)Repräsentation im deutschen Theater“. Heute lebt die Künstlerin in Berlin, schreibt Texte und macht Theater. Mehr unter: www.simonededeayivi.com

Auf das veränderte Bewusstsein nach #MeToo angesprochen, unterstellt Castorf Fantasie und Erotik würden nun als anrüchig betrachtet und fragt sich, ob wir demnächst die Aktmalerei verbieten wollten. Über den Unterschied zwischen Erotik und Frauenverachtung könnte er sich schnell informieren, aber das interessiert ihn wohl genauso wenig, wie Frauenfußball.

Bei all der Aufregung um Castorfs Äußerungen sollten wir nicht vergessen, dass seit vielen Jahren ein großer Teil der Theaterschaffenden ganz andere Töne anschlägt. Besonders jüngere Kolleg*innen rütteln an den bestehenden Verhältnissen, um mit der Theatertradtition der genialen Arschlochhaftigkeit zu brechen. Initiativen wie Bühnenwatch, das Bündnis kritischer Kulturpraktiker*innen oder die Initiative für Solidarität am Theater, machen schon lange auf Diskriminierung und Ausschlüsse im Kulturbetrieb aufmerksam. Auch schlechte Arbeitsbedingungen und Machtmissbrauch werden zunehmend thematisiert. Solidarische Arbeitsweisen werden entwickelt und neue Ästhetiken entworfen.

Jetzt haben wir die Wahl: Leuten wie Castorf zuzuhören oder zu genießen, dass da eine breite laute Bewegung ist, die trotz aller Hindernisse mit Freude und Leidenschaft das Theater öffnet. Zum Wohle von Künstler*innen und Publikum. Was hier gerade passiert ist wirklich interessant. Interessanter als so manches Männerfußballspiel und jedes Interview mit Frank Castorf.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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21 Kommentare

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  • Bitte das "alternde" im ersten Satz streichen. Ein Artikel für die Inklusion und gegen die Diskriminierung sollte nicht mit einer Altersdiskriminierung eröffnen. Ich finde es richtig, dass Castorfs Aussagen nicht einfach so durchgehen. Aber die Tendenz des Artikels jung gegen alt auszuspielen, die Idee, dass uns Sexismus egal sein könnte, weil er von den alten Menschen ausgeht, die eh' keine Rolle mehr spielen, und die Möglichkeit, Sexismus über das Alter zu entschuldigen – all das ist problematisch, wenn man sich gegen Sexismus und die Diskriminierung marginalisierter Gruppen stellen will.

    Die Argumentation diskriminiert nicht nur alte Menschen als eh' aussterbende und zu ignorierende Gruppe, sondern verharmlost auch das Problem eines strukturellen Sexismus, der immer noch – auch in den Köpfen der Jungen – präsent ist und sich wenn auch subtiler, weiterhin in den Strukturen tradiert.

  • Mobbing

    Freiheit und Menschlichkeit werden auf der Bühne so schön gefordert!



    Hinter der Bühne wird schwer gemobbt.



    Da geht es um Geld und Existenzen.



    Ganz einfaches Ding!

  • Jaaaa, die Linken.... es sind die wohl am meisten verkrusteten Männerzirkel, erwachsen aus den 68ern. Mehr Macho geht nicht. Passt mal wieder. Hatten gutes vor für die Gesellschaft, meinten damit die Männergesellschaft. Haben bis heute nicht dazu gelernt.

  • Clickbait on Friday - surprise!

  • Toller Kommentar, mit dem ich überwiegend mitgehe. Gerade im Theater wird viel von Gleichberechtigung gesprochen - und sehr wenig dafür getan. Gerade wurde ein Dramaturg an die Berliner Volksbühne berufen, dem es zwar an Qualifikation fehlt, der aber in Fachkreisen wohl bekannt ist: Als Schreihals und übler Choleriker.

    Allerdings - und das kann ich durch eigene Erfahrungen gut belegen - ein inklusives oder postmigrantisches Theater wie am Gorki oder der Naunystraße praktiziert steht nicht gleich für bessere Strukturen: Auch hier werden Mitarbeiter von weiblichen Regisseurinnen zusammengeschrien. Auch hier werden Leute miserabel bezahlt und wissentlich ausgebeutet. Und das finde ich, vor allem bei diesen Häusern, doppelt verlogen.

    Ein weiterer Punkt mit dem ich nicht übereinstimme: Die Kritik an den überwiegend toten Dichtern und dem damit verbundenen Vorwurf des Elitismus. Erstens ist das eine nicht gegen das andere auszuspielen. Ein altes Stück nicht gleich deshalb überholt ist, weil es alt ist. Und weder muss Kunst inklusiv, noch politisch sein. Das ist kein Qualitätssiegel. Die individuelle Replik auf Erfahrungen kann etwa in einem Stück wie "Common Ground" kann ebenso stark sein, wie die hundertste Neuauflage von "Peer Gynt" am Schauspiel Leipzig.

  • Mal wieder ein thypisches Beispiel dafür das die gesellschaftlichen Bereiche die am meisten für linke Positionen übrig haben auch am meisten Prügel für jede kleine (so empfundene) Verfehlung kassieren. Unter kulturschaffenden muss man Menschen die nicht links der gesellschaftlichen Mitte sind mit der Lupe suchen.

    "Keine der offen ausgesprochenen Diskriminierungen hat jemals berufliche Konsequenzen nach sich gezogen."

    Ja was erwartet die Frau denn? Eine kriminalisierung von Ansichten die nicht in ihr Weltbild passen? Kriminalisiert sind nur konkrete Fälle von Diskriminierung im Arbeitsumfeld. So totalitär das man den Menschen auch noch in ihren Kopf hinein regieren will ist man ja wohl nicht, oder?

  • Sehr geehrte Frau Ayivi,



    ich möchte Ihren Kommentar jetzt nicht haarklein auseinandernehmen. Daher sei Ihnen folgender Satz ans Herz gelegt, der im Übrigen von Frank Castorf selbst stammt: "Theater ist kein politischer Raum, sondern ein Raum der Freiheit".

    • @Benjamin Brink:

      Aber Herr B.Brink, Sie wissen doch, Freiheit meint immer die Freiheit des Anderen. ------- Oder wissen Sie das nicht? ------ Hört sich so an…

    • @Benjamin Brink:

      achja? wessen Freiheit? die der Herrschenden oder jener, die unterdrückt werden, deren Kritik ungehört bleibt und derer, die sexuell oder auch in ihrer Kunst belästigt, unterworfen, missbraucht und/oder vergewaltigt werden. Wem gehört der Raum der Freiheit?

      • @?:

        Bitte mal auf dem Teppich bleiben. Hier geht es nicht um einen Fall wie Weinstein. Hier geht es nur darum, der eigenen Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen, und zwar auf Kosten von jemand anders. Wenn in diesem Zusammenhang auch nur laut an #MeToo gedacht wird, diskreditiert das nämlich die tatsächlichen Opfer, denen niemand mehr Beachtung schenken wird, wenn jeder meint, diese Kampagne für die eigenen Zwecke instrumentalisieren zu müssen, weil es gerade "en vogue" ist, Herren gesetzteren Alters in Machtpositionen in den Dreck zu ziehen. Ich kenne Frank Castorf persönlich nicht, daher kann ich kein Urteil zu ihm abgeben. Wer aber bitte zwingt Frau Ayivi oder sonst jemanden dazu bei Herrn Castorf schauspielerisch tätig zu werden? Ist es denn dermaßen alternativlos für ihn zu arbeiten? Selbst, wenn Herr Castorf ein "Arschloch" wäre, so what? Mein ehemaliger Chef war auch ein Arschloch. Wissen Sie, was ich getan habe? Ich habe gekündigt und mir eine andere Arbeitsstelle gesucht, wo ich respektiert werde.

        • @Benjamin Brink:

          Ist das wirklich die Gesellschaft, in der Sie leben wollen? Wo Mobbing dazu führt, dass sich der Gemobbte "aus dem Staub machen" muss, ohne dass diese menschenverachtenden Strukturen und Benehmen abgestellt werden?



          --



          --



          Kunst darf alles, fast alles. Menschenzerstörung gehört nicht m. E. dazu.

  • Was soll denn dieses "alternde" gleich im ersten Satz? Ist das nicht Altersdiskriminierung? Ist so eine Herablassung nicht das Mittel des alten weißen Mannes?



    Sind das die journalistischen Standards der TAZ? Gehört so ein Kommentar nicht auf Twitter? Ist "sexistisch" jetzt die neue Modebeleidigung? Und ist Bollywood rassistisch, weil es der europäischen Kunst keinen Raum gibt?



    Fragen über Fragen...

    • @Rübenzahl:

      Wenn sie nicht wissen, was das Wort Sexismus bedeutet, kann die TAZ nichts dafür. Nein, der Bergriff meint nicht Sex, sondern Geschlecht, genauer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Das Wort trifft die Aussagen von Frank Castorf exakt.

    • @Rübenzahl:

      Rübenzahl, geh doch mit deinen dümmlichen Fragen zurück in deine Höhle.

  • „Schwarze Menschen und PoC“



    Wie ist das gemeint? Sprachlich ungeschickt formuliert - oder hat das einen Kontext, den ich nicht verstehe? Danke für die Aufklärung!

  • Ist doch super, das solche Aussagen Protest hervorrufen. Vorbei sind die Zeiten, als derlei Annahmen in so vielen Bereichen allgemeingültig waren und mann des abends juristisch gedeckt seine Frau vergewaltigen durfte.



    Das alte weiße Männer solche Sprüche nach wie vor bringen heißt aber auch, dass es noch viel zu tun gibt, bis begriffen wurde, dass männliche Privilegien kein Wunder der Natur sind :)

  • Ich bin Frank Castorf von 1970 bis zu meinem Umzug 1974 nach West-Berlin begegnet und habe ihn eigentlich ganz anders in Erinnerung.

  • "Das sind festgefahrene Machtstrukturen und ein Genie-Bild, das vorwiegend Männern erlaubt, auf Proben zu schreien und zu demütigen. So entsteht Kunst, die ohnehin nur für einen erlauchten Kennerkreis gedacht ist, der sich immer wieder um sich selbst dreht."

    Das empfinde ich ganz genau so. Danke für den erhellenden Artikel.

    Die Vergabe bzw. Nichtvergabe von Subventionen für Theater|Kultur kann|könnte da viel bewirken und ermöglichen.



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    Das Geld muss – wie in diesem raubtierkapitalistischem Lande überhaupt – besser und anders verteilt werden.



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    Da aber damit durch Erkenntnis bei den vergebenden Institutionen (dem Staat) nicht zu rechnen ist, muss mehr protestiert und unabhängigeres Theater dem so genannten Bildungsbürgertum nahe gebracht werden – Guerilla-Theater z. B. wie Guerilla-Marketing.

    • @Frau Kirschgrün:

      Sorry, aber Castorf steht genau für dieses nicht-bildunsbürgertumnahe Theater. Casdorfs Intendanz an der Volksbühne hatte den Charakter eines linken Projektes.



      Für Casdorf (und gegen seinen Nachfolger Dercon) gab es genau das: unabhängiges Theater, Protest-Theater und Guerilla-Theater.

      • @rero:

        Aber er steht offensichtlich für ein paternalistisches, Frauen doch "eher" verachtendes Theater. DAS ist der Kritikpunkt.



        ---- Und das Bildungsbürgertum steht sicher nicht im Verdacht, Theater, das queer, inklusiv, vielfältig, feministisch, colored ist, bevorzugt zu goutieren.



        -----



        Es geht um einen humanistischen Ansatz in der Theaterarbeit mit Menschen, nicht um eine Ablehnung des Theaters an sich. Dann eben "ohne" Guerilla-Theater, wenn's schon so "üblich" ist… ;-)

  • Satire

    Das war doch alloes nur Satire



    - merkt das denn niemand?...



    Ist das Theater etwa humorlos?...