Bauprojekt Stuttgart 21: Noch einmal teurer
Das Projekt könnte bis zu drei Milliarden Euro teurer werden. Die Bahn wies nicht alle Kosten aus. Jetzt ist das Unternehmen beleidigt.
BERLIN taz | Ein Bericht des Bundesrechnungshofes attestiert der Deutschen Bahn erhebliche Schlampereien bei der Kostenkalkulation zum Bahnprojekt Stuttgart 21. Bis zu 9,5 Milliarden Euro, 3 Milliarden mehr als bislang geplant, könnte S21 demnach kosten. Das als geheim eingestufte Schreiben liegt der taz vor, zunächst hatten stern.de und der SWR darüber berichtet. Bereits im März 2013 hatte die Bahn den Finanzierungsrahmen von 4,5 Milliarden auf 6,5 Milliarden Euro erhöht.
Die Liste der Versäumnisse, die der Bundesrechnungshof moniert, ist lang: So habe die Bahn Risiken nicht berücksichtigt. Ein Beispiel: Normalerweise erhöhen sich die Kosten aller Bauprojekte der Bahn nach der Ausschreibung im Schnitt um 24 Prozent. Bei Stuttgart 21 ging die Bahn dagegen nur von 17,5 Prozent Mehrkosten aus, obwohl das Projekt erheblich mehr Risiken aufweist als normale Bahntrassen. Das Gestein, der sogenannte Gipskeuper, quillt auf, wenn Wasser eindringt. Die Bahn allerdings hat aus Kostengründen die Tunnelwände sogar dünner kalkuliert und die Sicherungen gegen das Quellgestein nur für einen kleinen Teil der kilometerlangen Tunnelröhren kalkuliert.
Dazu kommen versteckte Kosten. So weist die Bahn schlicht den Rückbau der alten Gleise, diverse Planungskosten oder Verzugszinsen für zu spät verkaufte Grundstücke nicht als Kosten für Stuttgart 21 aus. Auch die 1 Milliarde Euro Zinsen für während der Bauphase aufgenommene Kredite gehörten laut Rechnungshof als S21-Kosten ausgewiesen.
Der Bericht warnt auch vor Mehrkosten für eine vermutlich zwei Jahre verzögerte Fertigstellung im Jahr 2025. S21 könnte die Finanzlage der Bahn weiter verschlechtern. Die sieht bereits jetzt nicht gut aus. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) versprach der Bahn, Eigentum des Bundes, unabhängig von S21, eine Finanzspritze von 2,4 Milliarden Euro.
„Die Deutsche Bahn kennt diesen Bericht nicht“
Vermutlich müsste die Bahn die Mehrkosten selbst tragen: „Der Bericht des Bundesrechnungshofes ist beunruhigend“, sagte der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Sein Land zahle jedoch nicht mehr als die zugesagten 900 Millionen Euro. „Bund und mit ihm Bundesverkehrsminister Dobrindt müssen außerdem endlich ihrer Finanz- und Kontrollpflicht nachkommen“, so Hermann.
Die Deutsche Bahn ist irritiert, dass der Bericht öffentlich wurde, obwohl der Bundesrechnungshof ihn wegen schutzbedürftiger Geschäftsdaten als Verschlusssache eingestuft hatte. „Die Deutsche Bahn kennt diesen Bericht nach wie vor nicht, obwohl sie den Bundesrechnungshof bereits vor geraumer Zeit um den Bericht gebeten hatte“, schrieb ein Sprecher.
„Die Deutsche Bahn kennt diesen Bericht nach wie vor nicht“
Konsequenzen forderte Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag: „Rüdiger Grube ist als Bahnchef nicht mehr tragbar – aber der gehandelte Nachfolger Roland Pofalla ebenso wenig, denn er hat schließlich dafür gesorgt, dass 2013 Stuttgart 21 trotz der fehlenden Wirtschaftlichkeit weiter gebaut wurde“, sagte sie.
Das Bundesverkehrsministerium äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu dem Bericht. Der Aufsichtsrat der Bahn lässt gerade eine eigene Analyse zur Wirtschaftlichkeit von Stuttgart 21 erstellen.
Leser*innenkommentare
Basisdemokrat
Sehr geehrter Herr Spark,
wäre es möglich, dass sie die falschen Angaben die angeblich im Zuge der Abstimmung gemacht wurden benennen? Ich habe abgestimmt, da stand nichts von Kosten.Wir in Baden Württemberg wollen das Projekt. Das sollten v.a auch unsere Politiker endlich verstehen. Vor allem die Verwaltung verschleppt immer wieder unnötig das Vorankommen der Baufirmen. Das wird aber schön verschwiegen, auch von der taz. Warum fragt nicht einfach mal jemand nach, weshalb die teuren Tunnelbohrer zunächst lange gestanden sind?
Verwaltungschaos ist das größte Problem des Projekts und dazu kommen Politiker, denen die Meinung ihrer Bevölkerung bestenfalls egal ist...
Mitch Miller
Das sind zwar jetzt Mutmassungen, aber wenn JETZT schon solche kalkulatorischen Mehrkosten auftauchen, dann kommen da sicher noch ein paar bautechnische hinzu im Laufe des Baus. Wär die erste Baustelle, bei der das nicht so läuft.
Johannes Spark
Es ist erbärmlich, wie eine Volksabstimmung durch falsche Angaben zu einem Ergebnis geführt hat, das den Bahnkunden und den Steuerzahlern einen Ballast vor die Füße wirft, der erst in 10 Jahren abgebaut wird - von den Stuttgarter Einschschränkungen im Umweltbereich ganz zu schweigen. Würde ein Industrieunternehmen solche Vorgaben machen, wäre es schon jetzt insolvent, denn keine Bank käme für die zusätzlichen Unkosten auf. Stattdessen wird staatliches, also das Eigentum der Bürger, vorsätzlich vernichtet.
Wer die Kalkulation des neuen Gotthard-Basis-Tunnels In der Schweiz mit Stuttgart 21 vergleicht, kann die Unterschiede einer zuverlässigen Planung und der Bahn-Transport-Poltitk deutlich erkennen.
4932 (Profil gelöscht)
Gast
Nur gut, daß es die Presse gibt, die die ganzen krummen Machenschaften aufdeckt. Von Panama bis Bahamas und S21. Danke taz.
bloggerlogger
taz ist super!
bleibt sauber please.
Der Allgäuer
Sehe ich auch so. Und füge dem "Danke" sehr gerne noch ein aufmunterndes und anspornendes "Weiter so!" an.
Die Demokratie, unsere Demokratie braucht dringend die unabhängige Kontrolle - ganz im Sinne des aktuellen Interviews des SPIEGEL mit Oliver Stone zu seinem Film über Ed Snowden.