Notfallmanagement der Deutschen Bahn: Fahrgäste bleiben auf der Strecke
Immer wieder bleiben Züge liegen. Oft weit entfernt von Bahnhöfen. Die Bahn hat dafür ein Notfallmanagement. Aber wie gut funktioniert das?
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„Man konnte kaum noch atmen“, berichtet Mati, der mit einem Freund und dessen Tochter im besagten Regionalzug saß, der taz. Er möchte seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. „Mir wurde richtig schwindelig, eine Frau kollabierte sogar. Es herrschte Panik in unserem Waggon. Andere Fahrgäste haben ein Notfallfenster eingeschlagen, um an Luft zu kommen.“
Obwohl das Zugpersonal durchgesagt habe, dass es wegen Stromschlaggefahr verboten sei, auf die Gleise zu gehen, hätten einige Fahrgäste eigenmächtig den Zug verlassen und seien zum nahe gelegenen S-Bahnhof Birkenwerder gegangen, sagt Wolfgang Lange von der Freiwilligen Feuerwehr Birkenwerder. Auch Mati hatte sich dazu entschlossen: „Wir standen wirklich unter Schock – wir hatten Angst, in dem Waggon zu sterben“. Gemeindewehrführer Lange sagt der taz: „Es hätte alles ein bisschen koordinierter laufen können. Anweisungen von der Deutschen Bahn (DB) kamen immer nur auf Nachfrage.“ Die Feuerwehr versorgte die Fahrgäste mit Wasser – „Da kam von der DB gar nichts“. Das Bahnpersonal sei eher damit beschäftigt gewesen, ihre Gleise wieder in Betrieb zu nehmen, vermutet Lange.
Die Linksfraktion im brandenburgischen Landtag fordert, dass sich solche Fälle nicht wiederholen. Ihr verkehrspolitischer Sprecher, Andreas Büttner, sagt, bei Hitze sei es „extrem gefährlich, wenn viele Menschen ohne Klimaanlage, ohne Informationen, ohne ausreichend Trinkwasser und ohne medizinische Versorgung in einem defekten Zug festsitzen“. Fahrgäste seien auf ein gutes Notfallmanagement angewiesen. „Das scheint offenbar regelmäßig nicht zu funktionieren“, stellt Büttner fest.
23.000 Zugfahrten pro Tag
Immer wieder gibt es Berichte zu Evakuierungen in den Medien. Die Anfrage, wie viele es in den letzten Monaten gab, beantwortet die Bahn der taz nicht. Gemessen an den rund 23.000 Zugfahrten der DB pro Tag sei die Zahl der Evakuierungen gering, sagt ein Bahnsprecher. Es handele sich dabei um Einzelfälle im niedrigen Promillebereich. Auch seien nicht mehr Züge als zuvor liegen geblieben, das komme immer mal wieder vor.
Das Notfallmanagement der Bahn ist hoch komplex, schließlich muss es das europaweit größte Schienennetz von 35.000 Kilometern umfassen. Eine DB-Sprecherin betont, Ziel sei es, alle Reisenden schnellst- und bestmöglich weiterreisen zu lassen. Das Notfallkonzept habe sich in langjähriger Erfahrung bewährt.
Muss ein Zug evakuiert werden, wird der zuständige DB-Notfallmanager alarmiert. Dieser ist durch eine zusätzliche Ausbildung qualifiziert, Notfalleinsätze zu leiten. Vor Ort erfasst er die Situation: Im Idealfall kann der Zug noch in den nächsten Bahnhof rollen. Andernfalls muss ein zweiter Zug auf das Gegengleis fahren, um die Passagiere aufzunehmen. Nur als letzte Option werden die Fahrgäste über die offenen Gleise evakuiert.
Nach Plan hat die Evakuierung eines ICE am 28. Juni in Rödental bei Coburg funktioniert. 200 Fahrgäste mussten den Zug verlassen, weil der Antrieb ausgeblieben ist. „Die Absprache mit der DB verlief reibungslos“, sagt Sebastian Sorge, Stadtbrandinspektor der Freiwilligen Feuerwehr Coburg. Er war der Einsatzleiter bei dem Vorfall. „Von der Ausstattung her hätte sich die Bahn selbst helfen können. Wir waren nur da, um die Gleise auszuleuchten, und haben geholfen, die Fahrgäste mit Koffern und Fahrrädern in den Ersatzzug zu leiten.“ Der Einsatz habe maximal eine Stunde gedauert, berichtet Sorge.
Zu wenig Fachpersonal
Ganz anders verlief die Evakuierung des ICE 79 von Berlin nach Zürich, der am 25. Juni wegen einer technischen Störung auf der Saale-Elster-Talbrücke stecken blieb. Die Evakuierung dauerte fast viereinhalb Stunden, zwei Stunden davon lief die Klimaanlage nicht, die Fahrgäste warteten lange ohne Informationen. Eine Journalistin der Deutschen Welle, die sich im Zug befand, berichtete auf der Plattform „X“, die Türen seien geöffnet worden, um Luft in den Zug zu lassen. Dafür wurde das Nachbargleis gesperrt. Damit der Evakuierungszug auffahren konnte, wurden die Türen aber aus Sicherheitsgründen kurz darauf wieder geschlossen. Weil von den 800 Fahrgästen nur 650 reinpassten, mussten die 150 weiteren Passagiere auf einen weiteren Zug warten.
Birgit Milius, Leiterin des Fachgebietes Bahnbetrieb und Infrastruktur an der TU Berlin, erklärt, die Evakuierungsprozesse dauern so lange, weil viele Menschen mit Fachkenntnissen involviert werden müssen. Ist die 15.000-Volt-Oberleitung kaputt, muss sichergestellt werden, dass die Spannung die Fahrgäste nicht gefährdet. Um die Oberleitung erden zu können, brauche man eine spezifische Ausbildung. „Es ist sicherlich auch ein Problem, dass es zu wenig Fachpersonal gibt“, sagt die Professorin. So gibt es bundesweit rund 1.000 DB-Notfallmanager. Davon sind aber nur 160 an einem Tag im Dienst.
Dem Fahrgastverband ProBahn zufolge könne es im Extremfall passieren, dass der nächste Notfallmanager 150 Kilometer entfernt ist. Dabei sollte es laut DB höchstens 30 Minuten dauern, bis ein Notfallmanager vor Ort ist. Neben mangelndem Personal und Ersatzzügen macht der Ehrenvorsitzende von ProBahn, Karl-Peter Naumann, die „sehr strikten Sicherheitsvorschriften“ verantwortlich. Es müssten Lösungen gefunden werden, wie die Bahn trotzdem schnell handeln kann, fordert Naumann. „Bei Evakuierungen könnte man manchmal mehr Mut haben. Gerade wenn es heiß ist und die Klimaanlage nicht mehr funktioniert, muss man schnell reagieren.“
Zudem klappt die Information der betroffenen Fahrgäste oft „nicht so, wie man es sich wünscht – schnell, umfassend und konkret“, sagt Bahnexpertin Milius. Von der Bahn heißt es dazu, oft müsse erst die Lage sondiert werden. Die Evakuierung des ICE 79 sei ein Ausnahmefall gewesen, sagt ein Bahnsprecher. Jede Evakuierung würde im Nachhinein ausgewertet und das Notfallmanagement entsprechend angepasst.
ProBahn sieht Politik in Verantwortung
Naumann von ProBahn sagt der taz, dass vieles bei den Zug-evakuierungen richtig laufe. Vor allem könne man der DB bei technischen Defekten keinen Vorwurf machen. Dass alte Züge eingesetzt würden, liege schlicht an der langen finanziellen Vernachlässigung der Bahn. Die Bahn investiert momentan massiv in neue Züge, bis 2030 fließen 12 Milliarden Euro allein in neue Fernverkehrszüge, wie ein DB-Sprecher sagt.
Naumann sieht vor allem die Politik in der Verantwortung: Diese müsse dafür sorgen, dass es mehr gemeinsame Ausbildungen für Bahn und Feuerwehr gibt und Letztere geschult wird, wie man die Oberleitung erdet. Das könnte die Evakuierungen beschleunigen, weil die Feuerwehr oft schneller vor Ort sei als der Notfallmanager. Dafür müsse Geld zur Verfügung gestellt werden, die Kosten dürften nicht immer an der Bahn hängen bleiben.
Der verkehrspolitische Sprecher der Linken, Andreas Büttner, fordert, dass Entschädigungsansprüche bei Hitze in die Verkehrsverträge mit dem Land aufgenommen werden. Fällt der Strom aus, übernehmen Batterien die Versorgung der Klimaanlagen, aber auch die sind bald leer. Laut einer Sprecherin der Deutschen Bahn würden in diesem Jahr pro Monat etwa drei neue ICEs mit zuverlässigeren Klimaanlagen eingesetzt. Büttner begrüßt das. „Mein Eindruck ist, dass sich die Bahn auf ICEs konzentriert und die Regionalzüge hinten runterfallen – die sind halt nicht so lukrativ“, so der Linksabgeordnete. Wenn die Bahn auch dann Geld an das Land zahlen müsse, wenn es in den Zügen wegen Hitze unerträglich wird, sei das ein guter Anreiz.
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