Neuer Verfassungsschutzbericht: Die Gefahr droht von rechts
Innenminister Seehofer gibt sich angesichts der steigenden Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten alarmiert. Auch er begreift nun das Offenkundige.
D ass ein CSU-Innenminister bei der inneren Sicherheit zu Hyperbeln greift, ist keine Überraschung. Es ist ein eingefrästes konservatives Muster, die Gefahr, die Staat und Gesellschaft droht, in grellen Farben zu malen. Denn das hat den schönen Nebeneffekt, sich selbst als Fels in der Brandung und den Verfassungsschutz als effektive Institution in Szene zu setzen, ohne die gesetzestreuen BürgerInnen schlaflose Nächte drohen würden.
Dass Horst Seehofer von Alarmzustand redet, ist diesmal aber mehr als steile Rhetorik. Es gibt amtlich 33.000 Rechtsextremisten, davon ist ein Drittel möglicherweise gewaltbereit. Dabei zählt der Verfassungsschutz 20.000 Reichsbürger aus Gründen, die nicht recht einleuchten, gar nicht zum Phänomen Rechtsextremismus. Diese Zahlen lassen nach Halle und Hanau eine Rhetorik des Alarms nicht ganz abseitig erscheinen.
Die gute Nachricht ist: Auch Seehofer hat das Offenkundige begriffen – die größte Bedrohung geht von Rechtsextremen aus. Der Verfassungsschutz hat, nachdem er die Neue Rechte jahrelang nicht so recht ernst genommen hatte, erkannt, dass ein gerader Weg von der Theorie zur Praxis führen kann. Leute wie Götz Kubitschek träumen von einem Bürgerkrieg zwischen Biodeutschen und Migranten, von der Rettung der „völkisch nationalen Homogenität“.
Wer an das Phantasma des großen Austausches glaubt, kann sich durchaus ermächtigt fühlen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen – und so enden wie Franco A. oder Stephan Ernst. Die rechtsextremen Weltbilder sind mit der Militanz verwoben. Es ist keine unbotmäßig staatliche Gesinnungsschnüffelei, rechtsextreme Verlage wie den von Kubitschek zu beobachten und den Zusammenhang von Ideologie und Praxis auszuleuchten.
Allerdings bleiben Zweifel, ob die Union und das Amt wirklich begriffen haben, was los ist. Denn das Links-gleich-rechts-Dogma trübt noch immer den Blick. Laut Verfassungsschutz treiben fast so viele Links- wie Rechtsextremisten ihr Unwesen. Das Amt hält aus alter Gewohnheit auch Proteste gegen Autobahnbau oder die Abholzung von Wäldern für linksextrem unterwandert.
Die Union versperrt sich nicht mehr der Erkenntnis, dass der Feind rechts steht. Das ist gut. Besser, ja nötig wäre es, die zähe, konkrete Präventionsarbeit gegen demokratiefeindliches Denken vor Ort solide zu finanzieren. Das scheint gescheitert, weil die Unionsfraktion auf der Extremismusklausel beharrt und linke Antifagruppen ausschließen will. Mit der Links-gleich-rechts- Blickverengung lässt sich effektive Arbeit gegen Rechtsextremismus nicht organisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften