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Neue SPD-Minister*innen-RiegeRadikales Austauschprogramm

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Parteichef Lars Klingbeil schmeißt fast das gesamte alte SPD-Personal raus. Die schwierigste Aufgabe liegt aber noch vor ihm – seine Doppelrolle.

Alles neu macht der Merz bei der SPD Foto: Michael Kappeler/dpa

M ut hat er ja, der neue Vizekanzler und alte SPD-Chef, Lars Klingbeil. Mut zu radikalen Entscheidungen, die auch Enttäuschungen produzieren. Mit dem Personaltableau für die künftige Bundesregierung hat der mächtigste Mann der SPD gleich mehrere bisherige Mi­nis­te­r:in­nen in den vorläufigen Ruhestand geschickt: Hubertus Heil, Svenja Schulze, Karl Lauterbach, Nancy Faeser, Klara Geywitz – sie alle hätten gern weitergemacht und wurden nun abserviert.

So hat Klingbeil eines seiner Versprechen vom Wahlabend, die personelle Neuaufstellung der Partei, im exekutiven Teil schon mal abgehakt. Dass auch die Karriere der SPD-Co-Vorsitzenden Saskia Esken, die ebenfalls auf ein Amt in der Bundesregierung gehofft hatte, dem Ende zustrebt, fällt in diesem kollektiven Austauschprogramm kaum noch auf. Damit ist Esken, deren Person heiß und zuweilen sehr unfair diskutiert wurde, ein gesichtswahrender Abgang ermöglicht worden.

Sie, die beim Parteitag im Juni voraussichtlich auch als SPD-Vorsitzende abtritt, wird nun gleichberechtigtes Mitglied im Club der von Klingbeil Geschassten. Was die Mitglieder verbindet: Sie alle repräsentieren die abgewählte Ampelregierung. Das Signal, das Klingbeil setzt: Wir starten neu durch. Nun ja, so frisch sind die neuen Gesichter auf den zweiten Blick gar nicht. Einige, wie Carsten Schneider und Reem Alabali-Radovan, haben bereits die vergangenen dreieinhalb Jahre als Staats­mi­nis­te­r:in­nen im Kanzleramt Tür an Tür mit Olaf Scholz gearbeitet.

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Mit Klingbeil selbst und Boris Pistorius haben sich zudem zwei Männer Schlüsselressorts gesichert, die prägend für die SPD in der Ampel waren. Und im Falle von Klingbeil auch an führender Stelle verantwortlich für den Absturz der Sozialdemokraten am Wahlabend des 23. Februar. Das kann man frech nennen oder machttaktisch versiert. Zumindest spricht es für die kommunikativen Fähigkeiten des Parteivorsitzenden, dass aus der SPD zurzeit wenig Murren zu hören ist. Nach dem Debakel vom Wahl­abend sind SPD-Supermann Klingbeil mit dem Koalitionsvertrag und dem eigenen Regierungsteam jedenfalls zwei Schritte aus der Agonie geglückt. Die schwierigsten Aufgaben liegen aber noch vor ihm: Er muss loyal mit Friedrich Merz und der Union zusammenarbeiten und gleichzeitig die SPD zu neuen Erfolgen führen.

Sein Vorgänger im Finanzministerium – Christian Lindner – war an der Doppelbelastung als Minister und Parteivorsitzender gescheitert. Klingbeil dürfte entgegenkommen, dass die Ziele von Amt und Wahlprogramm nicht wie bei der FDP diametral auseinanderliegen, sondern weitgehend deckungsgleich sind: Milliarden investieren, die Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze sichern und die Mitte entlasten. Mal sehen, ob die Umstände und die Union Klingbeil gewähren lassen.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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6 Kommentare

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  • Wow, ja. Toll. Alle abgesägt für den großen Neuamfang . Bis auf sich selbst. Parteichef. Vizekanzler und Finanzminister. Aber immerhin greift er, wie wir seit Sonntag von ihm selbst wissen, beherzt zum Telefon, falls jemand schlecht über Frau Esken spricht.

  • Das wird für die SPD schlimm enden. Die Politik, die Die SPD unter Klingbeil machen wird, wird innerster Linie der Wirtschaft und den reichsten 40% zugute kommen. Die Arbeiter und alle die,die schon jetzt nur schlecht zurecht kommen, werden noch seltener die SPD wählen, sondern zu einem noch größeren Maß die AfD.



    Das Grundproblem wird auch von dieser Koalitionsregierung nicht angegangen: Dass sich die Reichsten immer mehr vom Wohlstand nehmen, so dass für alle anderen inkl. Dem Staat zu wenig übrigbleibt. So haben alleine die Reichsten 500 Personen in Deutschland ihr Vermögen zwischen 2020 und 2024 um 500 Mrd. € erhöhen können, d.h. Um 125 Mrd. € pro Jahr. Das Rezept von Mars und Klingbeil sieht so aus, den Reichsten noch mehr zu schenken, damit es dann Wirtschaftswachstum gibt und sich die Steuereinnahmen vielleicht um 20-20 Mrd. € erhöhen. Dafür sollen dann die ärmeren 70% Opfer bringen. Eigentlich ist es nicht so schwer, zu verstehen, dass das auf Dauer nicht funktionieren kann und dass sich die ärmeren 50% das auf Dauer nicht gefallen lassen. Aber Merz und Klingbeil haben es immer noch nicht verstanden.

  • Das könnte schon klappen, denn im Gegensatz zu Gerhard „Basta“ Schröder und der feministischen schwäbischen Hausfrau, führt Klingbeil das sozialdemokratische Schwert öffentlich als filigranes Florett, bevor es die Betroffenen mit voller Wucht trifft. Das passt schon irgendwie zu den Sozis, so ein klare Kante König, ohne Starallüren.

  • Dass die SPD brav und still schweigend ihr Schicksal in Klingbeils Hände legt, wird dieses besiegeln.



    Natürlich ist Klingbeil der Mann in der SPD, der am nächsten an der liberalkonservativen Ideologie eines Friedrich Merz liegt.



    Das wird eine ruhigere, geschlossenere Regierungsarbeit als in der Ampel ermöglichen.



    Nur wird es der SPD nichts nützen, brav die Politik von Friedrich Merz zu stützen und umzusetzen. Auch die letzten Wähler erwarten eine andere Politik von ihrer Partei und werden in den nächsten 4 Jahren dann auch nach und nach einsehen, dass diese Klingbeil SPD wirklich gar nichts mehr mit Sozialdemokratie zu tun hat.



    Deutschland hat keinen Bedarf an 3 Parteien im konservativ-bürgerlichen Spektrum. Und im Zweifel wählt dieses Klientel halt lieber das Original, auch wenn das immer weiter nach rechts abrutscht.

  • Mal sehen, wie lange sich Brutus halten kann nur mit Ellenbogen, ohne jemals inhaltlich aufgefallen ist. Der letzte Mohikaner einer 'Partei' , die nur noch ein Schattendasein neben einer weiter zunehmenden AfD und dem Duo Söder und einem ebenfalls unbeliebten Merz führen kann. Motto : Lasst Schwächlinge -zumindest in der SPD- um mich sein. Ohne überzeugendere demokratische Kandidaten funktioniert dieser Parlamentarismus nicht (mehr?) ...

  • Sehr angemessener Kommentar, Frau Lehmann.



    Mal sehen, wie lange die SPD-Basis das alles mitmacht.