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ÖPNV und PandemieDie tatenlose Deutsche Bahn

Anja Krüger
Kommentar von Anja Krüger

Züge und Busse sind wegen Corona derzeit meistens leer. Kein Wunder, denn Bahn und Nahverkehrsbetreiber tun zu wenig für den Schutz der Reisenden.

Immerhin gibt es bei der Bahn jetzt Aufkleber Foto: dpa / Arne Dedert

D er Gebrauchtwagenhandel erholt sich rasant von den Einbrüchen im Frühjahr. Magazine und Zeitungen geben Tipps, wie notorische Bus- und BahnfahrerInnen am günstigsten an einen vierrädrigen Untersatz kommen: Kaufen? Leasen? Oder doch lieber Carsharing? Keineswegs nur PendlerInnen entscheiden sich in diesen Wochen für ein Auto, berichten HändlerInnen.

Viele Menschen meiden Züge aus Angst vor Ansteckung mit dem Coronavirus. Auch wenn sie es eigentlich nicht wollen, sehen sie sich gezwungen, Alternativen zu suchen. Die Züge sind zurzeit nicht einmal zu einem Viertel ausgelastet. Die Deutsche Bahn will, wie im Frühjahr, ihr Angebot an Fernzügen im Großen und Ganzen trotzdem aufrechterhalten. Das ist gut. Aber: Das ist auch das Einzige, was die BahnmanagerInnen in der Coronakrise richtig machen.

Die Deutsche Bahn ist in einer Vertrauenskrise, die sie selbst zu verantworten hat. Die unzureichende Reaktion auf die Furcht vor Ansteckung vertreibt KundInnen. Gebetsmühlenartig wiederholen die Verantwortlichen, dass Bahnfahren sicher sei. Möglicherweise ist das so, möglicherweise nicht. Es gibt dazu jede Menge Annahmen, aber keine verlässlichen Studien.

Das sichtbarste Misstrauensvotum gegen die Tatenlosigkeit der Deutschen Bahn war die inzwischen zurückgenommene Erlaubnis des Bundes, dass seine Beschäftigten für den Platz neben sich eine Fahrkarte und eine Reservierung auf Kosten der Steuerzahlenden kaufen dürfen, damit sich kein möglicherweise mit dem Coronavirus infizierter Passagier neben sie setzt.

Dieses allgemein verbreitete Misstrauen ist das Resultat einer desolaten Reservierungspolitik, die viel zu spät auf die Krise reagiert hat. Seit Sommer sind in den Fernzügen der Deutschen Bahn nur noch Fensterplätze reservierbar. Seit der vergangenen Bund-Länder-Konferenz sind jetzt etwa auch Bereiche für gemeinsam Reisende möglich. Das Problem: Plätze werden weiterhin nicht gesperrt.

Bei hohem PassagierInnenaufkommen, womöglich schon in der Vorweihnachtszeit, spätestens ab dem Frühjahr, werden die Abstandsregeln nicht einzuhalten sein. Dabei gibt es durchaus Erfahrungen mit der händischen Sperrung von Plätzen im Zug, etwa in den Niederlanden oder in Italien. Für den Eurostar nach Großbritannien wird nur jeder zweite Platz verkauft.

Von einer generellen Reservierungspflicht, die auf den ersten Blick viele Probleme lösen könnte, wollen die Verantwortlichen der Deutschen Bahn nichts wissen. Denn die würde die Kapazitäten erheblich senken und spontanes Fahren unmöglich machen, argumentieren sie. Da ist etwas dran: Dass die Bahn jederzeit nutzbar ist, ist ein großer Vorteil. Es spricht vieles dafür, keine Reservierungspflicht einzuführen. Aber statt kluge Alternativen zu entwickeln, machen die Verantwortlichen: nichts. Sie verweisen auf Hygieneteams, die verstärkt zum Einsatz kommen. Das reicht nicht.

Menschenmengen schieben sich über Treppen und durch Waggons; Mindestabstände zu halten ist unmöglich

Auch für die üblichen Probleme, die in der Coronakrise möglicherweise fatale Folgen haben, bieten die Bahnverantwortlichen keine Lösungen an. Zu Recht ärgern sich Fahrgäste über das Informationschaos auf Bahnsteigen, wenn Züge nicht oder zu spät kommen, Bahnsteige kurz vor Einfahrt des Zugs gewechselt werden oder sich die Wagenreihung ändert. Die Folge: Menschenmengen schieben sich über Treppen und durch Waggons; Mindestabstände zu halten ist unmöglich. In Geschäften und Behörden gibt es einfache Leitsysteme, damit KundInnen in eine Richtung ­gehen und sich nicht entgegenkommen. In den viel engeren Bahnwaggons zwängen sich Fahrgäste mit Körperkontakt aneinander vorbei.

In Italien sind die Türen in Zügen für ausschließliches Ein- oder Aussteigen gekennzeichnet. Zugbegleiter werden dazu angehalten, auf den Mindestabstand von 1,5 Metern zu achten. PendlerInnen bekommen einen Beutel mit Desinfektionsmittel, Schutzmaske und einem frischen Tuch für die Kopfstütze. Auf dem Boden der Waggons zeigen Pfeile, in welche Richtung sich Reisende bewegen sollen. In den Zügen der Deutschen Bahn gibt es das nicht, damit die Reisenden zur Toilette und zurück gehen können, heißt es. Das ist nicht überzeugend, denn dieser Fall ist mit einer Extraregel sicher zu bewältigen.

Drängelei im Berufsverkehr

Die Missstände in den Fernzügen der Deutschen Bahn sind erst recht im öffentlichen Nahverkehr zu beobachten. Vielerorts drängeln sich PendlerInnen im Berufsverkehr in Bussen und Bahnen. Auch wenn es hier ebenfalls keine belastbaren Studien gibt: Wer soll glauben, dass überfüllte Fahrzeuge kein Infektionsrisiko ­bergen? In anderen Ländern wird die Lage im öffentlichen Verkehr nicht so auf die leichte Schulter genommen wie hierzulande.

In Argentinien sollen in Stoßzeiten nur Angehörige sogenannter essen­zieller Berufe den ÖPNV nutzen. In Japan fahren die Nahverkehrsbahnen mit geöffneten Fenstern, um Luftdurchzug zu gewähren – eine Maßnahme, die bereits in den USA und anderen Ländern zu Zeiten der Spanischen Grippe 1919 ergriffen wurde. In Deutschland dagegen schicken Verkehrsbetriebe mitten im Berufsverkehr Leute für die Fahrkartenkontrolle los. Wo sind Desinfektionsspender und Servicekräfte, die für Abstand sorgen? Leitsysteme, um Fahrgastströme zu lenken?

KundInnen zurückzugewinnen wird schwer sein. Dabei gibt es auch in Deutschland kluge Ansätze. In Tübingen etwa können SeniorInnen, statt mit dem Bus zu fahren, zum gleichen Preis ein Sammeltaxi nutzen. Solange das ein Angebot und keine Pflicht ist, weist das in die richtige Richtung – in Richtung Verkehrswende. Um die Krise des öffentlichen Verkehrs zu überwinden, muss schnell etwas geschehen. Dazu gehört nicht nur die rasche Einführung überzeugender Schutzmaßnahmen. Nötig ist auch ein großer politischer Aufschlag für die überfällige Bahnreform und die Neuaufstellung des ÖPNV. Busse und Bahnen müssen besser und viel billiger werden.

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Anja Krüger
Wirtschaftsredakteurin
Buchveröffentlichungen: „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ (Knaur Taschenbuch Verlag, 2010), „Die Angstmacher. Wie uns die Versicherungswirtschaft abzockt“ (Lübbe Ehrenwirth, 2012).
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16 Kommentare

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  • Selbst naheliegendste Maßnahmen werden manchmal nicht getroffen. Ein privater Anbieter im Rhein-Main-Gebiet, vlexx, leistet sich sogar weiterhin Erste-Klasse-Abteile im Regionalverkehr. Klar sind die so gut wie immer leer - auf Nachfrage meint das Unternehmen aber, die könne nur der jeweilige Zugbegleiter freigeben.

  • "Dass die Bahn jederzeit nutzbar ist, ist ein großer Vorteil."

    In einer Pandemie ist es aber ein Nachteil. Und von der Leere der Züge habe ich bislang wenig mitbekommen. Vielmehr stellt man fest, wie viel 25 Prozent Auslastung immer noch sind: der Mindestabstand ist jedenfalls keineswegs einhaltbar. Zugegeben, ich habe mich schon vor Corona über die Menschen aufregen können, die zB am Freitagnachmittag in einen EC von Berlin nach Hamburg steigen und dann mit großen Augen erstaunt feststellen, dass doch tatsächlich fast alle Plätze belegt sind und sie besser reserviert hätten. Aber jetzt kann ich wirklich nicht fassen, dass es immer noch Leute gibt, die nicht reservieren. Und wie spontan ist eine mit drei Rucksäcken bepackte Studentin denn wohl wirklich in den Zug gestiegen? Es ist doch nicht so, als seien 75 Prozent der Passagiere erst eine halbe Stunde vor Abfahrt auf die Idee gekommen, doch mal eine schöne Zugfahrt zu unternehmen.

    • @Suryo:

      Sie wissen, dass eine Reservierung Geld kostet? mMn auch unverschämt viel.

      • @Badabing:

        Vier Euro. Die sollte man sich vielleicht gerade noch leisten in diesen Zeiten.

        • @Suryo:

          Zum einen sind vier Euro für z.B. viele Studierende eine Menge Geld.

          Zum anderen ist es leider so, dass die Reservierungen zu den Zeiten, wo sie wirklich was nützen könnte, sehr oft nicht richtig funktioniert.

          Und das sage ich als jemand Mitte 50, der nie ein Auto hatte oder haben wollte, immer eine Bahncard 50 besass und jetzt erstmals überlegt die zu kündigen.

  • In meinem Umfeld sind etliche Bus-/Bahnfahrer zu Autofahrern geworden, weil sie keine Lust auf die Maskenpflicht haben. Sobald diese abgeschafft wird, würden sie wieder Bus/Bahn fahren.

  • alle lernen ...

    2022 sind wir alle schlauer, über welche massnahmen sofort helfen und welche ohne wert sind.

    alles ein lernen ...

  • Ja, die Bahn könnte mehr tun. Das würde aber höchstwahrscheinlich nicht viel an der derzeitigen Unbeliebtheit der Züge und des ÖPNV insgesamt ändern.

    In den von Ihnen aufgeführten Ländern mit weitergehenden Schutzmaßnahmen sind die Fahrgastzahlen ebenfalls eingebrochen - teils noch deutlich stärker als in Deutschland (auch jetzt noch).

  • Einer der wichtigsten Gründe warum ich derzeit die Bahn meide, ist dass die Maskenpflicht nicht konsequent durchgesetzt wird. Es gibt eigentlich immer irgendwo Leute im Wagen, die sich darüber hinwegsetzen, und die Zugbetreuer ignorieren das.

    • @TheBox:

      Ja, im Zweifelsfall essen und trinken die die ganze Fahrt über...weil anderthalb Stunden ohne Brötchen ja auch inhuman wären.

  • Ich haben noch nicht einmal eine Aussage der Bahn gehört, ob in ihren Zügen Umluft-Klimaanlagen zum Einsatz kommen oder nur Frischluft aus den Düsen kommt.

    Ob das jetzt ein Hinweis auf bewußtes Verschweigen der schlechteren Variante ist, die 10 Monate nach dem Wuhan-Lockdown immer noch nicht verbessert wurde, oder auf völlige PR-Unfähigkeit, beides ist möglich.

  • Die Bahn macht viel falsch seit der Pandemie. Aber Verantwortlich ist sie nicht alleine. Wenn man die Studien zur Hauptansteckungsgefahr über Aerosole als Maßstab für Sicherheitsmaßnahmen nimmt braucht es ein Gesetz und eine Art Lüftungstüv denn jeden zweiten Platz sperren wie in Frankreich bringt bei einer Pandemie die vor allem über Aerosole von einem Wirt zum nächsten gelangt nur wenig Sicherheit. Da hilft nur die Luft direkt über den Köpfen nach oben absaugen und mit Frischluft von unten zuführen. (und nicht erst quer im Waggon verteilen bevor abgesaugt wird). Und da bei der Bahn normalerweise gerade was Heizung und Lüftung angeht schon bei knapp unter Null Grad oder über 20 Grad Störungen und Totalausfälle "normal" sind ists auch kein Wunder dass Fahrgäste diesbezüglich kein Vertrauen in "Bahnfahren ist sicher" Behauptungen haben. Fahrgäste fühlen sich zu Recht dem Zufall ausgeliefert ob in ihrem Wagen die Lüftung a) überhaupt und b) Ansteckungssicher funktioniert und nicht etwa noch die Viren gleichmäßig im Waggon verteilt.

    • @Nina Janovich:

      Warum frägt nicht auch die Presse nach der Lüftung in den Zügen: Wie viel, woher, wie geregelt - wird automatisch weniger Frischluft zugeführt, wenn weniger Reisende im Zug sind? Letzteres ist ganz normale Praxis in normalen Zeiten.



      Wird auch weniger gelüftet, um irgendwelche Kphlungsziele zu erreichen (im Sommer ist es ja ohnehin meistens zu kalt im ICE, da würde etwas mehr warme Frischluft auch deshalb guttun).

  • Wen soll das wundern? Verfügt doch die Lobby der Autoindustrie mit dem KBA [1] über ein Implantat mitten im Verkehrsministerium?

    So lange sich das nicht ändert werden wir nur Lippenbekenntnisse hören über eine Stärkung der Bahn und werden verwundert zuschauen, wie die Autos mehr, fetter und mörderischer werden.

    [1] de.wikipedia.org/w...raftfahrtbundesamt

  • ...das Schlimme ist, die Hygiene-Teams gibt es nicht wirklich, zur Zeit muss ich jeden 2. Tag zur Arbeit mit Bus und Bahn pendeln, die Züge sind nicht voll, wenn dann aber das Taschentuch auf dem Mülleimer vom Montag am Mittwoch immer noch unberührt daliegt, dann fühle mich dann doch irgendwie ganz schön verarscht...😩

  • Echt jetzt?! Seit wann betreibt der Fernverkehr der DB SPNV? Liebe Taz, bitte mehr Mühe geben. So einen Quatsch habe ich lange nicht mehr gelesen. Habe gehört, in diesem Land soll es eine nicht unerhebliche Menge von privaten EVU's geben die alle eifrig im SPNV tätig sind. Wie läuft es bei denen? Zum Glück fährt der FV eifrig. Nicht wie Flix erstmal kneifen wenn Gewitter kommt. Wäre ohne den Fernverkehr aufgeschmissen gewesen.