Nach der Auflösung der PKK: Historische Mission in der Türkei
Die PKK hat dem bewaffneten Kampf abgeschworen. Eine Kommission berät jetzt über die Wiedereingliederung der Kämpfer und die Rechte der Kurd*innen.

Für die kurdische DEM-Partei ist allein der Umstand, dass diese Parlamentskommission nun tatsächlich gebildet wurde, ein großer Erfolg. Im Februar dieses Jahres hatte PKK-Gründer Abdullah Öcalan aus dem Gefängnis heraus seine Organisation aufgefordert, nach mehr als 40 Jahren bewaffnetem Kampf die Waffen niederzulegen und sich als Guerillaorganisation aufzulösen. Seitdem wird in der Türkei darüber diskutiert, welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, damit der bewaffnete Kampf der kurdischen PKK tatsächlich beendet werden kann. Was bietet der Staat der PKK für ihren Rückzug, ist eine der am häufigsten gestellten Fragen.
Die seit Jahren im Parlament vertretene kurdische DEM-Partei, die in dem Prozess Botschafter zwischen Öcalan und der PKK, aber auch Vermittler zwischen der PKK und dem türkischen Staat gewesen war, hat schon sehr früh dafür plädiert, dass der von ihr sogenannte Friedensprozess möglichst öffentlich im Parlament anstatt in irgendwelchen Hinterzimmern diskutiert werden soll. „Möglichst große Transparenz und Öffentlichkeit sind wichtig, um die Bevölkerung nach 40 Jahren Krieg, der bei Kurden und Türken tiefe Wunden hinterlassen hat, mitzunehmen“, sagte Saruhan Oluç, ein DEM-Abgeordneter in der Kommission.
Entscheidungen über wichtige Formalitäten
Als erstes wird in der Kommission nun besprochen, wie sie offiziell genannt werden soll. Das ist nicht nur eine formale Frage, sondern wird sofort Aufschluss darüber geben, wohin die Reise gehen soll.
Die regierende AKP und ihr ultranationalistischer Koalitionspartner MHP sprechen im Gegensatz zur DEM-Partei bis jetzt nicht von einem Friedensprozess, sondern von einer „terrorfreien“ Türkei. Sie wollen, dass die Kommission über die „nationale Einheit“ sprechen soll. Die kurdische DEM möchte über „Demokratie und Brüderlichkeit“ reden und die größte Oppositionspartei CHP über „Demokratie und Gerechtigkeit“.
Die CHP hat sehr lange gezögert, ob sie überhaupt in der Kommission mitmachen soll, während die Regierung sie und die gesamte säkulare Opposition gleichzeitig mit einer beispiellosen Repressionskampagne überzieht. Sie denkt gar nicht daran, Ekrem İmamoğlu, den CHP-Bürgermeister von Istanbul und Präsidentschaftskandidaten der CHP aus dem Gefängnis zu entlassen.
Letztendlich haben sich CHP-Chef Özgür Özel und seine Mannschaft jedoch dazu bereit erklärt mitzumachen, wenn die AKP zusagt, dass die Kommission nur mit einer qualifizierten Mehrheit ihre Vorschläge verabschiedet. Deshalb muss jetzt zunächst entschieden werden, ob nur eine Zweidrittelmehrheit eine qualifizierte Mehrheit ist oder ob auch eine Dreifünftelmehrheit ausreicht.
Opposition hofft auf parlamentarische Kontrolle
Die CHP will jedenfalls verhindern, dass die Rechten in der Koalition mit ihrer Mehrheit durchstimmen können. Dabei wird entscheidend sein, ob die kurdische DEM sich von den Regierungsparteien vereinnahmen lässt oder weiterhin ein Teil der Opposition bleibt.
Immerhin sind die DEM und die CHP sich einig, dass es Fortschritte nur geben kann, wenn Recep Tayyip Erdoğan bereit ist, seine bisherige autokratische Politik wieder stärker demokratisch kontrollieren zu lassen. Und wenn, wie statt bislang Kritiker ins Gefängnis zu stecken, wieder ein politischer Dialog zugelassen wird.
Entscheidend für die Opposition ist, dass diese Fragen möglichst öffentlich verhandelt werden. Entscheidungen trifft die Kommission nicht, sondern diese müssen im Plenum des Parlaments gefällt werden, wenn die reguläre Sitzungsperiode nach der Sommerpause im Oktober wieder beginnt.
Dann wird sich auch zeigen, ob wirklich das Parlament entscheidet oder am Ende doch Erdoğan wieder allein bestimmt, wo es langgehen wird.
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