„Romeo und Julia“ Musical in Berlin: Liebe, Tod und Weichspüler

Das neue Musical im Theater des Westens heißt „Romeo und Julia“. Es ist eine Show voll Herzschmerz und vielen Schlagermomenten zum Mitklatschen.

Ein junger Mann mit dunklen Locken und bestickter Weste kniet an der Rampe

Paul Csitkovics als Romeo sinkt vor lauter Liebe öfter in die Knie Foto: Stefan Graefe

Bevor „Romeo & Julia – das Musical“ beginnt, verspricht eine tiefe Männerstimme aus dem Off, dass man in den nächsten drei Stunden jede Menge „Liebe, Sex und Tod“ erleben wird. Das Publikum johlt und mit Krawumm startet die Musical-Maschine durch. Von null auf hundert in nur wenigen Sekunden.

Eine halbe Stunde vorher trifft man auf den „Romeo & Julia“-Fanclub vor dem Theater des Westens in Berlin, in dem das neue Musical von nun an seinen festen Platz haben wird. Eine Frau strahlt über beide Ohren, dass sie es noch rechtzeitig zur zweiten Preview geschafft hat. Sie sei auch schon bei der ersten Preview gewesen, und die war: „Ganz, ganz toll!“ Der Fanclub habe vorab sogar Flyer verteilt, um auf die neue Produktion aufmerksam zu machen, erzählt eine andere stolz. Und: Dass ihr Club aus dem „Ku’damm 56“-Fanclub hervorgegangen sei. So hieß das Vorgänger-Musical im Hause, das eine Adaption der erfolgreichen gleichnamigen ZDF-TV-Serie war.

Im Foyer sieht man erwartungsfreudige Paare in Abendgarderobe. Für Hardcore-Fans gibt es „Romeo & Julia“-Tassen, Schlüsselanhänger und Socken. Auf der Sitzlehne klebt ein QR-Code, über den man auf den dazugehörigen Soundtrack zugreifen kann.

Hinter der Musik stecken, wie schon bei „Ku’damm 56“, die Musikproduzenten Peter Plate und Ulf Leo Sommer. Plate werden viele als den männlichen Part der Deutschpop-Band Rosenstolz kennen. Deren sentimentaler Song „Liebe ist alles“, der an diesem Abend sein Revival feiert, sei auch die Inspirationsquelle für die neue Produktion gewesen, heißt es im Pressematerial.

Emotionen blinken elektrisch

„Romeo & Julia“ gehört wie „König der Löwen“ zum Repertoire des Unterhaltungs-Giganten Stage Entertainment. Die günstigsten Tickets kosten 49,90 Euro. Doch anders als in Hamburg, wo man von den aufwendigen Tierkostümen und Kulissen geflasht ist, geht es in Berlin eher ressourcenschonend zu. Das Bühnenbild besteht aus einem riesigen Balkon. Und wenn es emotional wird, schweben Glühbirnen von der Decke.

Die Kostüme sehen aus wie in einem Walt-Disney-Film: Frauen tragen bonbonfarbene Prinzessinnenkleider, Männer kleine, aufwendig bestickte Torerojacken. Gesprochen wird die originale Shakespeare-Übersetzung von Schlegel, wie man sie auch als Reclamheft zu kaufen bekommt. Und so mischt sich alte, artistische Sprache mit neuer, nun ja, einfacherer.

Anders als erwartet sieht man kein dramatisches Degenduell der verfeindeten Familien Capulet/Montague, sondern bloß ein paar Boys und Girls, die sich vorsichtig ihre Shaolin-Stöcke gegen die Brust halten. Viele der Choreografien wirken wie aus der Retorte. Hier ein bisschen Beyoncé-Power, da ein bisschen barocker Formationstanz mit der obligatorischen Schwanenkopf-Hand.

Manche der Songs scheinen aus einem einzigen Refrain zu bestehen, dazu viel künstliche Soundfläche, 4/4-Takt. Ohne wirklichen Übergang folgen Rapnummern auf Liebesduette und Operettengesang. Wie im Fernsehgarten klatscht das Publikum trotzdem begeistert mit. Als Romeo (Paul Csitkovics) einen Klimmzug am Balkongeländer macht, um seiner Julia (Yasmina Hempel) noch näher zu sein, entweicht einer Zuschauerin ein „Wow“. Romeo und Julia sind auch wirklich ein süßes Paar, und sie können singen, vor allem Julia, und schauspielern können sie auch ganz okay.

Julia benimmt sich wie Ronja Räubertochter

Csitkovics sieht ein wenig aus wie der junge Antonio Banderas und Hempel benimmt sich wie Ronja Räubertochter, was natürlich cool ist, aber auch ein bisschen berechnend, weil man damit auch das junge, urbane, auf Geschlechterklischees eher sensibel reagierende Publikum zu erreichen gedenkt. Doch dass man da jetzt eine junge, schöne Frau ein bisschen aufmüpfig sein lässt, ist auch nicht der Bringer in Sachen Gleichberechtigung.

Denn: „Manchmal steckt der Teufel im Detail“, wie es in einem Song so schön heißt. Genauer gesagt in der Darstellung von Julias Amme (Steffi Irmen), die in einem wirklich hochgeschlossenen und mit alberner Kappe versehenen Kostüm herumlaufen muss und so als unattraktive „Alte“ degradiert wird, die sich mit zwar toller Stimme, aber hohlen Worten über ihre Wechseljahre beschweren muss. Beim Großteil des Publikums kommt das dennoch gut an. Es liebt die Amme, ihre aufopferungsvolle Mütterlichkeit, das Rundum-sorglos-Paket.

Der vielleicht größte Clou des Produzenten-Duos ist der dazuerfundene schwule Mercutio (Nico Went), der heimlich in Romeo verliebt ist. Und dann kommt er doch noch, der richtig tolle Moment, als der Countertenor Nils Wanderer in einem divenhaften Federgewand als Tod auftritt und mit seiner überirdisch hohen Stimme eine wunderbare Arie singt.

„In dieser Zeit / Wer will da jung sein?“

Schief gehen hingegen die Kommentare zur Weltlage. „In dieser Zeit / Wer will da jung sein?“ klingt arg nach Boomer-Fatalismus. Das Lied über den Horror des Krieges ist erschreckend simpel. Ebenso wie die „In guten wie in schlechten Zeiten“-Rhetorik, die der Originaltext natürlich vorgibt, die hier aber vollkommen ungebrochen weitergesponnen wird.

Die einzige Sexszene findet unter der Bettdecke statt und kurz vor der Dolchszene geht das Licht aus. Dieses Musical können Säuglinge ebenso gucken wie CSU-Wähler und überanstrengte Großstadt-Singles, die noch einmal an die große Liebe glauben wollen. Ach.

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