Neue Coronawelle in Afrika: „Schlimmer als alles bisher“
Die dritte globale Coronawelle hat Afrika voll im Griff. Und während sich neue Virusvarianten ausbreiten, versiegen die globalen Impfstofflieferungen.
Wenn sie Alarm schlägt, sollte das ernst genommen werden. „Das Ausmaß und der Umfang der jetzigen dritten Coronawelle in Afrika ist schlimmer als alles, was wir bisher erlebt haben“, so Dr. Moeti. „Derzeit haben wir bereits eine Notsituation in den meisten Ländern Afrikas. Ohne ausreichend Impfstoff wird es bald eine Tragödie sein.“
Die WHO-Direktorin untermauert dies mit in Europa kaum bekannten Fakten: Die hoch ansteckende Delta-Variante von Covid-19 ist bereits in zahlreichen Ländern auf dem Kontinent nachgewiesen worden. An der Spitze steht dabei Uganda mit 97 Prozent der Neuinfektionen, gefolgt von Ländern wie Kongo mit 79 Prozent. In Südafrika liegen genaue Angaben noch nicht vor, Schätzungen gehen von mehr als 70 Prozent aus.
Am Beispiel Uganda wird deutlich, dass ein Land mit etwa 40 Millionen Einwohnern in Kürze auch mit Lockdownregeln nicht mehr zu retten sein wird: An Impfstoff standen seit März nur knapp 1 Million via Covax gelieferte AstraZeneca-Dosen zur Verfügung. Die hoffnungsvoll ausgerufene „Massenimpfung“ musste am 8. Juni abgebrochen werden, weil schlicht alles „verimpft“ war und seitdem auf Spenden aus China gehofft wird. Kaum jemand in Uganda hat die nötige zweite Impfung. Die Regierung droht nun mit mehrmonatigen Haftstrafen für Menschen, die die neuen Lockdownregeln brechen.
An die offizielle Todeszahl von knapp 2.000 an Covid-19 Verstorbenen in Uganda glaubt kaum jemand. Selbst Gesundheitsministerin Jane Ruth Aceng geht davon aus, dass die Situation „bald außer Kontrolle geraten wird“. Von der publikumswirksam im Juni angekündigten Spende der G7-Nationen von einer Milliarde Impfdosen an arme Länder hat sie bisher nichts Konkretes in Erfahrung bringen können.
Und genau hier liegt der fatale Irrtum der Regierungen reicher Länder: Die globale Coronapandemie lässt sich nicht mit Nationalegoismus und ein bisschen Wohltätigkeit für die Armen bekämpfen. Auch die wohlhabenden Nationen werden in wenigen Monaten merken, dass zuerst an sich zu denken und immer mehr zu horten nicht vor der größten Gefahr von Covid-19 schützen wird – der Entstehung und Ausbreitung immer neuer Mutationen zuerst dort, wo nur unzureichend Vorsorge geleistet wurde und wo dann auch noch so viele gehortete Impfstoffe anderswo nicht mehr helfen werden.
Dass auch der deutsche Bundesgesundheitsminister Jens Spahn meint, mit einer Bestellung von 200 Millionen Impfdosen für 2022 vorsorgen zu können, während in anderen Ländern der Welt genau dieser Impfstoff jetzt sofort gebraucht wird, ist ein Beispiel dieser Haltung.
Zwei Drittel aller Impfungen weltweit in nur 10 Ländern
Bisher wurden gut zwei Drittel aller Impfdosen weltweit in nur zehn Ländern verabreicht: China, Indien, USA, Brasilien, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Türkei, Mexiko. An erster Stelle steht inzwischen Nordamerika mit etwa 65 Prozent geimpfter Menschen, gefolgt von Europa mit etwa 55 Prozent, dann Südamerika mit 33 Prozent, Asien außerhalb Chinas mit 28 Prozent – und als absolutes Schlusslicht Afrika mit knapp 3 Prozent.
In einigen Medien erhielt immerhin Südafrika Aufmerksamkeit, wo seit einer Woche ein erneut strenger Lockdown herrscht – mit abendlicher Ausgangssperre, Alkoholverbot, Schließung von Restaurants und Bars und nun auch wieder aller Schulen. Bislang ohne Erfolg. Die täglichen Neuinfektionen nehmen weiter zu und sind mit inzwischen über 26.000 höher als je zuvor. Von den mehr als 140.000 offiziell registrierten Coronatoten Afrikas sind mehr als 61.500 in Südafrika nachgewiesen – die tatsächlichen Zahlen schätzen Expert*innen doppelt so hoch.
Auch hier ist nötiger Impfstoff der Schlüssel: Bislang werden in Südafrika täglich nicht mehr als 100.000 Impfdosen verabreicht. „Wenn wir ausreichend Impfstoff hätten, könnten wir von der Logistik her gut 300.000 Dosen verabreichen“, erklärte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. Und auch hier wird nun China zum mutmaßlichen Hoffnungsträger: Die südafrikanische Medizinkontrollbehörde Sahpra machte am Wochenende den Weg frei zur uneingeschränkten Bestellung des Impfstoffes Sinovac.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen