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Neuer VerfassungsschutzberichtDie Gefahr droht von rechts

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Innenminister Seehofer gibt sich angesichts der steigenden Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten alarmiert. Auch er begreift nun das Offenkundige.

Der Chef des Verfassungsschutzes hat schlechte Nachrichten für Deutschlands Innenminister Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

D ass ein CSU-Innenminister bei der inneren Sicherheit zu Hyperbeln greift, ist keine Überraschung. Es ist ein eingefrästes konservatives Muster, die Gefahr, die Staat und Gesellschaft droht, in grellen Farben zu malen. Denn das hat den schönen Nebeneffekt, sich selbst als Fels in der Brandung und den Verfassungsschutz als effektive Institution in Szene zu setzen, ohne die gesetzestreuen BürgerInnen schlaflose Nächte drohen würden.

Dass Horst Seehofer von Alarmzustand redet, ist diesmal aber mehr als steile Rhetorik. Es gibt amtlich 33.000 Rechtsextremisten, davon ist ein Drittel möglicherweise gewaltbereit. Dabei zählt der Verfassungsschutz 20.000 Reichsbürger aus Gründen, die nicht recht einleuchten, gar nicht zum Phänomen Rechtsextremismus. Diese Zahlen lassen nach Halle und Hanau eine Rhetorik des Alarms nicht ganz abseitig erscheinen.

Die gute Nachricht ist: Auch Seehofer hat das Offenkundige begriffen – die größte Bedrohung geht von Rechtsextremen aus. Der Verfassungsschutz hat, nachdem er die Neue Rechte jahrelang nicht so recht ernst genommen hatte, erkannt, dass ein gerader Weg von der Theorie zur Praxis führen kann. Leute wie Götz Kubitschek träumen von einem Bürgerkrieg zwischen Biodeutschen und Migranten, von der Rettung der „völkisch nationalen Homogenität“.

Wer an das Phantasma des großen Austausches glaubt, kann sich durchaus ermächtigt fühlen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen – und so enden wie Franco A. oder Stephan Ernst. Die rechtsextremen Weltbilder sind mit der Militanz verwoben. Es ist keine unbotmäßig staatliche Gesinnungsschnüffelei, rechtsextreme Verlage wie den von Kubitschek zu beobachten und den Zusammenhang von Ideologie und Praxis auszuleuchten.

Allerdings bleiben Zweifel, ob die Union und das Amt wirklich begriffen haben, was los ist. Denn das Links-gleich-rechts-Dogma trübt noch immer den Blick. Laut Verfassungsschutz treiben fast so viele Links- wie Rechtsextremisten ihr Unwesen. Das Amt hält aus alter Gewohnheit auch Proteste gegen Autobahnbau oder die Abholzung von Wäldern für linksextrem unterwandert.

Die Union versperrt sich nicht mehr der Erkenntnis, dass der Feind rechts steht. Das ist gut. Besser, ja nötig wäre es, die zähe, konkrete Präventionsarbeit gegen demokratiefeindliches Denken vor Ort solide zu finanzieren. Das scheint gescheitert, weil die Unionsfraktion auf der Extremismusklausel beharrt und linke Antifagruppen ausschließen will. Mit der Links-gleich-rechts- Blickverengung lässt sich effektive Arbeit gegen Rechtsextremismus nicht organisieren.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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8 Kommentare

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  • ... aber ... das mit Hessen und der Polizei ... also diese Chatgruppe, die wo immer größer wird ...



    das ist nix Strukturelles, ODER?

  • Hätte ja nie gedacht dass ich den Horst mal in Schutz nehmen werde. Aber ja, er sagt dass seit Jahren, und er hat schon mehrere Rechte Gruppierungen aufgelöst! Dieses Bashing gegen ihn ist teils einfach ohne Grundlage.

    • @Janek Janeksen:

      Ohne Grundlage ist die Behauptung, Horst täte, neben der Verkündung medienwirksamer Vereinsverbote, tatsächlich etwas Substanzielles, um gegen Rechtsextremismus vorzugehen.

      Die ihm unterstellten Sicherheitsbehörden befreit er ja quasi persönlich von jeglichem (strukturellem) Verdacht und behindert dort die Extremismusforschung und Aufklärung.

      Böses Horst-Bashing, ich weiß.

      • @Sciaridae:

        2 Minuten google ergeben dass der Horst schon 4 rechte Gruppen verboten hat. Das find ich recht substanziell.

        • @Janek Janeksen:

          Und wie findest du, was Horst auf der BPK zu Maaßen gesagt hat?

  • Dass die Gefahr des Rechtsextremismus nunmehr (endlich) auch von Seehofer erkannt wurde, ist natürlich positiv zu bewerten.

    Hinsichtlich der Schlussfolgerungen bin ich allerdings anderer Meinung, insb. was die Aktivitäten des Verfassungsschutz angehen. Die Erwähnung von Kubitschek & neuer Rechter (deren Positionen übrigens in den 1980/90er Jahren noch CDU/CSU waren, vgl. Äußerungen von Friedrich Zimmermann, Edmund Stoiber und Roland Koch) mögen den einen oder anderen erst einmal erfreuen; allerdings ist das eine gefährliche Tendenz: Nach dieser Logik- und Methodik kann jegliche Opposition - auch von Links- schnell ins Visier des VS geraten - das Beispiel aus Sachsen, wo Akten selbst über den stv. Ministerpräsidenten der SPD geführt werden, ist ein mahnendes Beispiel, wie schnell der Wind drehen kann. In dieser Logik könnte man z.B. auch Kapitalismuskritiker beobachten, als Verfassungsfeinde stigmatisieren und behaupten, die intellektuellen Kritiker seien Verantwortlich für die Radikalisierung und daraus resultierender Gewalt.

    Aus meiner Sicht daher eine schwierige Entwicklung.... wobei ich eigenstehe dass ich dem VS grundsätzlich skeptisch ggü. stehe und tendeziell für dessen Abschaffung bin.

  • Ich finde den Artikel, mit Verlaub, etwas naiv.

    Mein Eindruck ist eher, dass die Konservativen den rechten Sumpf als strategisches Mittel geradezu "halten".

    Wenn der ihnen dann entgleitet, dann tun alle plötzlich ganz entgeistert.

    Ein wenig ist das das Golem-Muster.

  • Schön fand ich, als Seehofer meinte, er würde ja schon seit Jahren sagen, der Extremismus nehme zu. Und obwohl er das schon seit Jahren sagt, hört der Extremismus einfach nicht auf. Ich glaube die Extremisten nehmen Horst gar nicht richtig ernst.