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Neue Regierung in AfghanistanDas Horror­­kabinett

Kommentar von Sven Hansen

Die neue Regierung in Afghanistan steht. Wo Taliban draufsteht, ist Taliban drin – und zwar zu 100 Prozent. Alles andere war nur dummes Geschwätz.

Taliban-Vertreter arrangieren eine Taliban-Flagge vor einer Pressekonferenz Foto: Rahmat Gul/ap

D ie neue afghanische Regierung ist genau das, was man befürchten musste: Wo Taliban draufsteht, ist auch Taliban drin – und zwar zu 100 Prozent. Es gibt nicht nur überhaupt keine Frauen im Kabinett mehr, sondern das Frauenministerium wurde auch gleich mit abgeschafft. War das angesichts entsprechender Ankündigungen leider zu erwarten, so erweist sich jetzt auch die versprochene Inklusivität als hohles Geschwätz.

Die Regierung besteht nur aus Taliban und fast nur aus Mullahs. Ob sich niemand fand, der ein Feigenblatt abgeben wollte, oder ob die Taliban sich gar nicht darum bemüht hatten, ist offen. Fest steht, dass es bisher weder Vertreter anderer politischer Kräfte noch eine religiöse Vielfalt und nur minimale ethnische Diversität gibt. Die Bezeichnung als Übergangsregierung signalisiert zwar die Möglichkeit künftiger Änderungen. Aber die jetzigen Zeichen sind fatal.

Die einzige Überraschung: Der von westlichen Medien gehypte politische Kopf der Taliban, Mullah Abdul Ghani Baradar, ist wider Erwarten nicht Regierungschef geworden. Er wird nur einer von zwei Stellvertretern des künftigen Premiers Mullah Muhammad Hassan Rahmadi.

Über die Gründe kann nur spekuliert werden: Hassan könnte als bisheriger Chef des Taliban-Führungsrates die größere Hausmacht haben. Oder er steht dem reli­giösen Führer Mullah Hebatullah Achundsada näher, vielleicht auch, weil dieser ihn weniger als potenziellen Rivalen wahrnimmt. Schließlich war es dem geschickten Baradar gelungen, Trumps Verhandlungsteam über den Tisch zu ziehen.

Minister als Terroristen geführt

Eine dritte Erklärung könnte der Einfluss Pakistans sein. Dessen Militärgeheimdienst hatte Baradar ins Gefängnis geworfen, als der an Islamabad vorbei mit der damaligen Karsai-Regierung verhandeln wollte. Seitdem dürfte das Verhältnis zwischen Baradar und Islamabad zerrüttet sein und Pakistan sich deshalb jetzt für Hassan eingesetzt haben.

Das Kabinett umfasst etliche Minister, die von der UNO und westlichen Regierungen als Terroristen geführt werden, auf die Kopfgelder ausgesetzt sind. Die größte Ironie ist, dass ausgerechnet Seradschuddin Hakkani (US-Kopfgeld 10 Millionen Dollar), dessen Hakkani-Netzwerk für viele Selbstmordanschläge und Entführungen verantwortlich ist, Innenminister wird.

Dies zeugt wahlweise vom Selbstbewusstsein der Taliban oder von der Macht der Hakkanis. Künftig gehört es zu seinen Aufgaben, Selbstmordanschläge des die Taliban bekämpfenden lokalen Ablegers der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS-PK) zu verhindern. Man darf gespannt sein, mit welchen Worten Hakkani seine eigene bisherige Strategie verurteilt.

Diese Regierung stellt keine moderaten Kräfte, sondern ist ein Horrorkabinett.

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15 Kommentare

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  • Es wäre vielleicht ein tolles Signal gewesen, wenn dieses Kabinett anders - demütiger - besetzt worden wäre. Aber wer das jetzt schon als brutalstmögliches Zurückrudern von den Zusagen der Taliban zur Achtung der Menschenrechte empfindet, der hat einfach weltfremde Vorstellungen, was unter diesen Umständen "Achtung" heißt bzw. was alles schon unter "Menschenrecht" fällt (Tipp: Teilhabeansprüche an der politischen Exekutivmacht auf Basis identitärer Kriterien tun es nicht).

  • Allerdings sollten die Taliban nicht glauben, dass sie dort weitermachen können, wo sie seinerzeit aufhören mussten. Inzwischen ist eine neue Generation in Afghanistan herangewachsen, die eine sicher keineswegs vollkommene Demokratie erlebt hat und diese einem Leben nach den Regeln der Scharia vorziehen würde. Die Taliban sollten auf ein deutliches Grummeln im Untergrund gefasst sein.

  • Wer hat den Frauen im Kabinet und Inklusivität erwartet?

    • @Rider:

      Während früher noch Menschenrechte eingefordert wurden, so muss es jetzt Diversität und Inklusion sein. Was in der westlichen Welt schon selten klappt, soll nun in der ganzen Welt Anewendung finden. Naja. Mit würde fürs erste ein demorkratische gewählte Regierung ausreichen, ehe ich Diversität in einer Afghanischen Führung fordere.

      • @TazTiz:

        Dass es die Taliban ganz ausdrücklich mit Demokratie nicht so am Hut haben, ist allerdings schon bekannt. Wenn überhaupt gibt es eine in ihren Auswirkungen gemäßigte Herrschaft der Gleichgesinnten.

        Ihre Bemerkungen zur merklichen Prioritätsverschiebung weg von Inhalten, hin zu identitärer Repräsentation kann ich allerdings ungekürzt unterschreiben.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    "Das Horror­­kabinett" besteht zu 100% aus ehemaligen USA-Protegees und deren politischen Erben.



    Die russische Besatzung durch die seinerzeit US-unterstützten Taliban bekämpfen zu lassen war letztlich nur teilweise, bis zum Abzug der Russen erfolgreich.



    Die Feinde des Feindes entpuppen sich immer wieder auch als zusätzliche, neue, eigene Feinde.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @90118 (Profil gelöscht):

      Die Taliban sind nicht die Mudschahhedin die gegen die Soviet gekämpft haben. Das wird nicht wahrer wenn man es immer und immer wieder erzählt.

      Der Widerstand gegen die Soviets bestand aus Islamisten, Demokraten, einer sehr starken monarchistischen Fraktion, Stammeskrieger und Maoisten. Die Unterstützung kam zu Großteil aus der islamischen Welt von Stiftungen und islamischen Staaten die USA (die das ganze via Pakistan unterstützen und keinen direkten Einfluss darauf hatten an wen das Geld geht) und andere Länder (inkl. China) hatten geringeren Anteil daran.

      Die Taliban wurden in den 1990er Jahren gegründet mit tatkräftiger Unterstützung Pakistans. Sie bestehen natürlich auch aus ehemaligen Mudschahhedin aber vorallem aus Waisenkindern des brutalen Krieges der Soviets die in den saudisch-finanzierten Koranschulen Pakistans indoktriniert worden sind.

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Bitte lesen Sie mal genaueres über die Herkunft der Taliban… im Unterschied zu den in der Tat von den USA unterstützen Mudschhedin.

    • 3G
      30208 (Profil gelöscht)
      @90118 (Profil gelöscht):

      Warum kommen Sie nur mit solchen unangenehmen Tatsachen? Sie stören nur.

  • Allein das Baradar wieder in Freiheit rumlaufen kann zeigt, was für Füchse in der Trump Administration saßen.

    Pakistan hat ihn nur freigelassen, weil die USA Druck auf Pakistan ausgeübt haben, ihn freizulassen, das war Bedingung für direkte Verhandlungen.

    www.taiwannews.com.tw/en/news/3890146

    • @Sven Günther:

      Und Mullah Mohammad Fazil, stellvertretender Verteidigungsminister, Mullah Noorullah Noori, Minister für Grenzen- und Stammesangelegenheiten, Mohammad Nabi Omari, Gouverneur der Provinz Khost, Khairullah Khairkhwa, Kultur- und Informationsminister und Mullah Abdul Haq Wasiq, neuer Chef des Nachrichtendienstes, saßen in Guantanamo, bis man sie gegen Bowe Bergdahl tauschte...

      • @Sven Günther:

        Wer anderes erwartet hatte diesbezüglich ist entweder nicht informiert und war/ist sehr sehr naiv. Ich habe nichts anderes erwartet, und habe nur auf diese und ähnliche Infos gewartet die das bezeugen. Komisch nur das dies in unseren Hemisphären kaum mediale Aufmerksamkeit bekommt. Wäre halt nicht so toll, wenn man die großen Krokodilstränen lostritt und gleichzeitig dafür mitverantwortlich ist.

  • Diese klare Positionierung der Taliban hat doch ein Gutes: es muss nicht rumgeeiert werden wie man mit der Regierung umgeht, sondern verzichtet auf jede diplomatische Beziehungen und stellt Hilfen jedweder Art ein. Sollte einer der Herren sich doch mal in die EU verirren kann man ihn dann auch gleich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit festsetzen.



    Das gleiche sollte gegenüber dem Regime in Pakistan als Pate der Taliban umgesetzt werden.

  • „ Alles andere war nur dummes Geschwätz.“

    Joa, es gibt halt keine „milden“ Totalitaristen, gab es nie, wird es nie geben und wer was anderes glaubt ist doof (sic).

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Hakkani, der weltweit zur Fahndung ausgeschriebene Massenmörder als Innenminister -- der Terrorstaat lässt grüßen .........