Neues Forschungszentrum in Sachsen: Sternstunde für die Lausitz
AstrophysikerInnen wollen die perfekten Bedingungen in Ost-Sachsen nutzen und die Gegend zum Magneten für Hightech machen. Kann das klappen?
Die Lausitz ist ein perfekter Ort, um in den Nachthimmel zu schauen. Zumindest sagt das der Verein der Lausitzer Sterngucker. Die geringe Lichtverschmutzung macht den Ausblick besser. Was unsichtbar ist: In der Lausitz kann man auch besonders gut dem Weltraum lauschen.
Wer heute das All erforscht, schaut nicht mehr nach längst verglühten Sternen. Hinhören ist das neue Ding, mit Teleskopen, die sogenannte Gravitationswellen einfangen und damit Erkenntnisse über das All ermöglichen. Dafür sind die Bedingungen in der Lausitz optimal.
Vergangenen Herbst verkündete das Bundesforschungsministerium, dass im sächsischen Hoyerswerda das Deutsche Zentrum für Astrophysik angesiedelt wird, kurz: DZA. Christian Stegmann, Direktor des Helmholtz-Forschungszentrums DESY, und seine KollegInnen hatten sich in einem milliardenschweren Wettbewerb gegen andere Anträge durchgesetzt. Sie wollen ein Forschungszentrum mit internationaler Strahlkraft in eine strukturschwache Region bringen.
Das DZA bekommt zwei Standorte im Lausitzer Revier: eins an der polnischen Grenze in Görlitz, das andere einen Landkreis weiter westlich in Bautzen. Können WissenschaftlerInnen eine abgehängte Gegend retten?
Strukturwandel für die Lausitz
Christian Stegmann weiß, wie wichtig es ist, zuzuhören – und zwar nicht nur dem Weltraum. Er steht auf dem Marktplatz von Hoyerswerda, hinter ihm warten Menschen vor einem aufblasbaren Ufo. Sie wollen das mobile Planetarium besuchen, das darin aufgebaut ist. Das Ufo soll Menschen die Weltraumforschung zugänglich machen, die bald in ihre Nähe zieht.
Ein Mann mit Schiebermütze erzählt Christian Stegmann von all den Förderungen und Plänen, die seiner Region schon versprochen wurden. Er ist wütend: Immer sei es bei den Versprechen geblieben. Christian Stegmann kennt diese Geschichten und den Frust der Bevölkerung.
Fast jede Woche pendelt er aus Berlin zu Gemeindeversammlungen in Sachsen, um die Leute von seiner Kampagne zu überzeugen. Er will mit allen Gruppen sprechen: mit den BürgerInnen in den Nachbarorten, den LandwirtInnen, den Unternehmen, den Hochschulen und mit der sorbischen Minderheit. Er will ihnen allen versichern, dass das Geld vom Ministerium auch wirklich in der Lausitz ankommt.
Große Forschung braucht großen Platz, befürchten viele. Was passiert dann mit der Natur? Und bleibt am Ende die sorbische Kultur auf der Strecke, um deren Erhalt die sächsische Bevölkerung seit Langem kämpft? „Hier geht es um einen Strukturwandel, der auf lange Zeit ausgelegt ist“, so der Astrophysiker Stegmann. Die meiste Forschung werde unter Tage stattfinden, sagt Stegmann. Das verringere auch den Eingriff in die Natur.
Strukturwandel haben viele der älteren Menschen, die sich hier auf dem Marktplatz versammelt haben, schon persönlich erlebt, daher auch die Skepsis. Nordöstlich der malerischen Ortsmitte von Hoyerswerda ragen Plattenbauten empor, dahinter quellen riesige weiße Schwaden der Schwarzen Pumpe in den sonst wolkenlosen Himmel.
Forschungszentrum als Jobmotor
Zu DDR-Zeiten war das Kraftwerk die größte Kohleveredelungsstätte der Welt. Damals zogen so viele Menschen in die Platten der „sozialistischen Wohnstadt“, dass sich die EinwohnerInnenzahl Hoyerswerdas auf mehr als 70.000 verzehnfachte. Um die Stadt herum wurden etliche Dörfer für den Tagebau weggebaggert.
Und dann: Wende, Stilllegung, Rückbau, Landflucht. Heute versteckt sich Hoyerswerda hinter Seenland und Schutzgebieten, fernab von Autobahnanschluss oder ICE-Verbindung. Für die 150 Kilometer nach Berlin braucht man mit dem Bummelzug über drei Stunden.
Wenn es nach dem DZA geht, könnte das Zentrum als Jobmotor Abwanderung verhindern und jungen Menschen neue Möglichkeiten eröffnen. „Die Großforschung hat ein Riesenpotenzial für die Lausitz“, sagt der Kulturwissenschaftler Christian Prunitsch, der das DZA berät. „Man darf die Menschen nur nicht mit der Behauptung langweilen, die Ingenieure hätten die Lösung parat und bräuchten nur noch das Volk zu überzeugen.“
Stattdessen will das DZA darauf achten, Forschung nicht nur um ihrer selbst willen zu betreiben, sondern tatsächlich etwas in der Region zu bewegen. „Es ist entscheidend, die Menschen nicht zu überrollen, sondern sie einzubeziehen, ob Bürgerinitiative, Kindergartengruppe, Verein oder Hochschule“, so Prunitsch.
Den Daten-Tsunami bändigen
Alle wichtigen Schlüsselpositionen in der Finanzwirtschaft, Rechtsberatung und im wissenschaftlichen Bereich sollen zunächst mit eigenem Personal besetzt werden. Aber für die anderen Bereiche – Bau, Materialverarbeitung, Elektronik, Maschinenbau, Buchhaltung, Einkauf – werden die Menschen aus der Umgebung gebraucht.
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Bis zum Kohleausstieg 2038 stellt das DZA zunächst 1.000 Arbeitsplätze in Aussicht. Die Lausitz als Magnet für Hightech, so erzählt er die Geschichte. Das berühmte Schweizer Kernforschungszentrum Cern habe auch mal klein angefangen, so Stegmann.
Der Standort Görlitz soll unter anderem eine gigantische Datenflut bändigen. Diese stammt aus einem riesigen Radioteleskop, für das tausende Radioschüsseln aus Südafrika und Australien zusammengeschaltet werden. „Die Datenmenge macht pro Jahr ein Vielfaches der Menge des heutigen Internets aus“, sagt Christian Stegmann.
Eine solche Datenmasse ist zu groß, um sie zu speichern oder zu übertragen. Deshalb muss das DZA zunächst eine Technologie entwickeln, die automatisch entscheidet, welche Daten wichtig sind und welche nicht, ohne dass dabei wesentliche Information verloren geht. Ebenfalls ein Forschungsvorhaben mit Zukunft.
Nachwuchs kommt aus der Region
In Bautzen wird es vom DZA weniger zu sehen geben. Das „Low Seismic Lab“ wird nämlich 200 Meter unter der Erde entstehen. Die Lausitz liegt auf einem wahren Schatz für die Wissenschaft: der seismischen Null. Unter Tage herrscht absolute Ruhe, ohne Erschütterungen oder Geräusche.
Diese geologischen Bedingungen sind zwingend notwendig für die Erforschung der Astroteilchenphysik, weil hochsensible Messungen dort nicht beeinträchtigt werden. Und so könnte noch eine weitere Großinvestition in den Granit gegraben werden: ein Gravitationswellenteleskop. Ob das Prestigegerät hier gebaut wird, entscheidet sich in einigen Jahren. Die Erkenntnisse damit könnten die aus dem Cern in den Schatten stellen und die Region für noch mehr WissenschaftlerInnen attraktiv machen.
Forschungsinstitutionen als Motor ländlicher Entwicklung, bedeutet das in der Praxis, die SpitzenforscherInnen werden eingeflogen und die Menschen aus der Gegend servieren ihnen in der Kantine das Mittagessen? Sachsen will in Zukunft zumindest damit anfangen, selbst Weltraumforschende auszubilden. An der Technischen Universität Dresden soll ein neuer Studiengang entstehen und drei neue Professuren werden besetzt. Dort können junge Menschen dann bald Astrophysik studieren.
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