Reform bei der Deutschen Bahn: Auf die Schiene gebracht

Streiks bei der Bahn sind abgewendet, aber Verspätungen und Zugausfälle gehören weiter zum Reisealltag. Was soll die geplante Reform bringen?

Ein ICE fährt in Frankfurt durch eine Gewimmel von Stromleitungen und Schienen

Ein ICE fährt in den Hauptbahnhof Frankfurt ein. Ob er wohl pünktlich unterwegs ist? Foto: Paul Langrock

1. Im Tarifstreit zwischen Deutscher Bahn und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat es einen Schlichterspruch gegeben, den offenbar beide Seiten gut finden. Sind Streiks jetzt erst einmal abgewendet?

Ja. Höchstwahrscheinlich werden die Mitglieder der EVG den ausgehandelten Kompromiss annehmen. Er sieht eine stufenweise Lohnerhöhung von monatlich 200 Euro ab Dezember und weiteren 210 Euro ab August 2024 bei einer Laufzeit von 25 Monaten vor. Außerdem gibt es im Oktober eine einmalige steuer- und so­zial­ab­ga­ben­freie Infla­tions­ausgleichsprämie in Höhe von 2.850 Euro. Das klingt viel, bringt den Beschäftigten aber keinen Ausgleich für die erlittenen Reallohnverluste der vergangenen Jahre.

2. Und was ist mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL)?

Die wird versuchen, mehr herauszuholen. Aber für sie gilt wegen des laufenden Tarifvertrags noch die Friedenspflicht. Ihre Verhandlungen mit der Deutschen Bahn beginnen im Herbst. Ab Ende Oktober könnte sie dann zu Warnstreiks aufrufen.

3. Steigen die Ticketpreise durch die Lohnerhöhungen?

Vor allem für Leute, die spontan in den Zug steigen wollen, sind Tickets sehr teuer. Langfristig zu buchen kann dagegen sehr günstig sein. Welche Auswirkungen die Tariferhöhungen auf die Preise haben, ist unklar. Bahn-Chef Richard Lutz will sich erst im Herbst zu den Preisen äußern. Höhere Löhne führen aber nicht automatisch zu teureren Fahrkarten. Mit ein bisschen politischem Willen könnte Bahn fahren günstig sein.

Das bundesweit geltende 49-Euro-Ticket für den Regionalverkehr zeigt, was möglich ist. Der Staat steckt viele Milliarden in die Deutsche Bahn, als alleiniger Eigentümer könnte er für gute Preise sorgen. Für Fahrgäste sind die Lohnerhöhungen eine gute Botschaft: Stimmen Bezahlung und Arbeitsbedingungen, ist die Deutsche Bahn ein attraktiver Arbeitgeber. Und das muss sie werden. Sie sucht händeringend neue Mit­ar­bei­ter:in­nen. Im Moment fallen immer wieder Züge aus, weil es nicht genug Beschäftigte gibt.

4. Verspätungen, Zugausfälle, Streckensperrungen – bei der Deutschen Bahn läuft es auch ohne Streiks alles andere als rund. Wann wird es endlich besser?

Eine Entspannung der desolaten Lage ist leider nicht in Sicht. Die Generalüberholung der maroden In­fra­struk­tur dauert. Allein in diesem Jahr sollen 480.000 Schwellen ausgetauscht werden. Dadurch entstehen 400 zusätzliche Baustellen. Die Deutsche Bahn hat über Jahrzehnte nicht genug getan, um Schienen, Weichen und Wagen in Schuss zu halten. Jetzt wird im gesamten Schienennetz saniert und modernisiert. „Wir bauen den Investitionsstau systematisch ab“, sagt Bahn-Chef Lutz.

5. Die Bundesregierung plant eine große Bahn-Reform. Was soll das bringen?

Die Deutsche Bahn ist in einer chronischen Krise, hoch verschuldet, veraltet und schlecht geführt. Gleichzeitig sind die politischen Anforderungen enorm, denn die Passagierzahlen sollen massiv steigen. Die Deutsche Bahn ist das Rückgrat der Verkehrswende weg von der Dominanz des individuellen Autoverkehrs.

6. Was ist geplant?

Die Deutsche Bahn soll aufgespalten werden, allerdings sollen die beiden Teile unter einem Unternehmensdach bleiben. Das ist unter anderem deshalb wichtig, damit Aufträge innerhalb des Konzerns vergeben und nicht ausgeschrieben werden müssen.

Nach den derzeitigen Plänen soll zum 1. Januar 2024 eine neue ­Infrastrukturgesellschaft entstehen, in der die Töchter DB Netz und DB Station&Service zusammengefasst werden, also das Schienennetz und die Bahnhöfe. Sie soll den Namen InfraGo tragen und die Rechtsform einer Aktiengesellschaft bekommen. Das erstaunt Beobachter, denn eine GmbH wäre für den Eigentümer, also den Bund, besser zu steuern. Er könnte der Geschäftsführung direkt Anweisungen geben. Das Aktienrecht sieht das nicht vor.

Die neue Gesellschaft soll gemeinwohl­orientiert sein, das bedeutet, Gewinne blieben dort und könnten etwa für Investitionen ins Schienennetz ausgegeben werden.

7. Die Deutsche Bahn ist doch ein Staatskonzern! Sie muss sowieso gemeinwohlorientiert sein, oder?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Deutsche Bahn ist eine Aktiengesellschaft, die zu 100 Prozent im Besitz des deutschen Staats ist. Deshalb ist sie aber nicht automatisch gemeinwohlorientiert. Die Rechtsform sieht vor, dass das Unternehmen Profite macht und nicht in erster Linie für eine gute Versorgung der Bür­ger:in­nen sorgt.

Ursprünglich sollte die große Bahn-Reform von 1994, mit der die Bundesbahn und die Reichsbahn der DDR zusammengeführt wurden, die Weichen für eine spätere Privatisierung stellen. In den 2000er Jahren wurde der Börsengang der Deutschen Bahn vorbereitet, weshalb Strecken stillgelegt und Leute entlassen wurden. Der Börsengang wurde wegen der Finanzkrise 2008 abgeblasen. Unter den Folgen leiden die Fahrgäste und die Beschäftigten heute noch.

8. Und was ist sonst geplant? Die Zusammenlegung von zwei Konzerntöchtern kann ja wohl nicht alles sein.

Weitere Details stehen noch nicht fest. Auf Nachfragen der taz reagiert das Bundesverkehrsministerium nicht. Bran­chen­ver­tre­ter:in­nen werden wegen dieser Unklarheit langsam unruhig. Sie fürchten, dass die Reform vor allem auf dem Papier stattfindet und sich ansonsten nicht viel ändert. Das kann durchaus geschehen. Ob die Bundesregierung ihr Ziel erreicht, mehr Wettbewerb auf der Schiene zu erzeugen, ist also offen.

9. Mehr Wettbewerb? Geht das überhaupt bei nur einem Schienennetz?

Das geht – auch wenn es nicht unbedingt sinnvoll ist. Die Schienen gehören der Deutschen Bahn, aber sie muss Wettbewerber darauf fahren lassen. Darüber wacht die Bundesnetzagentur. Trotzdem fürchten Bahn-Konkurrenten Benachteiligungen. Im Fernverkehr ist der Staatskonzern fast Monopolist. Im Nah- und Güterverkehr dagegen gibt es sehr viele Wettbewerber. Im Güterverkehr haben die Konkurrenten einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent, Tendenz steigend.

Die Wettbewerber sind oft besser organisiert als die behäbige DB Cargo, die Güterverkehrstochter der Deutschen Bahn. Sie können ihre Kunden vielfach schneller, besser und günstiger bedienen. Die Deutsche Bahn hat mit der DB Schenker ein Tochterunternehmen, das auch Transporte auf der Straße verkauft. An einer Verlagerung von der Schiene auf die Straße haben die Ma­na­ger:in­nen der Deutschen Bahn also nur begrenzt Interesse.

Im Nahverkehr lag nach Angaben der Bundesnetzagentur der Marktanteil der Wettbewerber 2022 bei 33 Prozent. Dort liefern sich Anbieter bei Ausschreibungen einen harten Unterbietungswettbewerb auf dem Rücken von Beschäftigten und Fahrgästen. Erst vor Kurzem ging mit Abellio ein großer Anbieter in NRW, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg in die Knie.

10. Was muss geschehen, damit es mit der Bahn in Deutschland endlich vorangeht?

Dafür muss es den politischen Willen für einen massiven Ausbau des Angebots und genug Geld geben. Beides ist fraglich. Die Bundesregierung sieht bis 2027 zwar einen Investitionsbedarf von 45 Milliarden Euro. Ob tatsächlich so viel Geld fließt, ist aber ungewiss. Und mit Geld allein ist es nicht getan. Die Deutsche Bahn ist ein schlecht gemanagter Großkonzern.

Ohne bessere Führungskräfte und einen konsequenten Umbau des Konzerns ist die Krise nicht zu überwinden.

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