Nancy Fraser von Uni Köln ausgeladen: Boykott mit Folgen
Nach dem 7. Oktober unterzeichnete die Philosophin Nancy Fraser den Boykott-Aufruf „Philosophy for Palestine“. Jetzt wird sie selbst boykottiert.
Die Universität zu Köln versagt der US-amerikanischen Philosophin Nancy Fraser die geplante Albertus-Magnus-Professur. Die erwartbare Reaktion folgt: Eine kritische Stellungnahme renommierter Professorinnen und Professoren. Darunter die Philosophin Rahel Jaeggi, der Soziologe Axel Honneth und die emeritierte Yale-Professorin und Politikwissenschaftlerin Seyla Benhabib.
Was sich im Streit über Antisemitismus und Kunstfreiheit schon zeigte, gilt auch für diesen: Im Holzschnitt geht das Detail verloren.
Doch Details sind entscheidend: In der Ausladung Frasers witterten die Unterschreibenden schnell einen „weiteren Versuch, die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion zu Israel und Palästina“ zu verhindern. Dabei stellten sie selbst fest, dass Nancy Fraser sich in den zwei geplanten Vorlesungen gar nicht mit Israel beschäftigen wollte.
Von einem weiteren Versuch, die überfrachtete Diskussion zum Thema zu unterbinden, kann nicht die Rede sein. Von einem Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit erst recht nicht – außer der eigene Freiheitsbegriff reduziert sich auf die Faustformel: Wer nicht mit Professuren ehrt, muss totalitär sein.
Wer boykottiert wen?
Auch will man die Ausladung „unabhängig davon“ bewerten, welchen Inhalten sich Nancy Fraser mit ihrer Unterschrift unter dem Aufruf „Philosophy for Palestine“ verschrieben hatte. Man übergeht ein weiteres Detail, nämlich die Frage: Wer boykottiert hier wen?
Im Aufruf jener Philosophen sind es nicht die streitbaren Diskursphrasen „Apartheid“ und „Genozid“, die die wohlwollende Rhetorik hintertreiben. Es ist vielmehr die Tatsache, nur wenige Tage nach dem 7. Oktober, die Verantwortung für das schlimmste Massaker an Juden seit der Shoah auf Israel abzuwälzen und dann noch im gleichen Atemzug den Boykott aller israelischen Institutionen zu fordern – auch und gerade der wissenschaftlichen. Sich mit einer solchen Position gemein zu machen zeugt nicht gerade vom Willen zur Wissenschaftsfreiheit.
In Nancy Frasers Ausladung einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit zu wähnen, verkehrt daher die Kausalkette und entleert den Begriff. Gleich noch mit einer Entwertung für den Wissenschaftsstandort Deutschland zu drohen suggeriert: Der nationale Erfolg bemisst sich am Grad der Verklärung antijüdischer Gewaltakte.
Kritikwürdig bleibt indes auch, warum die Absage erst fünf Monate nach dem Aufruf erfolgte. Es sind Entkopplungen wie diese, die den immergleichen Zirkelschluss zulassen: den der Cancel Culture hinter verschlossenen Türen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin