Nach der geplatzten RichterInnenwahl: Koalition geht streitend in die Sommerpause
Die SPD hält an ihrer Kandidatin Brosius-Gersdorf fest und fordert von der Union Zustimmung. Dort gibt es immer mehr Kritik an der Fraktionsspitze.

Der Bundestag hätte am Freitag über die Neubesetzung von drei RichterInnenposten am Bundesverfassungsgericht abstimmen sollen. Die SPD hatte die beiden Rechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold vorgeschlagen, die CDU/CSU den Richter Günter Spinner. Die Abstimmung im Plenum sollte eine Formalie sein, denn die Spitzen der SPD und der Union hatten sich zuvor auf die KandidatInnen geeinigt. Für die Wahl braucht es eine Zweidrittelmehrheit.
Doch am Freitag forderte die Unionsfraktion kurzfristig die Absetzung der Wahl von Brosius-Gersdorf und verwies auf vermeintliche Plagiatsvorwürfe. Diese stellten sich später als konstruiert heraus. SPD, Union, Grüne und Linke einigten sich darauf, die Wahl aller KandidatInnen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
Brosius-Gersdorf war Mitglied der Expert*innenkommission zu Schwangerschaftsabbrüchen, die eine Legalisierung bis zur 12. Wochen empfohlen hatte. Einige Abgeordnete halten deshalb ihre Position zum Abtreibungsrecht für zu liberal. Seit ihre Kandidatur bekannt wurde, läuft eine Kampagne organisierter Abtreibungsgegner*innen gegen sie.
Brosius-Gersdorfs Positionen sind mehrheitsfähig
Auch der katholische Bamberger Erzbischof Herwig Gössl schaltete sich am Sonntag per Predigt in die Diskussion ein: Die Wahl von Brosius-Gersdorf wäre ein „innenpolitischer Skandal“, so Gössl und zeichnete ein düsteres Bild einer Zukunft, in der Abtreibung legalisiert wäre. Allerdings sind Brosius-Gersdorfs Positionen mehrheitsfähig: Sogar unter Katholik*innen sind 65 Prozent für ein Ende des Abtreibungsverbots, wie sie es vertritt. In der gesamten Bevölkerung befürworten es 80 Prozent.
Katharina Dröge und Britta Haßelmann, Grüne
Brosius-Gersdorf sei Opfer einer beispiellosen Schmutzkampagne geworden, sagte SPD-Fraktionschef Miersch. Den Unionsabgeordneten bot er ein klärendes Gespräch mit der Kandidatin an. Sie sei dazu bereit, sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen und zu zeigen, dass sie keine „ultralinke Aktivistin“ sei, wie manche behaupteten. An den Koalitionspartner richtete Miersch einen klaren Auftrag: „Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.“ Auf das Gesprächsangebot ging die Union bisher nicht ein.
Die Grünen forderten eine Sondersitzung noch in dieser Woche, um die RichterInnenwahl zu wiederholen. „Wir können keine Hängepartie über den Sommer akzeptieren, in der das Land im Unklaren darüber ist, ob wir noch eine stabile Regierung haben“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge. Wenn Union und SPD keine demokratische Mehrheit zustande bringen könnten, sei Jens Spahn als Fraktionsvorsitzender gescheitert und ungeeignet.
Bundespräsident hält die Regierungskoalition für „beschädigt“
Auch aus der Union kam Kritik an der eigenen Spitze. Von einem „eklatanten Führungsversagen“ sprach am Wochenende der Christdemokrat Peter Müller, der als pensionierter Politiker und Ex-Verfassungsrichter keine Rücksicht mehr auf innerparteiliche Etikette legen muss. „So etwas darf nicht passieren.“ Was die Regierungsparteien in den vergangenen zwei Wochen geboten hätten, sei „ein Autounfall in Zeitlupe“, sagte auch der Chef des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, der Welt am Sonntag. Tilman Kuban, CDU-Abgeordneter, stützte hingegen Fraktionschef Spahn. „Eindeutig ja“, antwortete er dem Tagesspiegel auf die Frage, ob Spahn jetzt als Fraktionsvorsitzender weitermachen könne. Er legte Brosius-Gersdorf den Rückzug als Kandidatin für die Richterwahl nahe.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält die schwarz-rote Regierungskoalition nach der verschobenen Wahl für „beschädigt“. Der Vorgang beschädige die Autorität des Parlaments, sagte Steinmeier am Sonntag im ZDF. Der Bundespräsident drängte darauf, „in näherer Zeit“ eine Entscheidung zu treffen.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) sprach unterdessen davon, in der nächsten Sitzungswoche, die ab dem 10. September statt finden wird, einen neuen Anlauf für die Wahl nehmen zu wollen. Sollte der Bundestag dann weiterhin keine Zweidrittelmehrheit zustande bekommen, kann er das Wahlrecht an den Bundesrat abtreten.
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