Nobelpreisträger zu Deutschland und TTIP: „Ihr seid auf der Verliererseite“
Deutschland braucht das Handelsabkommen nicht, sagt der US-Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz. Nichts darin sei wichtig für das Land.
taz: Mister Stiglitz, vor allem in Deutschland gibt es Widerstand gegen TTIP – was halten Sie davon?
Joseph E. Stiglitz: Meiner Meinung nach liegen die Gegner von TTIP richtig. Das Abkommen ist zwar noch nicht fertig verhandelt. Doch wohin die Reise geht, können wir an der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) sehen. TPP war ein schlechter Deal für die meisten Amerikaner, es ist das schlechteste Abkommen aller Zeiten. Vielen wird es dadurch nicht besser, sondern eher schlechter gehen!
Was ist schlecht am Abkommen zwischen den USA und elf Pazifik-Anrainerstaaten?
Das TPP-Abkommen hat drei Teile: Es geht um Handel, Investitionen und um das geistige Eigentum. TPP soll angeblich den amerikanischen Bürgern und den Unternehmen dienen. Doch mittlerweile wenden sich sogar Firmen wie Blackberry gegen das Abkommen. Auch die Gewerkschaften machen sich Sorgen. Bisher fällt die Handelsbilanz mit den Pazifikstaaten nämlich noch positiv aus. Wenn TPP wie angekündigt zu einer ausgeglichenen Handelsbilanz führen sollte, dann würden wir in den USA Jobs verlieren.
In Deutschland hören wir das Gegenteil. TTIP soll einen neuen „Goldstandard“ für den Handel schaffen, verspricht Bundeswirtschaftsminister Gabriel . . .
Das haben sie uns bei TPP auch erzählt. Dabei ist nicht alles Gold, was glänzt – TPP ist ein Schritt zurück. Als das Abkommen ausgehandelt wurde, hat man uns versprochen, dass der Einfluss Chinas zurückgedrängt werde. Doch ein Großteil der Produkte, die aus dem Pazifikraum stammen, ist made in China. Das ist doch unehrlich! Auch der Schutz des geistigen Eigentums ist eine Mogelpackung. In Wahrheit geht es vor allem um den Schutz der amerikanischen Pharmaindustrie.
Was heißt das für Europa?
Dass es auch ohne geht. Ihr habt doch schon einen guten Schutz des geistigen Eigentums, dafür braucht ihr kein TTIP. Dasselbe gilt für den Investitionsteil. Das wird die Gesetzgebung im Umweltschutz oder bei der Bankenregulierung erschweren. Zudem werden Investitionen in den Klimaschutz erschwert. Da seid Ihr mit TTIP auf der Verliererseite!
war Chefökonom der Weltbank und lehrt an der Columbia University. Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 2001
So wird das in Brüssel aber nicht dargestellt. Die EU will Investitionen erleichtern, nicht verhindern.
Das ist nur ein Vorwand. In Wahrheit geht es doch darum, Regulierungen zu verhindern, Besteuerung zu verhindern. Die Unternehmen möchten nicht vor verlorenen Investitionen geschützt werden, sondern vor verlorenen Profiten. Gleichzeitig verlangen sie Subventionen. Treibhausgase nicht zu besteuern, ist eine versteckte Subvention.
Was halten Sie von den geplanten Schiedsgerichten für Investoren?
Am Sonntag, 24.4., eröffnen US-Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel die Hannover-Messe. Sie sprechen auch über das umstrittenen Handelsabkommen TTIP, das die EU und die USA in diesem Sommer unter Dach und Fach bringen wollen. Kritiker fürchten, dass mit TTIP Konzerne mehr Macht bekommen und wichtige Verbraucher- und Umweltstandards sinken werden. Am Samstag wollen Zehntausende in Hannover protestieren. Die taz begleitet die Besuche mit einem TTIP-Special am Freitag.
Sie sind unnötig. Die USA sind eine Demokratie, Deutschland ist eine Demokratie. Niemand glaubt, dass Deutschland das Eigentum von amerikanischen Unternehmen unrechtmäßig beschlagnahmen würde.
Trotzdem setzt sich Deutschland besonders für TTIP ein.
Nicht Deutschland ist für TTIP, sondern die deutsche Bundesregierung.
Okay, aber ist es nicht logisch, dass der Exportweltmeister für Freihandel eintritt?
Kein Aspekt von TTIP ist wirklich wichtig für Deutschland. Die geplante Harmonisierung technischer Normen ließe sich auch ohne TTIP regeln. Inzwischen wissen wir doch, dass die Wachstumseffekte von Freihandel klein, die Verteilungswirkungen aber groß sind. Erstaunlicherweise wird darüber nicht viel diskutiert.
Lässt sich das Abkommen noch retten?
Die Europäer versuchen, die Fehler bei TTIP zu beheben. Doch die Probleme liegen nicht in Europa, sie liegen im US-Handelsministerium. Ich glaube, dass die Europäer gern ein gutes Abkommen hätten. Aber kein Abkommen ist immer noch besser als ein schlechtes Abkommen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Türkei und Israel nach Assad-Sturz
Begehrlichkeiten von Norden und Süden
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“