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Nach der BundeskanzlerwahlBeschluss zur Unvereinbarkeit weicht auf

Die Kanzlerwahl zeigte eine erste Annäherung der Union an die Linke. Thorsten Frei (CDU) plädiert für eine Neubewertung, Fraktionschef Spahn bremst.

Huch, nur nicht zu nah kommen! Jens Spahn (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU) mit der Linken-Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz/AFP | Nicht nur das Scheitern von Friedrich Merz im ersten Wahlgang bei der Kanzlerwahl am Dienstag war historisch – auch die Tatsache, dass die Union für die kurzfristige Wiederholung der Abstimmung mit der Linkspartei kooperierte, markierte einen Bruch mit ihrer bisherigen Linie. Das Vorgehen löst nun eine Debatte über den künftigen Umgang mit der Linken aus.

Um mit Zustimmung der demokratischen Parteien einen zweiten Wahlgang noch am selben Tag zu beschließen, war die CDU auf die Stimmen der Linkspartei angewiesen. Damit wurde der sogenannte Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU faktisch aufgeweicht – jener Parteitagsbeschluss von 2018, der jegliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausschließt. Dort heißt es wörtlich, es dürfe „keine Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ geben.

Kommt nun also die Kurskorrektur der Union? Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) zeigte sich am Mittwoch in der RTL/ntv-Sendung „Frühstart“ offen für eine Überprüfung des Beschlusses. „Wir werden darüber sprechen müssen“, sagte er. Zwar könne man einen Parteitagsbeschluss nicht einfach aufheben, doch es sei an der Zeit, manche Position neu zu bewerten.

Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt äußerte sich in diese Richtung: Bei ntv erklärte er, in der aktuellen Situation sei es richtig gewesen, den Kontakt zur Linkspartei zu suchen. Dort, wo es künftig Zweidrittelmehrheiten brauche, werde man das auch wieder tun.

Ganz anders klingt es nun aber vonseiten des Unions-Fraktionschefs Jens Spahn (CDU). Gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland bekräftigte er am Mittwochmittag, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss auch in Zukunft noch gelte. Bei der Kanzlerwahl sei es „um einen geschäftsmäßigen Antrag zur Tagesordnung“ gegangen. „Das verstößt weder gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss noch hebt es ihn auf.“

Linke ist offen für Annäherung

Die Zweidrittelmehrheit hätte die neue Koalition rein rechnerisch auch mit der AfD erreichen können. Die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei hatte früh signalisiert, der Änderung des Zeitplans auf Bitte von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zuzustimmen. Doch um nicht auf AfD-Stimmen angewiesen zu sein, war die Spitze der Unionsfraktion gezwungen, sich nach links zu wenden.

Aufseiten der Linken wird diese Entwicklung begrüßt. Co-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek sagt auf Anfrage der taz, der Unvereinbarkeitsbeschluss der Union sei ohnehin immer unangebracht gewesen, nun sei er für sie auch nicht mehr praktikabel. „Wenn es um konkrete Verbesserungen für den Alltag der Menschen geht, haben wir schon immer gesagt, dass wir zu konstruktiven Gesprächen mit allen demokratischen Fraktionen bereit sind – so auch mit der Merz-Regierung.“

Die Union werde „ihre ideologischen Scheuklappen ablegen müssen.“ Dem neuen Kanzler dürfe klar sein, dass er in einigen Fragen nicht an einer Zusammenarbeit mit der Linken vorbeikommen werde. „Wir sind zu Gesprächen auf Augenhöhe bereit, wenn es um reelle Veränderungen im Sinne der Mehrheit geht, etwa bei der Reform oder besser noch Abschaffung der Schuldenbremse, aber auch bei Wahlen für Rich­te­r:in­nen am Bundesverfassungsgericht.“

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24 Kommentare

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  • Zusammenarbeit ?? Die zur zwei drittel Mehrheit nötigen Fraktionen haben sich darauf geeinigt am selben Tag einen zweiten Wahlgang durchzuführen, und nicht erst drei Tage später, nicht mehr und nicht weniger. Mit der Logik hier eine Zusammenarbeit von Union und Linken zu sehen, könnte man auch über eine Zusammenarbeit von Grünen, Linken und der AfD reden, da sie gemeinsam gegen Merz gestimmt haben.

  • Die Linke muss aufpassen, nicht den Weg der Grünen zu beschreiten. Aufgabe von Zielen zugunsten einer Regierungs und Minister Partei.



    Anerkennung. Aus den einst 'alternativen' Grünen wurde eine substanzlose Partei, heute Teil des konservativen Lagers. Dafür wurde sie bei den Bundestagswahlen und kürzlich in Hamburg abgestraft...der Machtverlust in Baden-Württemberg steht bevor.



    Vorsicht also Linke, wenn cduspd euch plötzlich als Teil des demokratischen Spektrums anerkennem wollen...nur Taktik zum Machterhalt. CDU Rechtsausleger Spahn will mit einer 'geläuterte' rechten AFD mittelfristig kooperieren. Für Klingbeil und die Seeheimer lautet die Devise: if you can't beat them, joyn them. Domestiziert die Linke und beerbt ihr Wählerpotential.

  • Halte ein Stöckchen hin und die Linken springen.

    Ist eigentlich raus wieviele AfD'ler da auch mitgegangen sind ?

  • Ich habe durchaus den Eindruck, dass die Linke in der Demokratie angekommen ist. Dies aber nur insgesamt. Einzelne, aber schwerwiegende Punkte wären zu klären.



    www.focus.de/magaz...rt_id_2414816.html



    Wie sie es mit der NATO halten, habe ich gerade nicht parat.

    • @Ciro:

      Liebe*r Ciro,

      ich weiß nicht, wie tragfähig heutzutage noch ein Artikel von 2013 - und dazu von Helmut Markwort! - ist, aber ich bin neulich schon sehr zusammengezuckt, als Schwerdtner und Reichinnek von der Wiederaufnahme von Kaderschulungen und Marxismus allerrevolutionärster Art sprachen. Ich liege politisch ganz bestimmt links von der Mitte, aber ich habe eher eine humanistische als eine marxistische Ader. Und in der Tat: die Linke hat einiges zu klären. Zum Beispiel sind sie mir in Sachen Antisemitismus etc. nicht eindeutig genug. Da hilft auch nicht, dass sie durchaus berechtigte Forderungen zum Thema Wohnen oder zur Reichenbesteuerung stellen.

      Bezüglich der NATO kann ich Dir jedoch vermelden, dass die Linke im BT-Wahlkampf statt der NATO eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur (langfristig unter Einbeziehung von Russland und der Türkei) gefordert hat. Die Bundeswehr selbst soll zu einer nichtangriffsfähigen Verteidigungsarmee umgebaut werden.

    • @Ciro:

      ach ja, der focus als quelle. da freut sich der neue neurechte kulturstaatsminister bestimmt. ansonsten: klar ist die linke in der demokratie angekommen. sie steht sogar für mehr demokratie, als alle anderen parteien. anders als die CDU. die sägt, wo immer sie einen ast zum sägen findet.

  • Realpolitik!



    Es müssen manchmal die Scheuklappen abgelegt werden.



    Beim Blick über den Tellerrand eröffnen sich dann neue Horizonte.



    Dass Spahn in der CDU rechts steht, dürfte spätestens bei dem Wunsch nach einer Normalisierung der "afd" deutlich geworden sein.



    Die CDU wäre gut beraten, die echten Feinde der deutschen Demokratie zu erkennen und das sind die Rechtsextremen.



    Ich würde das begrüßen.



    Merz hat ja bereits im Vorfeld seiner Ernennung erkannt, dass Andere auch gute Ideen haben können.



    Diese Erkenntnis hat er einer Person wie Spahn vorraus.



    Nachdem beschlossen wurde, dass große finanzielle Anstrengungen für die Zukunft Deutschlands nötig sind, erwärmen sich man und frau vielleicht auch mal für neue Ideen.



    ...Da bin ich mal gespannt 😉

  • Die Linke hatte ein eigenes Interesse, den zweiten Wahlvorgang vorzuziehen: ihren eigenen Parteitag ab Freitag; das sollten wir nicht vergessen. Ob es zu weiteren Abmachungen zwischen dieser Partei und der CDU/CSU kommt, bleibt abzuwarten. Zumindest besteht seitens der Linken nicht die Gefahr, sich für irgendein Entgegenkommen zu verbiegen und die eigenen Werte zu verraten (selbst wenn ich diese beileibe nicht immer teile).

    • @Sabine Hofmann-Stadtländer:

      "Zumindest besteht seitens der Linken nicht die Gefahr, sich für irgendein Entgegenkommen zu verbiegen und die eigenen Werte zu verraten."



      Natürlich besteht diese Gefahr. Mag sie auch geringer sein als bei anderen Windfahnenparteien.



      Nur Fanatiker sind kompromißunfähig.

  • In BaWü möchte die CDU die Grünen im Land 2026 ablösen.

    Schulden sind für ihre potentiellen Wähler schon schlimm, eine Zusammenarbeit mit den Linken geht gar nicht, außer man will die CDU zerstören

  • Ehrlich? Mit der CDU? Wie tief will die Linke sinken? Und was sagt die Antifa dazu? Antifa powered by CDU? Grenzen zu, aber pinke Schranken? Bürgergeld kürzen, aber mit Reichinek-Button? Langsam wird es echt skurril..

  • Dass Herr Spahn bei der Linken skeptisch bleibt, wundert mich nicht. Die Geschwindigkeit zu erreichen, mit der Frau Reichinnek denkt und redet, dürfte ihm kaum gelingen.

    • @Aurego:

      Eben. Die "Ausgründung" des BSW hat er womöglich noch gar nicht mitbekommen. Und jetzt, nachdem die Truppe aus dem Bundestag raus ist, sind die Chancen auch sehr gering, daß ihn die Nachricht noch erreichen kann.

  • "Die Kanzlerwahl zeigte eine erste Annäherung der Union an die Linke. .. Fraktionschef Spahn bremst."



    Dass Spahn mehr Richtung Rechts wackelt, hat er ja bereits zu erkennen gegeben. Das wundert nicht.

  • „Wenn es um konkrete Verbesserungen für den Alltag der Menschen geht, haben wir schon immer gesagt, dass wir zu konstruktiven Gesprächen mit allen demokratischen Fraktionen bereit sind – so auch mit der Merz-Regierung.“



    Also mein Alltag hat sich nicht verbessert, nur weil Merz am Dienstag statt am Freitag zum Bundeskanzler gewählt wurde. Verbessert hat sich bestenfalls der Alltag von ein paar Berufspolitikern, die schon mal einen engen Zweitplan in ihren neuen Pöstchen eingeplant hatten.



    Leider ist auch Die Linke nur ein ehrloser Haufen, dem es um nichts anderes als persönliche Profilierung und private Vorteile geht.

    • @Tiene Wiecherts:

      Wirtschaftlich hat es die Kurse aufgefangen, weil es "Stabilität" ausstrahlt.

      Parlamentarisch hat es dafür gesorgt, dass die CDU/CSU hier das erste mal direkt auf die Linke Fraktion zugehen musste, hat also ihren Einfluss anerkannt.

      Wäre auch nicht vorziehen drin gewesen? Auf jeden Fall.

      Die AfD hat sich auch bereit erklärt den Tagesordnungspunkt aufzunehmen, dass die CDU/CSU sich lieber mit der Linken unterhält steht für sich.

      Ich hätte es Merz durchaus gegönnt nicht jetzt gewählt zu sein und die alten Minister*innen länger im Amt zu wissen. Mit dieser Einstellung habe ich definitiv keine Mehrheit, aber je kürzer Merz Kanzler ist umso besser.

  • Unvereinbarkeitsbeschlüsse erschweren ein sinnvolles effektives Regieren, auf allen Ebenen. Man kann sich klar abgrenzen und in anderen Fällen zusammenarbeiten, oder sich auch nur tolerieren. Die Entscheidungsmöglichkeiten sollten sich der vielfältigen Realität annähern.

  • Die Union sollte so schnell wie möglich



    diesen anacronistischen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der LINKEn aufheben. Zumal auch das neue Personal dieser Partei eine andere, realpolitischere Politik anstrebt, als unter Lafontaine und den Wagenknechtianern.



    Gleichzeitig muss sich die Union klipp und klar gegen jegliche Zusammenarbeit mit der AFD aussprechen, von der Bundes- über Landes- bis hin zur Kreisebene.

    • @Klaus Waldhans:

      "Zumal auch das neue Personal dieser Partei eine andere, realpolitischere Politik anstrebt"



      Also realpolitisch hat Die Linke nach wie vor NULL Konzept bezüglich Russland. Krieg, Frieden, Ukraine-Unterstützung ja, nein, vielleicht, mit Waffen oder ohne...



      Realpolitisch hat Die Linke auch kein Konzept für den Gazakonflikt. Israel ist deutsche Staatsräson. Aus Gründen.



      Realpolitisch ist auch die Position der Linken zur NATO sehr schwierig.



      Sicher war der Aderlass zum BSW eine reinigende Prozedur für Die Linke, realpolitisch ist Die Linke aber immer noch der Begrenzungszaun am linken Rand der Demokratie.



      Wenn man die Union als rechten Begrenzungszaun definiert, weil die AfD klar weit außerhalb des Zauns steht, dann ist der Unvereinbarkeitsbeschluss schon nach wie vor sinnvoll - und zwar für beide Parteien.



      Denn ich weiß wirklich nicht was das für eine Politik sein soll, die Wähler der Linken als auch der Union zeitgleich zufriedenstellt - was das Ziel einer jeden Zusammenarbeit ja ist - da fehlt mir jegliche Phantasie 🤷‍♂️

      • @Farang:

        " Denn ich weiß wirklich nicht was das für eine Politik sein soll, die Wähler der Linken als auch der Union zeitgleich zufriedenstellt - was das Ziel einer jeden Zusammenarbeit ja ist - da fehlt mir jegliche Phantasie 🤷‍♂️"

        Investitionen in die Schiene, Bildung, Vorgehen gegen Kinderarmut, Vermögenssteuer eintreiben, ökologischer Wandel, High Tech Förderung, uvm.

  • taz: *Die Kanzlerwahl zeigte eine erste Annäherung der Union an die Linke. Thorsten Frei (CDU) plädiert für eine Neubewertung, Fraktionschef Spahn bremst.*

    Der homosexuelle Spahn hatte vor Kurzem noch keine Bedenken, die homophobe AfD (die jetzt als gesichert rechtsextremistische Partei vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingestuft wurde) wie jede andere Oppositionspartei zu behandeln, aber 'Die Linke' bleibt für ihn weiterhin der Feind. Was ist mit Jens Spahn eigentlich los?

  • "Um (...) einen zweiten Wahlgang noch am selben Tag zu beschließen, brauchte die CDU die Zustimmung der Linken."



    Das hebt die Linke in ein viel höheres Licht als es ihr hier zusteht.



    1. brauchte nicht die CDU Die Linke, sondern alle Parteien der neuen Koalition - also CDU, CSU und SPD.



    2. Brauchten CDU, CSU und SPD auch die Stimmen der Grünen - sie waren also ebenso wichtig, und



    3. Wäre es auch mit der AfD statt Linken und Grünen gegangen. Das dann mutmaßlich noch deutlich mehr SPD- und Unionspolitiker Merz die Treue versagt hätten steht auf einem ganz anderen Blatt

    • @Farang:

      Meines Wissens haben aber weder die SPD noch sogar die CSU nie einen formellen Unvereinbarkeitsbeschluss getroffen. Bei der SPD wäre das auch unglaubwürdig, hat sich doch z.B. Reinhard Höppner schon ab 1994 als Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt von der PDS tolerieren lassen. Und bei der CSU hat wohl sowieso niemals irgendjemand an eine Vereinbarkeit geglaubt.

    • @Farang:

      " 3. Wäre es auch mit der AfD statt Linken und Grünen gegangen. Das dann mutmaßlich noch deutlich mehr SPD- und Unionspolitiker Merz die Treue versagt hätten steht auf einem ganz anderen Blatt"

      Das war nie eine Option, da dann die SPD definitiv nicht für Merz gestimmt hätte.