Neues Album von Billie Eilish: Was für ein Glück, dass du weg bist
Sogar mit Jazz und Bossa Nova schafft es Billie Eilish, das Lebensgefühl ihrer Generation zu vertonen. Ihr zweites Album heißt „Happier Than Ever“.
Eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, wie die Musik ihres neuen Albums idealerweise zu hören sei, hat die US-amerikanische Sängerin Billie Eilish kurz vor der Veröffentlichung von „Happier Than Ever“ geteilt. In einem auf der Videoplattform Vevo veröffentlichten Interview schickt sie höflich, wie sie ja doch ist, zunächst voraus, dass natürlich jede*r selbst entscheiden könne, wie er oder sie ihre Songs konsumieren wolle.
Empfohlener externer Inhalt
Dann beschreibt sie folgendes Wunschszenario: ein schönes Auto mit einer guten Soundanlage bei Regenwetter – Musik aufdrehen, zurücklehnen, zuhören. Genau genommen spricht sie dabei von dem Song „Your Power“, den sie am 27. April diesen Jahres als dritte Vorabsingle herausbrachte, aber es trifft sehr wahrscheinlich auch auf alle anderen zu, nennt sie diesen doch in jenem Interview „a perfect middleground for what the album felt like for me“.
Recht bezeichnend ist das, nimmt man sie da beim Wort. „Your Power“ ist ein gefühlvoller Folksong, auf dem nicht mehr als eine Akustikgitarre Eilishs Stimme begleitet, Eilishs unverkennbar hauchige Stimme, mit der sie es in jeder erdenklichen Tonlage schafft, wohlige Schauer zu erzeugen. Auf „Your Power“ erklingt diese in träumerischem, dennoch kraftvollem Moll, Verletzlichkeit spricht aus ihr, auch Verletztheit.
Im Video zum Song, bei dem sie selbst Regie führte, droht sie indes zu ersticken. Einsam und allein sieht man sie in einer massiven Berglandschaft, während eine ebenso massive Anakonda sich immer enger um ihren Hals wickelt. Sie sitzt da einfach so und lässt es geschehen, während sie eine toxische Beziehung zwischen einer jungen Frau und einem älteren Mann besingt. „And you swear you didn’t know (Didn’t know) / You said you thought she was your age / How dare you? / And how could you? / Will you only feel bad if it turns out / That they kill your contract? / Would you?“
Empfohlener externer Inhalt
Billie Eilish – „Your Power“
Es geht um Macht, die nicht missbraucht werden sollte, erst recht nicht in intimen Beziehungen, auch um die Verlogenheit der Unterhaltungsbranche, um #MeToo im Grunde. Fans erkannten im Text Anspielungen auf Eilishs Beziehung zu dem US-Rapper Brandon Adams alias 7:AMP. Etwa ein Jahr waren Eilish und Adams zusammen, als sie sich im Juni 2019 trennten, war Eilish noch nicht volljährig, Adams bereits 23. Sie selbst weist einen direkten Zusammenhang zurück, in dem Song ginge es um verschiedene Situationen, die wir alle entweder erlebt oder beobachtet hätten.
Sinatra und Peggy Lee
Überhaupt darf man sich vom Titel „Happier Than Ever“, so viel steht fest, keineswegs irreleiten lassen. Besonders glücklich, fröhlich, ausgelassen klingt nichts darauf. Im Vergleich zum Vorgänger, Eilishs Debüt „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ aus dem Jahr 2019 fällt es noch ein wenig sanfter aus, introspektiver, melancholischer. Sinatra und Peggy Lee nennt Eilish als Einflüsse, Vintagesounds wie Jazz und Bossa Nova – nicht nur auf „Billie Bossa Nova“ – drängen mehr ins Ohr als die heruntergedämpften Elektrobeats, was ihre Musik irrerweise umso zeitgemäßer klingen lässt.
Grammatisch betrachtet stellt „Happier Than Ever“ ja sowieso nur einen Komparativ und keinen Superlativ dar. Wie schlimm es vorher war, kann man sich ausmalen, im gleichnamigen Song heißt es: „When I’m away from you / I’m happier than ever“. Einprägen werden sich diese Zeilen, definitiv, „Happier Than Ever“ ist ein fantastischer Song, der beste des Albums, er ragt heraus zwischen anderen, die doch etwas herumplätschern, sich zu sehr auf die Schönheit von Eilishs Stimme verlassen. „Happier Than Ever“ handelt von einer Trennung, macht den Schmerz in seinen Schattierungen spürbar, zart und heftig zugleich. Er beginnt als sehnsüchtig dahingesungene Akustikballade und der, wenn man gerade schon dachte, dass er ausklingt, erst richtig losgeht, wie ein Feuerwerk: Gitarren schwellen an, Drums hämmern sich in Fahrt, während Eilish dagegen anseufzt und ansingt, immer lauter, immer wütender, gnadenloser: „Just fuckin’ leave me alone.“
Gerade einmal 13 Jahre alt war Billie Eilish, als sie ihren ersten Song – geschrieben von ihrem älteren Bruder Finneas, mit dem sie auch heute noch an all ihren Tracks arbeitet und der sie produziert – auf SoundCloud stellte. „Ocean Eyes“ ging quasi über Nacht viral und seitdem Eilishs Karriere steil nach oben. „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ brach bei den Streamingdiensten, und nicht nur da, Rekorde, bei den Grammys im Januar 2020 gewann die Sängerin alle vier Hauptkategorien, die Liste ihrer Erfolge ließe sich lange fortsetzen.
Billie Eilish: „Happier Than Ever“ (Interscope Records/ Universal)
Dem zweiten Album wurde entsprechend entgegengefiebert, angestachelt auch durch die Künstlerin selbst, die auf ihren Social-Media-Plattformen Songschnipsel anteaserte, die Aufmerksamkeit anfütterte und orchestrierte. Vorab in Gänze zu hören bekam auch die Presse das neue Album nicht, nur ein paar glückliche Fans, die bei Verlosungen Plätze in Pre-Listening-Sessions gewannen.
Was an Billie Eilish interessant ist, ist eben auch das, ihr Umgang mit ihrem Publikum, für das sie schon lange keine vermittelnde Instanz mehr benötigt. Entscheidender, als auf den Titelseiten großer Magazine zu erscheinen, was sie freilich tut, ist, was sie in den sozialen Netzwerken selbst publiziert. Eilish ist der größte Popstar unserer Zeit, weil sie eigene Regeln aufgestellt hat, sie ist das heiß geliebte Postergirl und Sprachrohr der Generation Z, das auch deren Eltern cool finden, kein strahlend-süßes Mädchen, sondern eine junge Frau, die zum Beispiel kein Geheimnis um psychische Erkrankungen macht – Eilish leidet unter dem Tourette-Syndrom und Depressionen – und die ein Bild von sich kreierte, das sich radikal von dem unterschied, wie Musikerinnen im Popbiz sonst inszeniert werden.
Neuer alter Glamour
Von letzterem Punkt muss inzwischen in der Vergangenheitsform gesprochen werden. Eilish hat sich optisch – wie es heißt – „weiterentwickelt“: Monroeesk platinblond, nicht mehr görig grünhaarig ist sie jetzt, auch den Baggy Look, mit dem sie auch über die roten Teppiche latschte, hat sie gegen einen ausgetauscht, der an den Glamour des alten Hollywood erinnert.
Den Übergang markierte ein Fotoshooting für die britische Ausgabe der Vogue. Eilish ließ sich dafür als verruchtes Pin-up-Girl im Stil der 1940er Jahre ablichten, erlaubte erstmals einen Blick auf die Konturen ihres Körpers. Als die Bilder im Mai veröffentlicht wurden, ging ein Sturm los, die einen verurteilten sie als Verräterin, die sich dem Male Gaze unterworfen habe, andere feierten sie dafür, sich auch den selbstgeschaffenen Konventionen zu entziehen.
Im Prinzip hat Eilish alles, was sie dazu zu sagen hat, bereits in einem Spoken-Word-Stück „Not My Responsibility“ ausgesprochen, das sie ein Jahr vorher als Video online stellte und das nun auf dem Album exakt in der Mitte die Aufmerksamkeit noch expliziter auf die Themen lenkt, die sie offenbar verfolgen: die Erwartungen, die an sie und ihren Körper gestellt werden, das ständige Beobachtetwerden und als Frau niemals genügen zu können: „Some people hate what I wear / Some people praise it / Some people use it to shame others / Some people use it to shame me / But I feel you watching / Always / And nothing I do goes unseen“ – „The body I was born with / Is it not what you wanted?“
Auch im Vorfeld zu „Happier Than Ever“ zogen ein paar kleinere Shitstorms gegen die Künstlerin auf, bislang hat sie sich ihnen jedoch stets erfolgreich entgegengestellt, offensiv und intuitiv. So auch jetzt, prophylaktisch: Im Instagram Post am Tag der Veröffentlichung von „Happier Than Ever“ bittet sie ihre Fans darum, gut auf das Projekt, das Album, achtzugeben, es bedeute alles für sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“