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Neue Risiken bei Stuttgart 21„Probleme nicht ausreichend erfasst“

Ein streng vertrauliches Gutachten zeigt: Die Bahn unterschätzt die Risiken beim Tunnelbau. Auch der Eröffnungstermin wird in Frage gestellt.

Wenigstens einer hat noch den Überblick: Kranführer über der Bahnhofsbaustelle in Stuttgart Foto: dpa

Stuttgart taz | Die Bahn hat es als „streng vertraulich“ eingestuft und bisher nur die ihr genehmen Passagen daraus zitiert. Jetzt liegt das Gutachten, das die Wirtschaftsprüfer KPMG und dem Ingenieurbüro Ernst Basler und Partner AG für den Aufsichtsrat erstellt haben, der taz und Kontext vor. Und es zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Bild des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21.

Vor allem bei der Risikoeinschätzung beim Tunnelbau in schwierigen Gesteinsformationen teilen die Wirtschaftsprüfer die Warnungen, die das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 bereits seit Jahren vorbringt. „Die Risiken der Tunnelerstellung im Anhydrit sind von Seiten der Projekt Stuttgart-Ulm-GmbH unterschätzt worden“, heißt es im Bericht. Für das Mineral Anhydrit, das sich bei Feuchtigkeit unkontrolliert ausdehnen kann, gebe es „gemäß aktuellem Stand der Wissenschaft keine gesicherte bautechnische Lösung“. Die KPMG-Prüfer konstatieren: „Die Problemerfassung“ der Projektbaugesellschaft sei bisher „nicht ausreichend“.

Auch beim Eröffnungstermin sei die Bahn allzu optimistisch, heißt es im Gutachten. Von den aufgelaufenen 24 Monaten Verzug könnten, anders als das Baukonsortium angekündigt hat, höchstens 12 Monate wieder aufgeholt werden. Zudem könnten zusätzlichen Baurisiken weitere Verzögerungen bis zu einem weiteren Jahr bedeuten. KPMG rechnet daher mit einer Inbetriebnahme zwischen 2022 und 2024. Die Bahn will schon 2021 fertig werden.

Bei den Kosten liegen die Wirtschaftsprüfer dagegen bei den aktuellen Schätzungen der Bahn. Die Gesamtkosten liegen danach „in einer Bandbreite von rund 6,3 Mrd. bis 6,7 Mrd.“, schreibt KPMG. Zuletzt waren Zahlen des Bundesrechnungshofs an die Öffentlichkeit gekommen, die von Kosten über 10 Milliarden ausgingen.

Gleichzeitig verschärft sich der Ton zwischen den Partnern des umstrittenen Projekts. In dieser Woche gab die Bahn bekannt, dass sie die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg auf Beteiligung an den Mehrkosten von mindestens 2 Milliarden verklagen wird. Die Bahn argumentiert, Stuttgart 21 sei stets ein Projekt gewesen, das vor allem von der Politik in Bund und Land gewollt war.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hingegen will nicht mehr als die 931 Millionen zahlen, die 2011 per Volksabstimmung legitimiert wurden. Schon diese Beteiligung des Landes sei freiwillig, argumentiert Kretschmann.

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5 Kommentare

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  • Ich erinnere mich noch sehr genau, dass das Anhydrit-Risiko in der S21-Schlichtung 2010 ein wichtiger Punkt war, der von den Befürwortern systematisch kleingeredet und vom völlig überforderten Schlichter Geisler schließlich abgebürstet wurde.

     

    Wer sich da noch Illusionen macht, informiere sich über den Engelberg-Tunnel (Autobahn A81 bei Stuttgart), fertiggestellt 1998/99, seitdem drei Mal saniert (die nächste Sanierung steht 2018 an; http://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/stuttgart/engelbergtunnel-sanierung-ab-2018/-/id=1592/did=18340558/nid=1592/1emwmk3/index.html.

     

    Wir werden zu S21 immer noch dreist belogen. Bezüglich der zu erwartenden Kostenentwicklung ist jedenfalls dem Bunderechnungshof mehr Kompetenz zuzutrauen als der KPMG, die gerade den Verkauf des Flughafens Frankfurt-Hahn so unbedarft in den Sand gesetzt hat.

    • @Bitbändiger:

      Ganz genau! KPMG ist weder seriös noch irgendwie objektiv zu nennen und hat sich für Aufträge der öffentlichen Hand eigentlich längst komplett disqualifiziert. Die werden aber immer wieder gern beauftragt, wenn jemand schnell mal für irre viel Geld ein im Grunde wertloses "Gutachten" zur Verschleierung seines Missmanagements braucht.

  • Die Bahn unterschätzt die Risiken beim Tunnelbau. Tunnelbau stimmt. Kennen wir doch alles schon vom Flughafen BER!

    Es wiederholt sich alles in der Geschichte, denn die Dummen sterben seltsamerweise nie aus!

  • Die Risiken sind beileibe nicht neu, wie die Überschrift insinuiert - Kritiker weisen seit vielen Jahren darauf hin. Und bei den Kosten liegt der Artikel ebenso daneben: KPMG hatte nur die Daten der DB und schrieb im Gefälligkeitsgutachten, was der Vorstand lesen wollte. Es werden aber Risiken aufgezählt, die sich in ihrer Summe dem Bericht des BRH annähern. Diese Abschnitte wurden von der DB wohlweislich verschwiegen - leider auch vom Autor.

  • Immer dieses Bedenkentum. Wer großen Schwachsinn verwirklichen will, der muss auch bereit sein, groß zu denken.