Nach lebenslanger Haft für Stephan B.: Halle-Attentäter nimmt Geisel
Der 30-Jährige nahm in der JVA Burg zwei Bedienstete in seine Gewalt und wurde dann überwältigt. Schon 2020 gab es einen Fluchtversuch.
![Ein Straßenschild weist den Weg zur Justizvollzugsanstalt (JVA) Burg Ein Straßenschild weist den Weg zur Justizvollzugsanstalt (JVA) Burg](https://taz.de/picture/5972371/14/219247342-1.jpeg)
So schilderten es Sachsen-Anhalts Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) und Mitarbeiter ihres Ministeriums am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Womit Stephan B. die JVA-Angestellten bedrohte, dazu wollten sich die Verantwortlichen indes nicht äußern – dies werde noch genauer ermittelt. Medien hatten von einer Art selbstgebauter Pistole berichtet.
Der Ausbruchversuch wirft aber auch so gleich mehrere heikle Fragen auf. Denn Stephan B. ist der wohl prominenteste Gefangene in Sachsen-Anhalt. Am 9. Oktober 2019 hatte der Rechtsextreme versucht, die Synagoge in Halle zu stürmen. Als es ihm nicht gelang, das Eingangstor zu überwinden, erschoss er eine Passantin und im nahe gelegenen „Kiezdöner“ einen Mittagsgast. Weitere Personen verletzte er teils schwer. Für die Tat war B. im Dezember 2020 zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden.
Bereits im Juni 2020 hatte B. versucht aus seiner damaligen JVA Halle zu flüchten. Er überkletterte damals einen 3,40 Meter hohen Zaun des Freistundenhofes und suchte rund fünf Minuten nach einem Ausgang, bevor er von JVA-Bediensteten wieder in Gewahrsam genommen wurde. B. wurde danach in die JVA Burg verlegt, die als größtes und modernstes Hochsicherheitsgefängnis in Sachsen-Anhalt gilt.
Das Haftverhalten sei „ambivalent“
Schon zuletzt sei das Haftverhalten von B. „ambivalent“ gewesen, erklärte Wolfgang Reichel, Leiter des Justizvollzugs im Justizministerium. Mal kooperiere er, mal nicht. So habe B. am Jahrestag des Halle-Anschlags seine Zellentür mit einem Papierblock verkeilt und wurde darauf in eine kameraüberwachte Zelle verlegt. Auch nun befinde sich B. wieder in einem besonders gesicherten und überwachten Haftraum. Überlegt wurde auch, den Rechtsextremen vorübergehend in ein anderes Bundesland zu verlegen.
Wie sich Stephan B. seine Waffe bauen konnte, wird noch ermittelt. Er habe nur sehr wenige Alltagsgegenstände in seiner Zelle, hieß es aus dem Justizministerium. Ein Essensmesser etwa war bisher aber erlaubt. Das Ministerium beteuerte, der Haftfall Stephan B. habe stets „oberste Priorität“ gehabt, seine Zelle sei regelmäßig durchsucht worden.
Weidinger lobte das besonnene Handeln der JVA-Bediensteten. Zur Tatzeit seien acht Mitarbeitende im Dienst gewesen, einer mehr sogar als nötig. Die Geiseln, die körperlich unverletzt blieben, würden nun jede Unterstützung bekommen, die sie bräuchten. Die Ermittlungen führt jetzt das Landeskriminalamt. Am Montagabend war die Polizei mit einem Großeinsatz und Spezialkräften zu der JVA ausgerückt.
Schon im Prozess wurde er auffällig
Tatsächlich war Stephan B. schon länger als renitent bekannt. Auch im Prozess wegen des Halle-Attentats hatte er jüdische Betroffene beleidigt. Noch bei der Urteilsverkündung hatte er anwesende Nebenkläger:innen mit einem Hefter beworfen und wurde dafür im Saal von Polizisten überwältigt.
Die Opposition im Landtag forderte weitere Aufklärung ein. „Wenn es zutrifft, dass sich der Rechtsterrorist in der JVA eine Waffe bauen konnte, ist das einfach unfassbar“, erklärte die Linken-Innenexpertin Henriette Quade. Auch der Grüne Sebastian Striegel sagte, er sei „extrem beunruhigt“, dass es nach dem ersten Ausbruchsversuch zu einem erneuten schwerwiegenden Sicherheitsvorfall gekommen sei. „Was passiert ist, muss schnell und umfassend aufgeklärt werden.“
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