Naturkatastrophe in der Schweiz: Erderhitzung macht Bergstürze wahrscheinlicher
Nach dem Bergsturz im Lötschental sinkt die Gefahr einer Flutwelle wieder. Der Auslöser bleibt unklar. Mitverantwortlich könnte der Klimawandel sein.

„Die Lonza scheint ihren Weg gefunden zu haben“, sagte der Gemeindepräsident der von dem in die tiefe gestürzten Geröll weitgehend zerstörten Ortschaft Blatten, Matthias Bellwald. Der Pegelstand des hinter dem Schuttkegel aufgestauten Sees sei inzwischen ungefähr einen Meter niedriger als noch am Freitag, erklärte Raphaël Mayoraz, Chef der Dienststelle Naturgefahren des Kantons Wallis.
Die Aufräumarbeiten der nach Experteneinschätzung rund neun Millionen Kubikmeter Geröll können derweil noch nicht beginnen: Die Trümmer, die zu etwa einem Drittel aus Eis bestehen, gelten als zu instabil, um Menschen und Bagger darauf zu lassen.
Von einem seit dem Bergsturz vermissten 64-jährigen Mann fehlt weiterhin jede Spur.
Unglück war lange vorherzusehen
Am Mittwochnachmittag war ein großer Teil des Birchgletschers im Kanton Wallis abgebrochen. Rund drei Millionen Kubikmeter Gestein und Eis stürzten ins Tal und auf die Häuser im Dorf Blatten. Der Ort war zuvor bereits evakuiert worden, er wurde völlig zerstört. Das Gesamtvolumen der Eis- und Gesteinsablagerungen am Talboden bezifferte der Kanton auf zehn Millionen Kubikmeter. Das Unglück war lange vorauszusehen. „Das Gebiet wird schon seit 30 Jahren überwacht, man wusste, dass das potenziell instabil ist“, sagt Jens Turowski vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam.
In der vergangenen Woche hätten sich am Berg Kleines Nesthorn innerhalb von ein bis zwei Tagen zunächst Gesteinsmassen um bis zu drei Meter verschoben, „das ist extrem schnell“, sagt Turowski. Insgesamt seien dann drei Millionen Kubikmeter Gestein in mehreren Schüben auf den Birchgletscher gefallen. Das sei ein enormes Gewicht von neun Millionen Tonnen. Ein Teil des Gletschers ist daraufhin am Mittwoch abgebrochen und mit dem Großteil des Gesteins nach unten auf das Dorf gerutscht.
Solche Bergstürze sind weder ungewöhnlich, noch passieren sie plötzlich. Zunächst gebe es etwa Verwitterungsprozesse und Risse im Gestein. Die konkreten Auslöser seien im Fall des Unglücks noch nicht klar. Der Klimawandel könnte eine Rolle gespielt haben.
Permafrost, Schnee und Gletscher schmelzen
Erstens könne der Permafrost geschmolzen sein. „Der wirkt wie ein Kleber. Wenn er wärmer wird und schmilzt, wird er mechanisch instabiler und wenn er sich auflöst, dann fällt diese Klebewirkung komplett weg.“
Zweitens könne Schmelzwasser vom Schnee in das Gestein eingedrungen sein. Dann könne sich Druck in Poren oder Rissen aufbauen und das Gestein auseinanderdrücken.
Drittens schmelzen die Gletscher. „Sie stützen die Talwände ab und stabilisieren das Gestein. Wenn die sich zurückziehen, fällt diese Stütze weg“, sagt Turowski.
In bestimmten Regionen könne man damit rechnen, dass Bergstürze durch die Erderhitzung häufiger werden, sagt Turowski. „Ich kenne aber keine statistischen Nachweise dafür.“ Für alle anderen Massenbewegungen außer für derart große Bergstürze habe man aber schon gezeigt, dass sie in den letzten Jahrzehnten häufiger geworden sind.
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