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Ökonom über Corona-Bonds„440 Milliarden Euro in 12 Monaten“

Die EU muss eine Corona-Anleihe ausgeben, fordert Ökonom Lucas Guttenberg. Das Geld solle als Zuschuss zum Beispiel in italienische Kliniken fließen.

San Filippo Neri: ein Krankenhaus in Rom Foto: Guglielmo Mangiapane/reuters
Jost Maurin
Interview von Jost Maurin

taz: Herr Guttenberg, Spanien und Italien fühlen sich in der Coronakrise von der EU weitgehend alleingelassen. Manche Mitgliedsstaaten wollten anderen keine Atemschutzmasken liefern. Deutschland verhindert gemeinsame Staatsanleihen. Wenn die EU in so einer bedrohlichen Notlage nicht richtig hilft, brauchen wir sie dann überhaupt noch?

Lucas Guttenberg: Nur die Europäische Union kann Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten organisieren. In der Gesundheitspolitik, in der sie wenig Zuständigkeiten hat, läuft das jetzt langsam an: Aber jetzt muss die EU in der Wirtschaftspolitik, wo sie große Kompetenzen hat, endlich mutige Schritte tun.

Welche?

Wir brauchen ein 440-Milliarden-Euro-Solidaritätsinstrument der EU für die kommenden 12 Monate. Sie muss das Geld über eine einmalige gemeinsame Anleihe einnehmen und dann in Form von Zuschüssen zum Beispiel an Italien oder Spanien für Gesundheitsausgaben, Unterstützung für Kurzarbeitsmodelle und sinnvolle Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur weitergeben. Da die EU das Geld aufnimmt, erhöht sich die Verschuldung der Staaten nicht. Das genau gilt es nun aber zu verhindern, damit wir nicht in einem Jahr eine neue Eurokrise haben.

Sind das Corona-Bonds?

Das könnte man Corona-Bonds nennen. Das ist aber nicht wichtig. Entscheidend ist, dass der Vorschlag das Problem der fehlenden Lastenteilung löst. Darum muss es nun gehen.

Die Kommission will jetzt ja Kurzarbeitergeld der Mitgliedstaaten finanzieren. Über den Fonds des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sollen Kredite fließen. Gibt es schon genug Instrumente?

Im EU-Haushalt ist viel zu wenig Geld, um diese gemeinsamen Ausgaben zu bestreiten. Sowohl der ESM als auch das, was die Kommission jetzt als Unterstützung von Kurzarbeitergeld vorschlägt, stellen den Ländern Kredite bereit. Kredite müssen zurückgezahlt werden und erhöhen die Staatsschulden der einzelnen Länder, und allein mit solchen Instrumenten werden wir die Krise nicht gemeinsam lösen können. Stattdessen brauchen wir Instrumente, mit denen wir die Kosten auch verteilen können.

Ihrem Vorschlag für Corona-Bonds müssten Parlamente aller EU-Mitgliedstaaten zustimmen, weil jedes Land entsprechend seiner Wirtschaftsleistung für die Anleihe haften soll. Dauert das nicht viel zu lange?

Bild: Laura Morton
Im Interview: Lucas Guttenberg

Der 31-Jährige ist stellvertretender Direktor der Denkfabrik Jacques-Delors-Centre der Berliner Hertie School. Er konzentriert sich vor allem auf die Reform der Eurozone, auf die Rolle Deutschlands in der EU, und auf den Stand der deutsch-französischen Beziehungen. Vor dem Einstieg in die Think-Tank-Welt arbeitete Guttenberg als Volkswirt bei der Europäischen Zentralbank und als Berater des EZB-Vertreters in Washington.

Es ist wichtig, dass Parlamente bei so einer wichtigen Entscheidung mitsprechen können. In der Eurokrise haben wir erlebt, dass das schnell gehen kann, wenn politischer Wille da ist.

Wer soll das bezahlen?

Die EU-Anleihen werden entweder weiter im Markt refinanziert oder aber nach der wirtschaftlichen Stärke der Staaten in 20 bis 50 Jahren zurückgezahlt, wenn die Anleihen fällig werden – dann aber nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Rückzahlung.

Welches Interesse hat Deutschland an einer gemeinsamer Finanzierung der Coronakosten in der EU?

Deutschland hat ein politisches Interesse, dass die EU zusammenbleibt. Die EU verliert aber gerade rapide an Ansehen. Deswegen sind zunächst große politische Gesten wichtig und Patienten aus diesen Ländern auch in Deutschland zu behandeln. Aber gleichzeitig muss es da auch ein klares Signal geben an die Bevölkerung in diesen Ländern, dass man sie nicht mit den wirtschaftlichen Kosten alleine lässt.

Was hat die deutsche Wirtschaft davon?

Es würde der deutschen Wirtschaft schaden, wenn Italien, Spanien, Polen und die anderen Länder im Binnenmarkt stark geschwächt aus dieser Krise herausgehen. Denn das würde auf lange Sicht der Binnenmarkt nicht überleben. Den zu erhalten ist ein zentrales deutsche Wirtschaftsinteresse. Ohne ihn würden wir weniger exportieren und unsere Industrie hätte weniger Zulieferer.

Ist es nicht so: Die EU-Staaten sind eben so egoistisch, dass sie nicht zu einer solidarischen Politik fähig sind – ist es dann nicht besser, wenn einzelne Staaten sich aus den Fesseln der EU befreien und selbst vorangehen?

Nein. Eine Verteilung der Kosten der Krise wird es nur gemeinsam geben. Und ich bin hier auch nicht so pessimistisch: Vor 4 Wochen hätte niemand geglaubt, dass Deutschland über Nacht die schwarze Null abräumt und massiv beginnt, Geld auszugeben, um sich gegen die Krise zu stämmen. Von daher wäre ich vorsichtig mit der Annahme, dass der politische Wille nicht da ist. In dieser Situation sollten wir erstmal darauf vertrauen, dass wir das gemeinsam gut hinbekommen.

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14 Kommentare

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  • "Ist es nicht so: Die EU-Staaten sind eben so egoistisch, dass sie nicht zu einer solidarischen Politik fähig sind – ist es dann nicht besser, wenn einzelne Staaten sich aus den Fesseln der EU befreien und selbst vorangehen?"

    Nach dem klaren Nein auf diese Frage von Herr Maurin gab es wohl keine weiteren Fragen dazu. :-)

  • "Da die EU das Geld aufnimmt, erhöht sich die Verschuldung der Staaten nicht."

    Wie soll das funktionieren? Bonds zeichnen sich dadurch aus, dass einige Länder wenige andere (De, FR, NL) dafür aber umso mehr Zinsen zahlen.

    Die Gelder müssen, selbst zu geringeren Zinsen wieder zurück gezahlt werden. Bond sind keine Geldgeschenke. Siehe auch: "Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 6. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2016. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2016., www.bpb.de/nachsch...t/159949/eurobonds )

  • Geld fällt nicht vom Himmel.



    Auch Kredite nicht.

    Die aktuelle Dimension von neuen Krediten heißt:



    - Kürzung von Staatsausgaben (Bildung, Gesundheit, Soziales).



    - Steuererhöhungen.

    Und zwar beides nicht zu knapp, weil es um richtig viel Geld geht.

    Das ist die Kehrseite der aktuellen "Großzügigkeit". Der Finanzminister hat keinen Schatz, sondern nur Einnahmen und Ausgaben.

    Das muss auch deutlich kommuniziert werden, wenn es darum geht, noch mehr Geld zu verschenken.

  • "Da die EU das Geld aufnimmt, erhöht sich die Verschuldung der Staaten nicht."

    Genau dieser Satz ist ein weit verbreiteter absoluter Blödsinn.

    Das Geld muss von irgend einem Staat irgendwann zurück gezahlt werden. Da die EU selbst keine eigenen Steuereinnahmen hat, kommen insoweit nur die Mitgliedsstaaten in Frage. Und in genau diesem Anteil steigen dann buchhalterisch auch die Schuldenstände der Mitgliedsstaaten weiter an.

    Wenn beispielsweise Italien EUR 440 Mrd. (ggf. zu einem günstigen Zinssatz) aus den Bonds erhält, dann muss Italien irgendwann auch 440 Mrd. zurück zahlen. Aufgrund dieser Rückzahlungsverpflichtung steigen die Schulden Italiens im Zeitpunkt der Aufnahme der Bonds.

    Wenn wir von einer solchen Rückzahlungsquote abweichen, dann ist das nichts anderes als eine Umverteilung. Dann sollte man jedoch nicht so tun, als ginge es nur um den Zinssatz.

    Und genau so eine Umverteilung wiederspricht dem Grundgedanken der EU.

    Und btw, wie möchte der Herr Ökonom sicher stellen, dass sich die betroffenen Länder nicht auch hinsichtlich ihrer Altschulden an die EU wenden, wenn es um die Prolongation ihrer hochverzinslichen Staatsanleihen geht?

  • Geschäftsmodell "Corona". Wer sammelt diese Bonds eigentlich ein, d.h. kommt Bestandsmoney von den Quandts in Italien an, zu einem vergleichsweise besseren bzw. höheren Zinssatz, den die Öffentlichkeit finanzieren wird, oder kommt frisches Geld in Umlauf? Und der Handel mit den Bonds? Will man wieder ein Nullsummenspiel, sorry, gemeint ist natürlich ein Nulldummenspiel.

    Hier muss Geld gratis rein.

  • Für Coronabonds müssten die Verträge geändert werden, dauert viel zu lang. Im ESM dagegen, der sofort bereit stünde, sind mehr als die im Artikel geforderten 440 Milliarden drin (angeblich 500).

    Tatsächlich ist diese Diskussion nur der Schlitten, auf dem endlich die Schuldenunion ins Tal gebracht werden soll.

    • @Heide Gehr:

      Die Logik eines Bausparvertrags.

    • @Heide Gehr:

      Ohne das, was Sie Schuldenunion nennen, hätten Sie kein Geld, kein (Geld-)Einkommen, keine (Geld-)Rente. Ich bezweifle nicht, dass Sie sich auch aus Ihrem Garten ernähren könnten, aber Geld ist etwas komplizierter, als das Wort "Schuldenunion" wie ein As auf den Tisch zu dreschen.

  • Immer wieder Euro.Bonds. Warum sollen wir Salvini die Waffe in die Hand geben, mit der er unsere Staatsfinanzen abschießen kann? In Italien wurde vor ca 2 Jahren das letzte mal gewählt... wäre fast ein Wunder, wenn die noch mal zwei Jahre durchhalten.

    Dann braucht Italien nur den teilweisen Zahlungsausfall erklären (der bei den Schulden ohnehin kommen wird) und Deutschland wird die Schulden Italiens refinanzieren (eben für die Euro-Bondas einstehen müssen), damit Salvini Wahlversprechen bezahlen kann. Schlau ist das nicht... und das Ende des Euros ohnehin.

    • @Klaus Meier:

      Sorgen wir also lieber dafür, dass die ItalienerInnen Salvini wählen?

      Kommen Sie. Was hat Salvini erst stark gemacht. Was wird für eine stramm rechte Regierung in Griechenland sorgen.

      Wir ernten jetzt, was wir gesät haben. Und sind gerade, durch unsere Knauserigkeit, noch mehr davon zu säen.

      Krank.

      • @tomás zerolo:

        Italien ist der drittgrößte Nettoeinzahler in der EU. Bei Eurobonds müsste Italien dann natürlich auch den höheren Zinssatz mittragen um die schwächeren Staaten mit zu tragen. Die Coronawelle wird ja auch dort aufschlagen.

        Haben Salvini und Co. gedacht, wegen der aktuellen schlimmen Situation in Italien letztlich besonders gut mit niedrigen Zinsen weg zu kommen? Die Situation wird schließlich auch auf andere Staaten zukommen.

    • @Klaus Meier:

      Im Interview ist von langfristigen Anleihen (Fälligkeit in 20-50 Jahre) welche die Komission aufnehmen würde die Rede. Diese wären also unabhängig von einer eventuellen Zahlungsfähigkeit Italiens in den nächsten Jahren.



      Noch dazu wäre eben diese Zahlungsunfähigkeit äußerst unwahrscheinlich wenn es innerhalb der EU eine Lastenverteilung geben würde.



      Das von Ihnen beschriebene Szenario kann so also nicht eintreten.

      • @Sandro:

        "Die Kommission" kann schon mal gar keine Anleihen ausgeben. Die EU ist kein Staat und die Emission von Anleihen durch die EU ist von den Verträgen nicht vorgesehen, ergo Vertragsänderung, ergo Einstimmigkeitsprinziep. Das kennen wir ja.

        Und selbst wenn das alles irgendwann mal kommen sollte, die EU hat keine eigenen Steuern, ergo muss das Geld irgendjemand anderes zurück zahlen. Also erhöhen sich mit der Emission bereits die Schuldenstände der Länder, welche mal zurück zahlen werden.

        Gehen diese Länder dann zwischendurch pleite, ist es mit der Rückzahlung hinfällig und die anderen Länder zahlen dann entsprechend mehr.

        Und weshalb sollte es je eine Lastenverteilung geben? Wir haben keine "Vereinigten Staaten von Europa".