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Nazi-Parolen auf Dorffest in HeinersdorfEskalation mit Ansage

Erst wird das „Sylt“-Lied gesungen, dann ziehen Rechte marodierend durch Heinersdorf. Anwohner sind besorgt, der Ortsbeirat positioniert sich.

Die Ruhe nach dem Dorffest Foto: Clara Zink

Heinersdorf taz | Insgesamt dreimal soll ein DJ das Lied „L’Amour toujors“ beim diesjährigen Dorffest in Heinersdorf, einem Ortsteil der Gemeinde Steinhöfel im Osten Brandenburgs, gespielt haben. Der Song ist zu einer Art Hymne für Rechtsextreme geworden, spätestens seit vor etwa zwei Wochen in einer Bar auf Sylt dazu rassistische und volksverhetzende Parolen gegrölt worden waren. Veranstaltungen wie die Berliner Fanmeile haben deshalb bereits angekündigt, das Lied nicht mehr zu spielen.

Auch beim Dorffest in Heinersdorf sollen rechtsextreme Parolen zum Lied gesungen worden sein. Im Anschluss daran sollen einige Partygäste nachts durch das Dorf gezogen sein, sie sollen weiter Neonazi-Parolen gegrölt, an Haustüren geklingelt und Wahlplakate der SPD sowie der Linken abgerissen haben.

Rechte Vorfälle wie dieser in Heinersdorf waren im Vorfeld der Kommunal- und Europawahl keine Ausnahme in der Region. Auch im Ort Erkner im Landkreis Oder-Spree wurden bei einem „Heimatfest“ Ende Mai Nazi-Parolen zu „L’Amour toujours“ gesungen. In Schöneiche im selben Landkreis wurden im April zwei Kandidaten der Linken beim Plakatieren angegriffen.

Das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung „demos“ schätzt die genannten Vorfälle auf Nachfrage nicht als Einzelfälle ein – sie zeugten nicht nur von einer Verschiebung des Sagbaren, sondern auch im rechtsextremen Verhalten. Früher habe man in der Gemeinde Steinhöfel etablierte Strukturen der NPD aufgefunden, heute läge eine hohe Wahlbereitschaft für die AfD vor. Bei den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag erhielt die AfD in Steinhöfel 30,3 Prozent der Stimmen.

Neue Qualität

In Heinersdorf sei es in den vergangenen Jahren immer wieder zu rechten Vorfällen gekommen, erzählt Pascale Müller, eine Anfang 30-Jährige, die seit knapp vier Jahren in dem Ort lebt. Aber das, was sich am 1. Juni beim Fest abgespielt habe, sei „irgendwie anders“ gewesen. Dass Leute nach dem Fest nachts noch laut sind, sei an sich nichts Ungewöhnliches. „Aber diese Qualität ist etwas anderes, das haben weder wir noch unsere Nach­ba­r*in­nen so schon einmal gehört“, so Müller. Schlimm fände sie, wenn die rechtsextremen Parolen nun von Dorffest zu Dorffest weitergetragen würden.

Müller und ihr Partner Michael Gegg betonen dennoch: Heinersdorf sei kein „braunes Nest“. In der Gemeinde gebe es „ein paar Kandidaten, von denen man weiß, dass sie rechts sind“, sagt Gegg. „Wir haben hier aber auch viele engagierte Nachbar*innen, die versuchen, dass das hier ein guter Ort ist.“

2021 gründete sich das „Bündnis für ein weltoffenes Steinhöfel“, weil sich in einem örtlichen Gasthof wiederholt AfD-Funktionäre aus dem offiziell aufgelösten rechtsextremen Flügel der Partei trafen. Seitdem hat das Bündnis mehrere Veranstaltungen gegen die AfD und Rechtsextremismus in der Region organisiert. Am Sonntag nach dem Dorffest schrieben Mitglieder des Bündnisses eine Stellungnahme, die sie der Gemeindevertretung vorgelegt hätten, sagt Müller.

Dass der DJ „L’Amours toujours“ trotz der aktuellen Debatte auf dem Dorffest gespielt habe, bezeichnet das Bündnis darin als „Eskalation mit Ansage“: Er falle „damit allen in den Rücken, die das Dorffest mit viel Einsatz und Mühe zu einem schönen Erlebnis für alle Hein­ers­dor­fe­r*in­nen und Gäste machen wollen“, heißt es darin. Bereits in vorangegangenen Jahren hätte man allerdings immer wieder von An­woh­ne­r*in­nen gehört, dass sie sich auf dem abendlichen Teil des Dorffestes nicht sicher fühlten.

Ortsbeirat positioniert sich

Auch Janina Messerschmidt wohnt mit ihrem Partner in Steinhöfel. Vom Dorffest selbst hätten sie nichts mitbekommen, allerdings sei ihr Partner nachts wach geworden, weil es bei ihnen geklingelt habe, erzählt sie.

Messerschmidt, die bislang auch Gemeindevertreterin war, habe den Vorfall und die Stellungnahme in der folgenden Sitzung des Ortsbeirats angesprochen, sagt sie. Aufgrund der bevorstehenden Wahlen sei aber praktisch keine Zeit gewesen, um darüber zu sprechen. Auf der Sitzung an diesem Montag wurde dann jedoch eine Stellungnahme beschlossen. Diese soll nun im Dorf ausgehängt und in alle Briefkästen verteilt werden.

Nicht zur Freude aller: Einige An­woh­ne­r*in­nen seien der Meinung, dass die Dinge besser untereinander geklärt werden sollten und dass die Debatte ausschließlich von neuen, jungen An­woh­ne­r*in­nen im Dorf angestoßen worden sei. „Da steckt schon eine interessante Geschichtsschreibung drin“, sagt Messerschmidt.

Auch alteingesessene An­woh­ne­r*in­nen aus der Region seien erschrocken über die Ereignisse, „aber das wird so nicht erzählt“. Ihrer Meinung nach gehe es in der Sache nicht nur um ein paar rechte Partygäste. „Ich würde schon sagen, dass man hier einen sehr breiten Alltagsrassismus hat und keine Strukturen, die dagegen anarbeiten.“ Man solle den Vorfall daher zum Anlass nehmen, um strukturell an das Thema heranzugehen: „Ich glaube, es geht da um eine langfristige Kulturänderung.“

Richtigstellung: In einer früheren Version des Beitrags wurde der DJ im Text namentlich genannt und der rechtsextremen Szene der Gemeinde zugeordnet. Diese Information hat sich im Nachgang als falsch herausgestellt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. Die Redaktion

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15 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Mit Sozialismus kennen wir uns in Deutschland aus.



    Man sollte doch meinen das es im erweiterten Sinn für „gemeinnützig, hilfsbereit, barmherzig“ steht.

    Von wegen, ob von Links oder Rechts, ist es immer der gleiche Stechschritt, immer der gleiche Untertan, immer der gleiche Fanatismus .

  • In der Aufarbeitung nach dem 2. Weltkrieg muss der deutschen Gesellschaft vieles schiefgelaufen lassen sein - Fremdenhass ist immernoch so tief verwurzelt und zeigt sich schleichend immer mehr auf allen eben des Lebens.

    Ich als Deutscher mit Migrationshintergrund wünsche ich mir, dass Politik, Medien und Gesellschaft die gleiche Energie und das gleiche Engagement im Kampf gegen Rechtsextremismus aufbringen wie derzeit bei der Verteidigung der Ukraine - ich vermisse die Entschlossenheit den Willen wirklich entgegnen zu wollen. Ich fürchte, dass, wenn wir weiter abwarten und "nur reden", bald ein Punkt erreicht werden könnte, von dem es kaum mehr ein Zurück gibt. Dann könnte es so normal und selbstverständlich sein, gegen Minderheiten zu hetzen, dass nicht einmal mehr bemerkt wird, wie sehr diese darunter leiden.

  • Eigenerfahrung oder Bildung kann helfen.

  • Führerscheinentzug für öffentliche Rassismus-Parolen



    "..demjenigen, der sich außerhalb des Straßenverkehrs nicht an die Gesetze hält, insbesondere Straftaten begeht, droht der Verlust des Führerscheins"



    Quelle: www.anwalt-suchser...erkehrs_21665.html

    Wie wäre es mit Führerscheinentzug für öffentliche Nazi-Parolen, irgendwie muss man dem Spuck ja endlich ein Ende setzen. Ist ja auch eine Straftat in der Öffentlichkeit. Wirken würde dies bestimmt und verdient hätten sie es auch.

    • @Rudi Hamm:

      Nachdem das Verfassungsgericht entschieden hat, dass die Parole "Auslaender raus" als solche unter die Meinungsfreiheit faellt, wird das schwer.



      Es ist eben keine Strafttat - und ohne jene waeren Sanktionen wie Fuehrerscheinentzug reine Willkuerjustiz.



      Ob man mit Willkuerjustiz die Demokratie rettet, wage ich zu bezweifeln.

    • @Rudi Hamm:

      Öffentliche Nazi-Parolen sind aber grundsätzlich kein Straftatbestand. Ausnahmen bestehen, wenn es sich um Volksverhetzung oder um Symbole/Parolen historischer nationalsozialistischer Organisationen handelt.

    • @Rudi Hamm:

      Das ist eine sehr gute Idee.

      Schon der Führer war ein armes Schwein und hatte keinen Führerschein.

  • Langristige Kulturaenderung?

    Rechtsradikale umsiedeln oder wie? Abschieben nach Nazistan?

    Oder ganz viel Zeit und Geld in Jugendorganisationen und andere Kultur und Freizatangebote stecken, Auslaenderanteil im Ort erhoehen vll. mit einer Fluechtlingsunterkunft ... direkt im Zentrum am besten...

    Ich habe da wenig Hoffnung auf einen durchschlagendenn und vor allem nachhaltigen Erfolg...

    Wenn schon rund 30% rechtsextrem sind in einer Ortschaft, dann will da doch eig. kaum jemand anderes noch freiwillig leben... Menschen ziehen weck wenn moeglich, es kommen dann an deren Stelle oft noch mehr Rechtsradikale und der Prozess verselbstaendigt sich immer weiter.

  • Da, wo unsere Verfassung dringend des Schutzes bedarf ist der Verfassungsschutz offenbar nicht nur weit weg sondern auch blind.

  • Es wird jetzt so richtig losgehen mit den rechtsextremen Hassverbrechen. Das Wahlergebnis gibt den Tätern das Gefühl, den Willen der Mehrheit zu exekutieren.

    Genau so war es in Großbritannien nach dem Brexit-Referendum.

  • Wie üblich schwappt alles aus USA hierher über.



    Je asozialer sich die "Elite" gebärdet, desto stärker kommt es bei den Zielgruppen an.



    Wenn die "Elite" dann noch die Haare schön hat, ist alles gelaufen.

    • @Erfahrungssammler:

      Die Aussage ist mir zu allgemein.



      Könnten Sie das bitte konkretisieren: Name, Gesicht, Adresse. Das kann bei der Elite ja nicht schwer sein.

      • @Vigoleis:

        Normalerweise beginnen derartige Fragen mit "Wer genau...".

        Namen zu nennen traue ich mich nicht - nachher gehen Trump, Krah und Wilders noch rechtlich gegen mich vor...

  • Nun haben die Punks Berlins einen kürzeren Weg und können schnell mal nach Heinersdorf fahren. 🤓