Neues Stück der Neuköllner Oper: Piraten, Fürsten, Popmusik

Mit dem Stück „Radioland“ folgt die Neuköllner Oper der unglaublichen Geschichte eines Piratensenders. Alles begleitet von einer Pilzkopfband.

Vier Darsteller:innen mit weitausgreifenden Bewegungen vor lila Licht im Hintergrund

Ein Hauch von britischer Exzentrik, ein Hauch Las Vegas: Szene aus „Radioland“ Foto: Neuköllner Oper

Die Geschichte der Mikronation Sealand ist so irre, dass man sich wundert, sie noch nie verfilmt gesehen zu haben. Nun versucht die Neuköllner Oper mit „Radioland“ aus dem Stoff einen Theaterabend mit ordentlich vielen Musical-Elementen zu drechseln. Text und Regie übernahm Fabian Gerhardt.

Verarbeitet wird die wahre Historie eines spleenigen ehemaligen Majors der Britischen Armee, Patrick Roy Bates, der gegen die Nazis gekämpft hatte und sich seit 1967 Fürst Roy nennen ließ, Herrscher eines selbsternannten, nur ein paar Quadratmeter großen Staates vor der Küste Englands. Erst versuchte er Mitte der Sechziger auf einer der Seefestungen, die die British Army während des Zweiten Weltkriegs auf Plattformen in der Nordsee errichtet hatte, um deutsche Militärflugzeuge abzuwehren, einen Piratensender zu betreiben.

„Radioland“: Neuköllner Oper, bis zum 26. Februar jeweils Donnerstag bis Sonntag

Damit war er nicht der Einzige zu dieser Zeit, die BBC spielte da noch keine Popmusik, vor allem weil sie mit der Musikergewerkschaft im Clinch lag.

Auf Schiffen tuckerten damals Piratensender außerhalb britischer Hoheitsgewässer herum, um DJs genau diese Pop-Platten auflegen zu lassen und dabei Werbeeinnahmen zu kassieren. Auf die hatte es auch Bates abgesehen.

Konkurrenz für die BBC

Er übernahm mit seiner Familie eine weitere dieser ehemaligen Seefestungen, noch weiter entfernt von der Küste, weil er sich so sicherer vor Sanktionen der Behörden glaubte. Doch dann begann auch die BBC, endlich die Musik der Stones, der Beatles und all der anderen Beat- und Rockbands zu spielen.

Gleichzeitig ging das Vereinigte Königreich stärker gegen die Piratensender vor. Die DJs legten nun lieber auf dem Festland auf, anstatt mühsam auf die trostlose Plattform der Bates-Familie in der Nordsee zu schippern und sich von Dosenessen ernähren zu müssen.

Und die paar Bewohner der Insel auf Betonstelzen mussten jederzeit damit rechnen, von der Wasserpolizei besucht zu werden. Doch sie wehrten sich, verwiesen darauf, sich außerhalb des britischen Hoheitsgebietes zu befinden, und erklärten kurzerhand, der Obrigkeit des unabhängigen Fürstentums Sealand zu unterstehen. Das bekam mit den Jahren eine eigene Verfassung, Briefmarken, Währung und natürlich eine Nationalflagge. Und es existiert heute noch.

Dieser verrückten Geschichte entsprechend bunt ist das Stück „Radioland“ inszeniert. Auf der Bühne liefert eine siebenköpfige Band, deren Mitglieder allesamt Sixties-Pilzkopf-Perücken tragen, eine fast permanente Sounduntermalung, arrangiert und komponiert von Christopher Verworner und Misha Cvijović.

Nichts los auf der Festung, nur die Möwen kreisen

Die Handlung selbst wird auf eine Plattform vor der Bühne verlegt, die die echte Seefestung nachahmt. Es wird viel gesungen, auch mal opernhaft. Fürst Roy wird von Stefanie Dietrich verkörpert, seine Gattin hingegen von dem Schauspieler Meik van Savern. Warum dieses Crossdressing? Wahrscheinlich um noch deutlicher zu zeigen, dass man kein bierernstes Historiendrama entwerfen wollte.

Es geht um die Kohle

Dabei werden die realen Ereignisse durchaus stimmig nacherzählt. Für genügend Konfliktpotenzial ist gesorgt. Papa Bates möchte mithilfe windiger Geschäftsideen endlich wieder Kohle in seinem Fürstentum verdienen. Während Tochter Penny den revolutionären Geist, der einst zur kuriosen Staatsgründung geführt hat, konservieren möchte. Gleichzeitig ist da auch diese gähnende Langeweile. Nichts los hier, nur die Möwen kreisen.

Bis dann der halbseidene ­Hermann Ze German aufaucht, als Deutscher zu erkennen an seiner Trachtenlederhose und den Tennissocken unter den Sandalen. Der ­unter­breitet Fürst Roy im Auftrag eines ­gewissen Alexander Gottfried ­Achenbach den Vorschlag, auf Sealand eine Art Las Vegas auf hoher See zu errichten. Und ist dann Teil ­eines Coup d'Etats: Die ­Deutschen wollen Sealand ­einfach ­übernehmen und ­kidnappen Sohn Michael.

Kaum zu glauben: Aber auch diese ­Episode hat sich wirklich zugetragen. Beinahe hätten diese Deutschen, Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, doch noch vor Englands Küste etwas erobert. Doch die Übernahme misslang und Sealand war wieder frei.

Der utopische Wunsch nach Freiheit hat zu Sealand geführt und dessen Schicksal geprägt. Diese etwas naive Sichtweise wird in „Radioland“ dann doch zu penetrant verbreitet. Das echte Sealand war und ist letztlich kein Ort der Freiheit. Fürst Roy hat aus ihm eine konstitutionelle Monarchie gemacht. Und bis heute versuchen seine Nachkommen, unbedingt Geld mit ihrer Mikronation zu verdienen. Aktuell mit dem Verkauf von Adelstiteln, die eigentlich nichts wert sind.

Wohin der Wunsch führen kann, endlich nur noch seinen selbst gemachten Gesetzen folgen zu wollen, kann man letztendlich an den derzeitigen Auswüchsen der Reichsbürgerszene sehen.

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