Nahost-Konflikt in der linken Szene: Kampf um die Rote Flora
Palästina-Aktivist*innen haben kurzzeitig die Rote Flora in Hamburg besetzt. Sie werfen dem Zentrum Rassismus vor und drohen mit Übernahme.
„Good night white Flora“ steht darauf – ein impliziter Nazi-Vorwurf gegen das linke Zentrum in Anlehnung an den antifaschistischen Slogan „Good night white Pride“, der sich gegen Rassist*innen richtet. Die meisten der Aktivist*innen tragen Kufija, Coronamaske und Sonnenbrille, einige haben Kapuzen oder Hijabs auf. Sie klatschen und skandieren. Nach weniger als fünf Minuten ist die Aktion vorbei und die Aktivist*innen sind verschwunden.
In der Hamburger linken Szene wird die Auseinandersetzung um linken Antisemitismus vehement geführt. Auf dem Tiefpunkt lieferten sich antiimperialistische und antideutsche Gruppen 2008 gewalttätige Auseinandersetzungen. In den vergangenen zehn Jahren hatte sich die Szene aber wieder angenähert.
Damit scheint es jetzt vorbei zu sein: „Ihr habt uns seit über 20 Jahren den Mund verboten!“, werfen die Aktivist*innen der Roten Flora in einer Pressemitteilung vor. Wer mit „uns“ gemeint ist: „Antiimperialistische Linke, Palästinenser, kritische Juden, linke Israelis, Muslime“. Weiter schreiben sie: „Ihr habt gegen uns gehetzt. Eure Veranstaltungskalender sind gesäubert von palästinensischen, arabischen und jüdischen Stimmen, die nicht eurem philoantisemitischen (sic!) Weltbild entsprechen.“
„Juden“ mit „Palästinenser“ überschrieben
Auf welche „Hetze“ sich die Palästina-Aktivist*innen, die sich in der Pressemitteilung „Rote Flora 4 Palastine“ nennen, beziehen, lassen sie im Unklaren. Für Rückfragen der taz sind sie nicht zu erreichen.
Wahrscheinlich ist, dass sie sich auf Wandbilder und eine Girlande beziehen, die in den vergangenen Monaten am linken Zentrum aufgehängt worden waren. Im Oktober, kurz nach dem Angriff der Hamas auf Israel, spannten die Rotflorist*innen eine Girlande mit den Worten „Free the World from Hamas“ über ihren Balkon. Auf ihre Plakatwand schrieben sie „Killing Jews is not fighting for freedom. Wir sind solidarisch mit allen Jüdinnen und Juden weltweit“.
Unbekannte übermalten die Worte „Jews“, „Jüdinnen und Juden“ und schrieben dazu „Und Palästinenser*innen“. Ebenfalls Unbekannte sprühten „Disarm Israel“ auf die zweite Plakatwand der Roten Flora. Die palästinasolidarische Gruppe „Thawra“, die auch das Palästina-Camp an der Hamburger Universität organisiert, teilte ein Video davon. Am 1. Mai lief „Thawra“ mit einem Transparent mit der Aufschrift “‚Rote‘ Flora – halt’s Maul“ beim Tag der Arbeiter*innen auf.
Die Kurzbesetzung des seit 1989 besetzten linken Zentrums soll laut „Rote Flora 4 Palastine“ der Anfang einer feindlichen Übernahme gewesen sein. „Dies ist der erste Schritt von mehreren, die dazu führen werden, dass antiimperialistische, migrantische und palästinensische Linke den Ton in diesem Haus angeben werden“, sagt eine mit Kufija vermummte und verpixelte Person in einem Livestream von der Kurzbesetzung.
Aktivist*innen für Palästina-Solidarität gegenüber der Roten Flora
Den Stream verbreitete der Account „redstreamnet“, der auch auf Youtube Videos über mehr oder weniger „revolutionäre“ Bewegungen verbreitet und kein Problem damit hat, der islamistischen Huthi-Miliz und der islamistisch-schiitischen Hisbollah eine Bühne zu bieten. Ebenfalls beteiligt an dem Stream war der Account „Salah_Said90“, der auch Hamas-Propaganda teilt. Der Instagram-Account der linken Zeitung Junge Welt repostete das Video.
Die vermummte Person beendet den Stream mit den Worten: „Wir begrüßen die internationale Bewegung der Universitätsbesetzungen und schlagen für Deutschland eine Erweiterung der Besetzungen vor.“ Der Schluss, dass die Besetzung aus dem Palästina-Camp an der Uni geplant worden war, liegt also nahe – auch wegen der Aktionen von „Thawra“ gegen die Rote Flora in den vergangenen Wochen.
Auf Nachfrage der taz solidarisierte sich „Thawra“ zwar mit der Aktion, behauptete aber, nicht selbst daran beteiligt gewesen zu sein, da man derzeit alle Kapazitäten auf das Uni-Camp konzentriere. Was genau an dem Camp so viel Arbeit mache, dass eine fünfminütige Aktion nicht möglich wäre, sagten sie nicht.
Mehrere in der Roten Flora aktive Gruppen sowie das Flora-Plenum wollten sich auf taz-Anfrage am Mittwoch nicht äußern. Ein Aktivist aus dem Flora-Umfeld wies aber darauf hin, dass der Vorwurf einer antideutschen Vorherrschaft in der Flora Quatsch sei. Erst kürzlich hatte das Flora-Plenum eine geplante Veranstaltung mit dem Referenten Oliver Vrankovic zum Thema „Israel seit dem 7. Oktober“ kurzfristig abgesagt. Der Grund: Vrankovic hatte auf seinem Account kriegsverherrlichende Israel-Propaganda geteilt.
Die „Hamburger Initiative gegen Antisemitismus“ kritisierte daraufhin die Rote Flora: Sie habe mit der Absage eine israelische, antisemitismuskritische Stimme zum Schweigen bringen wollen.
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