Ökonom über Corona-Bonds: „440 Milliarden Euro in 12 Monaten“
Die EU muss eine Corona-Anleihe ausgeben, fordert Ökonom Lucas Guttenberg. Das Geld solle als Zuschuss zum Beispiel in italienische Kliniken fließen.
taz: Herr Guttenberg, Spanien und Italien fühlen sich in der Coronakrise von der EU weitgehend alleingelassen. Manche Mitgliedsstaaten wollten anderen keine Atemschutzmasken liefern. Deutschland verhindert gemeinsame Staatsanleihen. Wenn die EU in so einer bedrohlichen Notlage nicht richtig hilft, brauchen wir sie dann überhaupt noch?
Lucas Guttenberg: Nur die Europäische Union kann Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten organisieren. In der Gesundheitspolitik, in der sie wenig Zuständigkeiten hat, läuft das jetzt langsam an: Aber jetzt muss die EU in der Wirtschaftspolitik, wo sie große Kompetenzen hat, endlich mutige Schritte tun.
Welche?
Wir brauchen ein 440-Milliarden-Euro-Solidaritätsinstrument der EU für die kommenden 12 Monate. Sie muss das Geld über eine einmalige gemeinsame Anleihe einnehmen und dann in Form von Zuschüssen zum Beispiel an Italien oder Spanien für Gesundheitsausgaben, Unterstützung für Kurzarbeitsmodelle und sinnvolle Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur weitergeben. Da die EU das Geld aufnimmt, erhöht sich die Verschuldung der Staaten nicht. Das genau gilt es nun aber zu verhindern, damit wir nicht in einem Jahr eine neue Eurokrise haben.
Sind das Corona-Bonds?
Das könnte man Corona-Bonds nennen. Das ist aber nicht wichtig. Entscheidend ist, dass der Vorschlag das Problem der fehlenden Lastenteilung löst. Darum muss es nun gehen.
Die Kommission will jetzt ja Kurzarbeitergeld der Mitgliedstaaten finanzieren. Über den Fonds des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sollen Kredite fließen. Gibt es schon genug Instrumente?
Im EU-Haushalt ist viel zu wenig Geld, um diese gemeinsamen Ausgaben zu bestreiten. Sowohl der ESM als auch das, was die Kommission jetzt als Unterstützung von Kurzarbeitergeld vorschlägt, stellen den Ländern Kredite bereit. Kredite müssen zurückgezahlt werden und erhöhen die Staatsschulden der einzelnen Länder, und allein mit solchen Instrumenten werden wir die Krise nicht gemeinsam lösen können. Stattdessen brauchen wir Instrumente, mit denen wir die Kosten auch verteilen können.
Ihrem Vorschlag für Corona-Bonds müssten Parlamente aller EU-Mitgliedstaaten zustimmen, weil jedes Land entsprechend seiner Wirtschaftsleistung für die Anleihe haften soll. Dauert das nicht viel zu lange?
Der 31-Jährige ist stellvertretender Direktor der Denkfabrik Jacques-Delors-Centre der Berliner Hertie School. Er konzentriert sich vor allem auf die Reform der Eurozone, auf die Rolle Deutschlands in der EU, und auf den Stand der deutsch-französischen Beziehungen. Vor dem Einstieg in die Think-Tank-Welt arbeitete Guttenberg als Volkswirt bei der Europäischen Zentralbank und als Berater des EZB-Vertreters in Washington.
Es ist wichtig, dass Parlamente bei so einer wichtigen Entscheidung mitsprechen können. In der Eurokrise haben wir erlebt, dass das schnell gehen kann, wenn politischer Wille da ist.
Wer soll das bezahlen?
Die EU-Anleihen werden entweder weiter im Markt refinanziert oder aber nach der wirtschaftlichen Stärke der Staaten in 20 bis 50 Jahren zurückgezahlt, wenn die Anleihen fällig werden – dann aber nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Rückzahlung.
Welches Interesse hat Deutschland an einer gemeinsamer Finanzierung der Coronakosten in der EU?
Deutschland hat ein politisches Interesse, dass die EU zusammenbleibt. Die EU verliert aber gerade rapide an Ansehen. Deswegen sind zunächst große politische Gesten wichtig und Patienten aus diesen Ländern auch in Deutschland zu behandeln. Aber gleichzeitig muss es da auch ein klares Signal geben an die Bevölkerung in diesen Ländern, dass man sie nicht mit den wirtschaftlichen Kosten alleine lässt.
Was hat die deutsche Wirtschaft davon?
Es würde der deutschen Wirtschaft schaden, wenn Italien, Spanien, Polen und die anderen Länder im Binnenmarkt stark geschwächt aus dieser Krise herausgehen. Denn das würde auf lange Sicht der Binnenmarkt nicht überleben. Den zu erhalten ist ein zentrales deutsche Wirtschaftsinteresse. Ohne ihn würden wir weniger exportieren und unsere Industrie hätte weniger Zulieferer.
Ist es nicht so: Die EU-Staaten sind eben so egoistisch, dass sie nicht zu einer solidarischen Politik fähig sind – ist es dann nicht besser, wenn einzelne Staaten sich aus den Fesseln der EU befreien und selbst vorangehen?
Nein. Eine Verteilung der Kosten der Krise wird es nur gemeinsam geben. Und ich bin hier auch nicht so pessimistisch: Vor 4 Wochen hätte niemand geglaubt, dass Deutschland über Nacht die schwarze Null abräumt und massiv beginnt, Geld auszugeben, um sich gegen die Krise zu stämmen. Von daher wäre ich vorsichtig mit der Annahme, dass der politische Wille nicht da ist. In dieser Situation sollten wir erstmal darauf vertrauen, dass wir das gemeinsam gut hinbekommen.
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