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Neue Zahlen vom IWFSchlusslicht Deutschland

Die Wirtschaft wird dieses Jahr stagnieren. Das könnte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Derzeit sind 2,8 Millionen Menschen ohne Job.

Chips auf der Kippe: Auf dem Gelände des ehemaligen Kohlekraftwerks ins Ensdorf sollte eigentlich eine Chipfabrik gebaut werden Foto: Harald Tittel/dpa

Berlin taz | Die Hiobsbotschaft kam wenige Stunden bevor Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) seine Idee mit dem Deutschlandfonds zur Modernisierung der Wirtschaft vorstellte: Der Autozulieferer ZF wolle sich aus der geplanten Chipfabrik des US-Unternehmens Wolfspeed im Saarland herausziehen, hieß es Dienstagmittag laut Medienberichten. Denn ZF steckt derzeit in der Krise. Die Unternehmensführung streitet über Stellenstreichungen. Bis zu 14.000 Jobs sollen in den nächsten vier Jahren an deutschen Standorten wegfallen.

Die Chipfabrik sollte auf dem Gelände des ehemaligen Kohlekraftwerks in Ensdorf gebaut werden. 2 Milliarden Euro wollten Wolfspeed und ZF dafür investieren. Mit diesem Projekt kehre die industrielle Revolution in die Region zurück, frohlockte Kanzler Olaf Scholz (SPD) noch im Februar 2023. Es ist nicht die erste und einzige Chipfabrik, deren Realisierung nun fraglich ist. Bereits im September hat der Intel-Konzern angekündigt, den Bau der Chipfabrik in Magdeburg zu verschieben – trotz 10 Milliarden Euro Subventionen vom Bund. Auch sonst läuft es in der deutschen Wirtschaft alles andere als rund. Sowohl Produktion als auch Investitionen sind rückläufig. Vergangenes Jahr schrumpfte die Wirtschaftsleistung bereits um 0,3 Prozent.

Für dieses Jahr prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) für Deutschland eine Stagnation. Damit ist das Land unter den großen Indus­triestaaten Schlusslicht. Für die gesamte Eurozone rechnet der IWF mit einem Wachstum von 1,0 Prozent, für die im Wahlkampf befindlichen USA sogar mit 2,8 Prozent.

Die Frage ist, wie stark sich die Konjunkturflaute über kurz oder lang auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar macht. Noch herrscht in vielen Bereichen Fachkräftemangel. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht von mehr als 530.000 qualifizierten Arbeitskräften aus, die bundesweit fehlen. Besonders in den Gesundheits- und Sozialberufen sowie im Handwerk ist der Bedarf noch groß. Doch die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andreas Nahles, warnt bereits, dass es bald mehr als 3 Millionen Arbeitslose geben könnte.

Derzeit zählt ihre Behörde 2,8 Millionen Menschen ohne Job. Doch starte die „Herbstbelebung“ nur sehr zögerlich und auch der Bedarf an Kurzarbeit ist „weiterhin erhöht“, gab Nahles bei der Vorstellung der jüngsten Arbeitslosenzahlen bekannt. Damit liegt die Arbeitslosenquote derzeit bei 6,0 Prozent. Mit so viel rechnen wichtige Forschungsinstitute auch für die nächsten beiden Jahre.

Ein weiteres Damoklesschwert über dem Arbeitsmarkt: Im September kündigte das VW-Management die seit über 30 Jahren bestehende Beschäftigungssicherung auf. Betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen drohen damit bei Deutschlands größtem Autobauer. Insgesamt arbeiten in Deutschland 130.000 Menschen bei der Marke Volkswagen.

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12 Kommentare

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  • Schon lustig (oder doch eher verrückt?), wie 'wir alle' in dieser Paradoxie stecken und da nicht mehr herauskommen. Wir möchten gerne mehr Klimaschutz, damit wir als Menschheit überhaupt noch eine Chance haben die nächsten 100 Jahre zu überleben, aber gleichzeitig wollen wir das klimaschädliche Wirtschaftswachstum fortführen. Beides wird nicht funktionieren, aber das ist noch nicht in den Köpfen der Politiker (und schon gar nicht in den Köpfen der Bürger) angekommen.

    taz: *Derzeit sind 2,8 Millionen Menschen ohne Job.*

    Das ist wohl eher eine "geschönte" Zahl der Bundesagentur für Arbeit, denn wir haben sicherlich eine Million Arbeitslose mehr in diesem Land, also knapp 4 Millionen. Aber mit der Angst vor Arbeitslosigkeit kann man ja nicht nur die Löhne drücken, sondern auch das klimaschädliche Wirtschaftswachstum am Leben halten, und dann muss man auch nichts am klimaschädlichen (Wirtschafts)System (weltweit) ändern.

    Wir stehen als Menschheit vor dem Abgrund, möchten aber gerne noch einen weiteren Schritt machen, nur damit das Monopolyspiel der Reichen und Mächtigen weitergehen kann - jedenfalls solange, bis der Klimawandel auch den Reichen den Hals umdreht.

    • @Ricky-13:

      Wenn man das Klima lieber durch Zurückfahren der Industrieproduktion retten will, muss man Klartext reden:



      Alle müssen mitmachen. Das Klima wird nicht gerettet, wenn nur D mit seinen 2% des welt-CO-2-Ausstoßes mitmacht.



      Die Schulden, die D vor sich herschiebt, müssen vorher getilgt oder Staatsbankrott erklärt werden, weil mit gesunkener Wirtschaftsleistung die Tilgung nicht mehr machbar sein wird – keine Staatsverschuldung mehr.



      Zieht man alle Register, muss möglichst die Produktion von allem zurückgefahren werden, was überflüssig ist, aber viel Energie verschlingt. Cannabis, z.B. Auch für Urlaubsreisen wird nur noch sehr eingeschränkt Geld da sein. Für Länder die vom Tourismus leben wie z.B. die Malediven eine Katastrophe, zumal auch für Entwicklungshilfe und Hilfsorganisationen wenig Geld bleiben wird. Es kann auch nicht mehr sein, dass Leute aus wärmeren Gefilden in den Norden umsiedeln, wo es mehr Energie braucht um Behausungen zu heizen und diese energetisch zu bauen.

      Mein Eindruck: solche Konsequenzen sind für Leute pol. links schwer zu schlucken. Ob gerade jene die Klimarettung durch Reduktion der Wirtschaft propagieren, mit den Konsequenzen einverstanden sind?

  • Es ist schon bizarr, wie gefangen wir in der völlig irrsinnigen Wachstumslogik sind. Nicht einmal ein bösartiger Tumor kann ewig weiterwachsen, ohne irgendwann an seinem eigenen Wachstum zugrunde zu gehen. Fürs Klima, die Gesundheit, die Artenvielfalt, die Weltressourcen, globale Gerechtigkeit ... eigentlich für fast alles ist es eine super gute Nachricht, dass unsere Wirtschaft schrumpft und wir statt ständig hin und her zu fahren und immer mehr zu konsumieren endlich mal Zeit für etwas Vernünftiges haben: Kinder, Schach, Fußball, Wandern, Sex ... was auch immer.



    Wann denkt jemand darüber nach, wie wir die Vorteile des Schrumpfens endlich mal sinnvoll nutzen könnten, anstatt ständig die absolut begrüßenswerte Reduktion sinnloser Tätigkeiten als Hiobsbotschaft zu bezeichnen?



    Die Arbeitslosen kommen nicht vom Schrumpfen, sondern von einem Riesenbug im System.

    • @Jakob Bauer:

      It's not a bug, it's a feature.



      Sonst kämen wir den von Ihnen und mir erhofften Zuständen näher, und gewisse Interessensgruppen sähen das gar nicht gern.

  • Das Szenario, das der ehemalige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Graichen angekündigt hat, ist da. Die Industrie zieht aus Deutschland ab. Fragt sich, was nachkommt.

  • Es gibt ja eigentlich genug an der heimischen Infrastruktur zu reparieren und Schulen, Wohnungsbau etc. könnten Impulse vertragen.



    So lange sich die Merz und Lindner an der von Laien willkürlich festgelegten Schuldenbremse aufgeilen und lieber die Steuern für die breite Masse erhöhen wollen, driften wir in den wirtschaftlichen Abgrund und die weniger wohlhabenden werden vorangeschubst, bis es allen schlecht geht. Das obere 1% wird sich freuen.

  • Grün wirkt ;-)

    • @Nikolai Nikitin:

      Klar! Grün, der alte Teufel, ist an allem Schuld. Machen Sie doch mal einen konstruktiven Vorschlag wie es besser geht!

  • Das ist die Folge der Ampel Politik, auch wenn man das nicht wahrhaben will.

    • @Octarine:

      Ach echt jetzt? Mitschuld an der "Wirtschaftskrise" sind die hohen Energiepreise: nachdem eine CDU Regierung über 16 Jahre den Ausbau erneuerbarer Energien massiv gebremst hat, uns stattdessen von russischem Gas abhängig gemacht hat. Und dann kam der russische Krieg gegen die Ukraine....



      Das Hauptproblem liegt aber in dem absurden Konstrukt vom "endlosen Wachstum", auf dem unser Wirtschaftssystem beruht. Das gibt es einfach nicht. Kann es auch gar nicht geben in einer Umgebung mit endlichen Ressourcen. Da die oberen 1% der Bevölkerung aber so gut davon profitiert und in der FDP einen Fürsprecher hat, wird sich nix ändern. Dazu das kurze Gedächtnis und die Denkfaulheit der Wähler......... Nee, da wird sich nix änder.

    • @Octarine:

      Erklären Sie den Zusammenhang mal ein bisschen. Interessiert mich wirklich.

      • @Jakob Bauer:

        Vielleicht bezieht sich Octarine auf die weltweit rekordverdächtigen Energiepreise. Hier nimmt Deutschland wie beim Negativwachstum eine Sonderrolle ein. Das Gute daran ist, dass das Schrumpfen der Wirtschaft den Ausstoß von Treibhausgasen reduziert.