Norbert Röttgen über Minsk II: „Putin hat keine Vision für sein Land“
Der Westen läuft den Krisen hinterher. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages wünscht sich eine vorausschauendere Politik.
taz: Herr Röttgen, wie beurteilen Sie das neue Minsker Abkommen?
Norbert Röttgen: Das Ergebnis begründet die Hoffnung, dass ein Ende des Blutvergießens erreicht werden kann. Alles hängt aber an dem Willen insbesondere der von Moskau unterstützten Rebellen, die Vereinbarung auch umzusetzen.
Wieviel Hoffnung haben sie, was die Umsetzung des Abkommens betrifft?
Es gibt viele Begleitumstände der Verhandlung, die Zweifel an der Bereitschaft zur Umsetzung begründen. Wir müssen also abwarten und hoffen.
Bevor wir auf Russland zu sprechen kommen – sollte der Westen nicht auch selbstkritisch sein an manchen Punkten?
Ja, absolut. Allerdings ist nach meiner Einschätzung nichts falsch gemacht worden, was Wladimir Putins Tun entschuldigt. Außerdem hat alles seine Zeit. Jetzt ist akutes Handeln gefragt. Die Zeit zu sagen, welche Fehler haben wir gemacht, die muss dann noch kommen.
Was sollte dem Westen in diesen Tagen nicht noch einmal passieren?
Es sollte vor allem nicht passieren, dass wir unvorbereitet sind. Das ganze Jahr 2014 mit all seinen internationalen Konflikten, Russland, IS Ebola, hat uns unvorbereitet getroffen. Wir sollten uns also auch etwas vorausschauend und nicht nur hinterhereilend mit möglichen Krisenlagen beschäftigen.
Jahrgang 1965. Der CDU-Politiker war parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion und Bundesminister für Umwelt. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages.
Was heißt das konkret?
Bei internationalen Krisen haben wir in der Vergangenheit fast durchgängig weggeschaut, auch dann, wenn sie schon erkennbar waren. Wir haben uns zu sehr auf das verlassen, was wünschbar ist und zu wenig in Szenarien des Möglichen gedacht. Die politische Beschäftigung mit Krisen ist oft an die mediale Aufmerksamkeit gebunden. Aber Außenpolitik muss auch dann wirksam sein, wenn Krisen nicht im Fernsehen sind. Die Syrien-Krise war im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit, als eine amerikanische Intervention drohte. Die wurde abgewendet durch russische Vermittlung. Das Morden ging weiter, aber die Beschäftigung mit der Krise hat geendet. Solche Fehler müssen wir abstellen.
Gerade erleben wir eine Art Showdown der Diplomatie. Wird dabei nicht zu viel über die Ukraine geredet und zu wenig mit der Ukraine?
Das glaube ich nicht. Woanders sehe ich schon einen Mangel. Wenn wir klar sind in der Ablehnung von Waffenlieferungen, weil sie nicht helfen, sondern eskalieren, dann müssen wir klar machen, dass wir den Aufbau von Staat und Wirtschaft in der Ukraine umfassend und stärker als bislang unterstützen.
Worum geht es dem Westen beim Ukraine-Konflikt, um ein Gesellschaftsmodell nach unserem Vorbild oder um die Erweiterung seiner Einflusssphäre?
Es geht um die Ukraine und gleichzeitig um viel mehr. Es geht um die europäische Friedensordnung, die von Putin verletzt wird, um die Wiederherstellung dieser europäischen Friedensordnung als das Resultat des blutigen 20. Jahrhunderts. Es geht darum, den hegemonialen Machtanspruch, den Putin erhebt, zurückzuweisen. Dieser Machtanspruch nach außen geht einher mit einer gesteigerten Repression im Inneren. Viel kleiner kann man es leider nicht sagen: es geht um Frieden, Sicherheit und Freiheit in Europa.
Sehen Sie denn eine Gesamtstrategie bei Wladimir Putin?
Für mich hat Putin keine Strategie, auch keine Vision für sein Land. Er handelt taktisch. Es ist eine taktische Reaktion auf die Maidan-Bewegung, von der er sich doppelt bedroht sah. Er befürchtete, dass der Rote Platz der nächste Maidan werden könnte. Es ist der Freiheitsbazillus, den er am meisten fürchtet. Im Hinterkopf hat er dabei den Zerfall der Sowjetunion, die Angst vor einem weiteren Verlust des territorialen, geopolitischen Einflussbereichs. Ausdruck seiner Schwäche und nicht seiner Strategie ist, dass er militärische Mittel einsetzt.
Erfolgreich. Die Krim scheint für die Ukraine verloren.
Die Bundesrepublik und Europa, der Westen muss bei der klaren völkerrechtlichen Position bleiben, dass die Krim zur Ukraine gehört und die Annexion rechtswidrig ist. Aber auf der Krim gibt es zurzeit keine ukrainischen Staatsgewalt.
Die Krim ist also verloren?
Die Macht des Faktischen liegt bei Russland, aber die normative Macht, also das Völkerrecht, steht dafür, dass die Krim Teil des ukrainischen Staates ist. Macht und Völkerrecht stehen gegeneinander.
Teilen Sie die Befürchtung, dass Putin sein militärisches Vorgehen ausdehnt auf andere ehemalige Mitgliedstaaten des sowjetischen Reiches?
Ich glaube, dass Putin seine und Russlands geopolitische Macht so weit wie möglich ausdehnen will und wird. Und das heißt, dass er dieser Logik folgen wird, so viel nehmen wird, wie er kriegen kann.
Und wie sollte der Westen darauf reagieren?
Wenn wir dabei bleiben, den Konflikt asymmetrisch zu führen, ihn nicht militärisch zu beantworten, was ich für unbedingt richtig halte, heißt das, dass kurzfristig die Handlungshoheit und die taktischen Gewinne auf Seiten von Putin sind. Mittel- und langfristig wird er scheitern, weil er in eine Sackgasse läuft. Die Folge seines Handelns ist die Isolierung Russlands. Was aber unsere Zeit ausmacht, ist eine wachsende Interdependenz, Globalisierung. Also geht es um Zeit und dafür ist das strategische Gut des Westens seine Einheit und Einigkeit. Das ist übrigens der wesentliche Sinn von Sanktionen. In wirtschaftlichen Sanktionen drücken sich die Entschlossenheit und die Einheit des Westens aus.
In den USA werden Waffenlieferungen offensiv ins Gespräch gebracht. Francois Hollande und Angela Merkel diskutieren alleine mit Putin. Gibt es denn diese Einigkeit des Westens überhaupt?
Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es sie. Es gibt keine Waffenlieferungen, es gibt wirtschaftliche Sanktionen und es gibt ein einheitliches politisches und wirtschaftliches Vorgehen gegenüber Putin. Käme es zu Waffenlieferungen, gäbe es in einer sehr wesentlichen Frage unterschiedliche Verhaltensweisen. Das würde den Westen nicht stärken.
Nimmt das deutsch-amerikanische Verhältnis Schaden durch die klare Festlegung von Angela Merkel, keine Waffenlieferungen zu unterstützen?
Nein, das glaube ich nicht. Es war richtig, sich gegen Waffenlieferungen auszusprechen. Ich halte es aber auch für legitim, dass die Diskussion über Waffenlieferungen geführt wird. Ich finde, man muss das auch respektieren, weil sie auch differenziert von vielen begründet wird. Vielleicht haben wir zu wenig miteinander diskutiert, bevor die Diskussion öffentlich und kontrovers geworden ist. Ein weiterer Punkt, aus dem wir lernen sollten, dass das transatlantische Gespräch als Dauergespräch ungemein wichtig ist.
Kann Europa noch einheitlich handeln? Die Erfolge populistischen Parteien scheinen dagegen zu sprechen.
Es ja auch Putins Interesse, den Westen zu spalten – die USA und Europa, aber auch die europäischen Gesellschaften. Er finanziert den Front National, weil das eine Kraft ist, die destruktiv in Frankreich wirkt. Europa ist zudem selbst in einer krisenhaften Verfassung, die wir auch überwinden müssen, um die notwendige Handlungsfähigkeit in der äußeren Krise zu erhalten.
Hat an der inneren Krise Europas nicht auch die deutsche Sparpolitik einen Anteil?
Ich würde es anders ausdrücken. In der Schicksalsfrage Europas, der Wirtschaft, müssen wir zu einem Konsens kommen. Wenn es dabei bleibt, dass es hier einen tiefgehenden Dissens gibt, wie wir mit der Herausforderung der Euro-Krise, des fehlenden Wachstums und hohen Arbeitslosigkeit, vor allem Jugendarbeitslosigkeit umgehen, wird sich das auch auf die äußere Geschlossenheit auswirken. Dazu muss auch Deutschland einen Beitrag leisten.
Was heißt das auf die Politik des Finanzministers Wolfgang Schäuble bezogen?
Es geht nicht um einen Minister, es geht darum, dass auch wir alles daran setzen müssen, dass es zu Kompromisslösungen in Wirtschafts-, Währungs- und Sozialfragen kommt. Es reicht nicht, dass wir austauschen, was wir für uns und für sich genommen für richtig halten. Wir müssen zu einem europäischen Konsens und Kompromiss kommen.
Erklärt sich so das starke diplomatische Engagement der Bundesregierung in diesen Tagen? Kann Europa schon bald nicht mehr mit einer Stimme verhandeln?
Das ist hat viel eher humanitäre Gründe. Denken Sie an die Tausenden eingekesselten Soldaten in Debalzewe. Im Übrigen will ich Ihnen aber Recht geben: Ich beobachte in Europa eine zunehmende Renationalisierung. Das politische Verhalten in den europäischen Ländern wird immer mehr danach ausgerichtet, wie man zu Hause Applaus bekommt. So gefährden wir unsere europäische Handlungsfähigkeit. Wenn jeder auf sich blickt und für sich redet, ist das der Keim, der die Einheit Europas gefährdet.
Nun wird durchaus befürchtet, Angela Merkels diplomatische Offensive könnte nicht erfolgreich sein. Warum geht sie das Risiko wohl ein?
Weil dieses Risiko, dass man politisch nicht zum Erfolg kommt, ein ungleich geringeres ist im Verhältnis zu dem Risiko, was zu erwarten ist, wenn man es erst gar nicht versucht. Es geht um die Verhinderung weiteren Blutvergießens in der Ostukraine.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus