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Nach der Auflösung der PKKHistorische Mission in der Türkei

Die PKK hat dem bewaffneten Kampf abgeschworen. Eine Kommission berät jetzt über die Wiedereingliederung der Kämpfer und die Rechte der Kurd*innen.

Die türkische Opposition hofft, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan einen demokratischen Prozess zulässt Foto: Depo Photos/ABACA/imago

Istanbul taz | In der türkischen Hauptstadt Ankara hat am Dienstag eine Kommission des Parlaments ihre Arbeit aufgenommen, die viele schon jetzt als historisch ansehen. Die Kommission soll Wege diskutieren, wie Mitglieder der PKK nach einer Entwaffnung der Organisation in der Türkei wieder eingegliedert werden können. Sie soll über eine Reform der gesamten Antiterrorgesetzgebung der vergangenen Jahrzehnte beraten und darüber hinaus über Maßnahmen zur Gleichberechtigung der kurdischen Minderheit insgesamt sprechen.

Für die kurdische DEM-Partei ist allein der Umstand, dass diese Parlamentskommission nun tatsächlich gebildet wurde, ein großer Erfolg. Im Februar dieses Jahres hatte PKK-Gründer Abdullah Öcalan aus dem Gefängnis heraus seine Organisation aufgefordert, nach mehr als 40 Jahren bewaffnetem Kampf die Waffen niederzulegen und sich als Guerillaorganisation aufzulösen. Seitdem wird in der Türkei darüber diskutiert, welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, damit der bewaffnete Kampf der kurdischen PKK tatsächlich beendet werden kann. Was bietet der Staat der PKK für ihren Rückzug, ist eine der am häufigsten gestellten Fragen.

Die seit Jahren im Parlament vertretene kurdische DEM-Partei, die in dem Prozess Botschafter zwischen Öcalan und der PKK, aber auch Vermittler zwischen der PKK und dem türkischen Staat gewesen war, hat schon sehr früh dafür plädiert, dass der von ihr sogenannte Friedensprozess möglichst öffentlich im Parlament anstatt in irgendwelchen Hinterzimmern diskutiert werden soll. „Möglichst große Transparenz und Öffentlichkeit sind wichtig, um die Bevölkerung nach 40 Jahren Krieg, der bei Kurden und Türken tiefe Wunden hinterlassen hat, mitzunehmen“, sagte Saruhan Oluç, ein DEM-Abgeordneter in der Kommission.

Entscheidungen über wichtige Formalitäten

Als erstes wird in der Kommission nun besprochen, wie sie offiziell genannt werden soll. Das ist nicht nur eine formale Frage, sondern wird sofort Aufschluss darüber geben, wohin die Reise gehen soll.

Die regierende AKP und ihr ul­tranationalistischer Koalitionspartner MHP sprechen im Gegensatz zur DEM-Partei bis jetzt nicht von einem Friedensprozess, sondern von einer „terrorfreien“ Türkei. Sie wollen, dass die Kommission über die „nationale Einheit“ sprechen soll. Die kurdische DEM möchte über „Demokratie und Brüderlichkeit“ reden und die größte Oppositionspartei CHP über „Demokratie und Gerechtigkeit“.

Die CHP hat sehr lange gezögert, ob sie überhaupt in der Kommission mitmachen soll, während die Regierung sie und die gesamte säkulare Opposition gleichzeitig mit einer beispiellosen Repressionskampagne überzieht. Sie denkt gar nicht daran, Ekrem İmamoğlu, den CHP-Bürgermeister von Istanbul und Präsidentschaftskandidaten der CHP aus dem Gefängnis zu entlassen.

Letztendlich haben sich CHP-Chef Özgür Özel und seine Mannschaft jedoch dazu bereit erklärt mitzumachen, wenn die AKP zusagt, dass die Kommission nur mit einer qualifizierten Mehrheit ihre Vorschläge verabschiedet. Deshalb muss jetzt zunächst entschieden werden, ob nur eine Zweidrittelmehrheit eine qualifizierte Mehrheit ist oder ob auch eine Dreifünftelmehrheit ausreicht.

Opposition hofft auf parlamentarische Kontrolle

Die CHP will jedenfalls verhindern, dass die Rechten in der Koalition mit ihrer Mehrheit durchstimmen können. Dabei wird entscheidend sein, ob die kurdische DEM sich von den Regierungsparteien vereinnahmen lässt oder weiterhin ein Teil der Opposition bleibt.

Immerhin sind die DEM und die CHP sich einig, dass es Fortschritte nur geben kann, wenn Recep Tayyip Erdoğan bereit ist, seine bisherige autokratische Politik wieder stärker demokratisch kontrollieren zu lassen. Und wenn, wie statt bislang Kritiker ins Gefängnis zu stecken, wieder ein politischer Dialog zugelassen wird.

Entscheidend für die Opposition ist, dass diese Fragen möglichst öffentlich verhandelt werden. Entscheidungen trifft die Kommission nicht, sondern diese müssen im Plenum des Parlaments gefällt werden, wenn die reguläre Sitzungsperiode nach der Sommerpause im Oktober wieder beginnt.

Dann wird sich auch zeigen, ob wirklich das Parlament entscheidet oder am Ende doch Erdoğan wieder allein bestimmt, wo es langgehen wird.

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2 Kommentare

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  • Um wieviele Kämpfer geht es denn dabei und trauen diese dem, was ihre Funktionäre da mit Erdo ausgehandelt haben?

  • Ich bin nicht sicher, ob die Entwicklung in der Türkei irgendwie mit dem „Friedensprozess“ in Kolumbien verglichen werden kann, der schon 2016 initiiert worden ist. Auch dort ging es ja um die Beendigung eines jahrzehntelangen Bürgerkrieges mittels Entwaffnung, Amnestierung und gesellschaftlichen Wiedereingliederung der Kämpfer der Guerillaorganisation FARC.



    Ich bin bei diesem Beispiel alles andere als euphorisch, denn auch Kolumbien ist noch lange nicht „über den Berg“, es ist nicht sicher, ob der Aussöhnungsprozess dauerhaft belastbar ist. Und ich finde - und das gilt auch für die Türkei -, ohne nachhaltige politische und soziale Reformen bleibt der Prozess labil.



    Und in der Türkei hat Erdogan weiter alle Karten in der Hand. Die Aufgabe der PKK kann ich mir eigentlich nur damit erklären, dass ihre politische und militärische Lage verzweifelt ist, dass sie faktisch schon besiegt war - was ihre Propagandisten natürlich niemals zugeben würden.



    Insofern ein weiterer Punktsieg für Erdogan (nach dem Ausbooten der CHP). Denn dass sich in der Türkei unter dem Rais irgend etwas in Richtung Reformen bewegen wird, damit ist wohl kaum zu rechnen.