Neue Proteinquellen: Eiweiß aus dem Bioreaktor
Corona hat das Einkaufsverhalten verändert. Vor allem Ersatzprodukte für Fleisch und Milch sind gefragt – nicht immer sind die gut für die Gesundheit.
Zunehmend drängen jedoch auch Fisch- und Ei-Ersatzprodukte auf den Markt. Neben pflanzlichen Proteinen bastelt man in den Forschungslaboren dieser Welt an Proteinen aus Einzellern, Algen, Insekten sowie In-vitro-Fleisch – und das mit saftigen Finanzspritzen. So haben sich die Beträge, die in Food-Start-ups zur Entwicklung von Proteinalternativen investiert wurden, von 2015 auf 2020 auf 2,5 Milliarden US-Dollar verfünffacht. Sicher ist, dass diese Produkte nachhaltiger sind. In Sachen Gesundheit gibt es jedoch noch einige Fragezeichen.
Generell gilt eine fleischarme und pflanzenreiche Ernährung als gesünder, da vor allem rotes und verarbeitetes Fleisch das Risiko für Herzkrankheiten, Diabetes und Darmkrebs fördert. Auch wer anstatt Fleisch mehr Hülsenfrüchte wie Bohnen, Linsen und Erbsen als Ganzes isst, hat bewiesenermaßen gesundheitliche Vorteile.
Dennoch ist bislang nicht bekannt, ob die teils hoch verarbeiteten pflanzlichen Fleischersatzprodukte gesünder sind als Fleisch. Sie sind zwar ähnlich proteinreich, enthalten mehr Ballaststoffe und weniger Kalorien, gesättigte Fettsäuren, aber dafür viel Salz. Das haben Marktchecks der Verbraucherzentrale in den letzten Jahren aufgedeckt. Allerdings wird das Eiweiß aus den Pflanzen isoliert, gesunde sekundäre Pflanzenstoffe, Mikronährstoffe oder Ballaststoffe sind also im Endprodukt nicht mehr enthalten.
Umstritten sind die Veggie-Produkte auch, weil sie teils viele Zusatzstoffe enthalten, um Geschmack und Mundgefühl von Fleisch zu imitieren. So kommen etwa Methylcellulosen als Bindemittel zum Einsatz, die im Verdacht stehen, Darmschleimhaut und Mikrobiom zu schaden. Auch Aromen und Geschmacksverstärker werden zugesetzt.
Mehr Forschung ist notwendig
„Hoch verarbeitete Lebensmittel werden insgesamt mit einer höheren Energieaufnahme in Verbindung gebracht“, schrieb Raychel Santo, Wissenschaftlerin an der John Hopkins University 2020 in einem Übersichtsartikel. „Wir brauchen mehr Forschung, um zu wissen, ob die Menschen mehr verarbeitete oder unverarbeitete Ersatzprodukte anstatt Fleisch essen und ob das zu einem gesünderen Ernährungsmuster führt.“
Pflanzenmilchgetränke enthalten zwar keine umstrittenen Zusatzstoffe und die Verarbeitung ist auch weniger intensiv. Verglichen mit Kuhmilch liefern sie jedoch teils weniger Eiweiß, Vitamine und Mineralstoffe, wenn diese nicht extra zugesetzt werden. Dafür sind sie kalorienärmer. In Soja- und Hafermilch stecken zudem sekundäre Pflanzenstoffe.
Insgesamt ist pflanzliches Protein auch weniger hochwertig als tierisches, da einige essenzielle Aminosäuren nur begrenzt vorkommen. Daher sind Forscher auf der Suche nach neuen Proteinquellen etwa aus der Wasserlinse oder nach idealen Kombinationen von pflanzlichen Proteinen.
Die Universität Bonn ist derzeit dabei, eine entsprechende Proteindatenbank für alle möglichen Ackerpflanzen aufzubauen. Auch Gras hat einen hohen Gehalt an wertvollen Eiweißbausteinen. Möglicherweise essen wir also in 10 Jahren Gras-Burger.
Mykoproteine aus Pilzen, sind vielversprechend, da sie eine sehr gute Proteinqualität aufweisen. Entsprechende Produkte sind ballaststoffreich und fettarm. Durch UV-Bestrahlung können Pilze auch hierzulande häufig fehlendes Vitamin D anreichern. Mit Produkten der Marke Quorn sind bereits Mykoproteine auf dem Markt.
Auch aus Bakterien und Hefen lassen sich in Biotanks Proteine herstellen. Entweder lässt man diese wachsen und erntet die Zellen ab. Das Mikroben-Eiweiß ist eine ausgezeichnete Proteinquelle. Oder man veranlasst die Zellen dazu, bestimmte Eiweiße zu produzieren, wie etwa Casein und Molkenproteine aus Milch. Einige Start-ups wie das in Berlin ansässige Formo widmen sich derzeit der Entwicklung solcher alternativen Proteine.
Forschende sind auch im Wasser fündig geworden: Mikroalgen wie Spirulina und Chlorella und Makroalgen sind reich an Proteinen mit wertvollem Aminosäurenmuster. Sie liefern viele weitere Nährstoffe wie Carotinoide, Vitamin B12, Jod und Omega-3-Fettsäuren. In Makroalgen stecken zudem viele Ballaststoffe, darunter bioaktive Polysaccharide, die zumindest im Zellversuch gegen Krebszellen vorgehen.
Noch fehlen entsprechende Studien
Allerdings ist noch unklar, wie gut die bioaktiven Substanzen, das Vitamin B12 und die Algenproteine vom Körper aufgenommen werden. Dennoch werben einige Nahrungsersatzmittelhersteller damit, dass etwa Spirulina gegen verschiedene Krankheiten vorgehe und Hüftgold schmelzen lasse. Die Verbraucherzentrale weist jedoch darauf hin, dass entsprechende Studien zu Algentabletten nicht existieren.
Algen wie Nori, Dulse oder Meersalat bereichern jedoch seit Urzeiten den menschlichen Speiseplan. Die Studienlage ist hier ziemlich eindeutig: Beobachtungsstudien zeigten, dass ein hoher Algenkonsum in Asien mit einem geringeren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes zusammenhängen.
Auch Insekten sind keineswegs neue Lebensmittel, sie zählen nur in westlichen Industrienationen nicht oder nicht mehr zum kulinarischen Kulturgut. „Insekten liefern wertvolles Eiweiß mit allen essenziellen Aminosäuren“, sagt Karlis Briviba vom Max Rubner-Institut. Er untersucht derzeit, ob das menschliche Verdauungssystem die Insektenproteine verwerten kann. Und erste Ergebnisse weisen auch darauf hin. Viele essbare Insektenarten enthalten ungesättigte Fettsäuren sowie Eisen, Zink, Mangan und Kupfer satt.
In-vitro-Fleisch ist herkömmlichem Fleisch in Sachen Nährstoffgehalt und gesundheitlichen Risiken am ähnlichsten. Es ist schließlich ein vergleichbares Endprodukt, nur in Zellkultur gewachsen. So können zusätzlich wünschenswerte Nährstoffe wie Vitamine oder Omega-3-Fettsäuren angereichert werden. Es sind aber auch mehr Zusatzstoffe erforderlich.
Derzeit essen die Deutschen jedoch zu viel Eiweiß – der derzeitige Proteinhype ist daher unverständlich. Vor allem der Fleischkonsum sollte halbiert werden, während Milch- und Milchprodukte etwa in den Mengen gegessen werden, wie empfohlen. Dennoch gibt es Vorteile für Fleisch- und Milchersatzprodukte. Sie sind nicht nur umweltfreundlicher, auch müssten weniger Tiere in der Massentierhaltung ihr Dasein fristen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz