piwik no script img

Beten gegen den Krieg: Katholische Bischöfe auf einem Friedensgottesdienst in Goma in der Demokratischen Republik Kongo Foto: Alexis Huguet/afp

Nach dem Tod von Papst FranziskusWas bleibt, wenn der Rauch sich legt?

Papst Franziskus hat die katholische Kirche reformiert, das war nicht überall beliebt. Ein Blick auf sein Erbe in Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika.

Afrika: Mächtig und mutig

Die Vertretung des Vatikans in Kongos Hauptstadt Kinshasa liegt im Herzen des Regierungsviertels in einem beschaulichen Park, in einer Linie mit der Zentralbank, dem Geheimdiensthauptquartier und dem Präsidentenpalast. Als Präsident Félix Tshisekedi dort am Dienstag seine Aufwartung machte, um zu kondolieren, wirkte das wie ein Staatsbesuch. Die katholische Kirche der Demokratischen Republik Kongo ist die größte Afrikas und im Land selbst die mächtigste nichtstaatliche Institution. Sie tritt dem Staat politisch selbstbewusster entgegen als jede andere Religionsgemeinschaft und wird dafür immer wieder angefeindet.

Fridolin Ambongo, der katholische Erzbischof von Kinshasa, hat das am eigenen Leibe erlebt. In seinem Heimatland laufen Ermittlungen gegen ihn. Regierungstreue Milizen drohten unlängst mit Gewalt gegen Sonntagsmessen, weil Kongos katholische Bischofskonferenz mit Kongos Rebellen spricht, die im Osten des Landes auf dem Vormarsch sind. Ambongo leitet nicht nur Kongos Bischofskonferenz, sondern auch das Symposium aller Bischofskonferenzen Afrikas.

Er ist der einzige afrikanische Vertreter im neunköpfigen Kardinalsrat, dem von Papst Franziskus als Konkurrenz zur stockkonservativen Kurie gegründeten persönlichen Beratergremium. Daher gilt der 65-jährige Ambongo nun als aussichtsreicher afrikanischer Anwärter auf die Papstnachfolge.

Afrikas Katholiken sind sich einig: Es ist jetzt Zeit für einen afrikanischen Papst. In keinem anderen Erdteil wächst die Zahl der Katholiken so rasant. Knapp ein Viertel aller Katholiken der Welt lebt in Afrika, jedes Jahr kommen fast zehn Millionen Gläubige hinzu.

Von Dakar bis Daressalam, von Kairo bis Kapstadt wurden in den vergangenen Tagen Messen und Trauerfeiern im Gedenken an Papst Franziskus abgehalten. „Einen afrikanischen Papst zu haben, würde dem christlichen Glauben in Afrika einen neuen Aufschwung bringen“, predigte Charles Yapi in Abidjan in der Elfenbeinküste. „Es könnte die weltweite Sicht auf Afrika ändern, indem wir beweisen, dass ein Afrikaner dieses Amt bekleiden kann.“

Kardinal Ignace Dagbo aus der Elfenbeinküste und Kardinal Peter Turkson aus Ghana gelten neben Ambongo als weitere potenziell aussichtsreiche Papstkandidaten aus Afrika. Allen afrikanischen Kardinälen ist gemein, dass sie weitaus konservativer sind als Papst Franziskus. Gleichstellung der Frau, gleichgeschlechtliche Ehe, Akzeptanz von LGBTQI-Personen – da hat Papst Franziskus viel getan. Aber in Afrika unter Katholiken bleibt all das verpönt, wenngleich die katholische Kirche im Vergleich zu vielen evangelikalen Sekten noch gemäßigt erscheint.

Gesellschaftspolitisch traditionalistisch, politisch durchaus mutig – so treten die katholischen Kirchenführer Afrikas auf. Bei gesellschaftlichen Problemfeldern wie der HIV-Aids-Bekämpfung haben sie mit ihrer rigiden Haltung versagt, aber in Friedensverhandlungen und der Lösung politischer Krisen haben sie immer wieder eine führende Rolle gespielt. Sie üben scharfe Kritik an Missständen, sie predigen und praktizieren religiöse Toleranz in Afrikas multireligiösen Vielvölkerstaaten und sie stellen sich gegen Gewalt selbst dort, wo Evangelikale und Islamisten Hass und Terror verbreiten, etwa in der Sahelzone.

Auch Papst Franziskus hat diese Position auf seinen Afrikareisen vertreten. Kein Krisenland war ihm zu gefährlich, um dort persönlich hinzureisen. Zu all seinen Besuchen strömten Millionen von Menschen, nicht nur Katholiken. Er war in manchen Ländern der prominenteste Superstar, der je empfangen wurde.

In der Zentralafrikanischen Republik besuchte er zum Höhepunkt des Bürgerkrieges von 2013 bis 2014, als christliche Milizen systematisch Jagd auf die Muslime des Landes machten, die belagerte Moschee der Hauptstadt Bangui. Bewacht von UN-Scharfschützen, trat er mit dem Imam auf und predigte: „Christen und Muslime sind Brüder und Schwestern. Gemeinsam müssen wir Nein zu Hass, Rache und Gewalt sagen, vor allem jener Gewalt, die im Namen Gottes verübt wird.“

Kongos Präsident Tshisekedi hebt jetzt in seinem Kondolenzschreiben die vielbeachteten Papstworte auf dessen Kinshasa-Besuch vor zwei Jahren hervor: „Hände weg von Afrika!“, hatte er öffentlich gerufen. „Hört auf, Afrika zu knebeln: Es ist keine Mine, die man ausbeutet, und kein Land, das man plündert!“ Diese Worte, so Tshisekedi, „sind für immer ins kollektive Gedächtnis des kongolesischen Volkes eingraviert“. Dominic Johnson, Simone Schlindwein (Kampala)

Europa: Zusammenleben in Vielfalt

Papst Franziskus auf seiner Reise nach Sarajevo Foto: Zeljko Lukunic/pixsell/picture alliance

Mit sichtlicher Freude bewegte sich Papst Franziskus unter den Menschen auf dem belebten Platz vor der Kathedrale in Sarajevo – sehr zum Entsetzen der Polizisten. Er grüßte angereiste Gläubige genauso wie zufällig vorbeikommende Passanten. Es war deutlich zu sehen, wie es ihm mit seiner Herzlichkeit gelang, die Menschen zu öffnen und für lachende Gesichter zu sorgen. Kurzum: Ihm schlug eine Welle der Sympathie entgegen, als er im Juni 2015 Sarajevo besuchte.

Er war zu Gast in einer Stadt, die mehrheitlich von Bosniaken, also Muslimen, bewohnt wird. Doch auch Orthodoxe und Katholiken sind hier zuhause. Trotz der Belagerung ­1992–1995 durch radikale serbische Nationalisten gilt Sarajevo als Stadt, in der die multireligiöse Tradition fortlebt. Daran wollte Franziskus anknüpfen und von hier aus eine deutliche Botschaft senden: Der Dialog zwischen den Religionen und Kulturen sollte wieder aufleben und weltweit Gehör bekommen.

Als am Montag die Nachricht von Franziskus’ Tod kam, weinten in Bosnien und im Nachbarland Kroatien viele. Im Volk war Franziskus als Helfer der Armen populär, sein Engagement für die Unterdrückten wurde ernst genommen.

Der letzte Besucher des Papstes vor seinem Tod war ein Kroate, der Ministerpräsident Andrej Plenković. Doch mit der kroatischen katholischen ­Kirche tat sich Franziskus schwer. Der von ihm geforderte interreligiöse ­Dialog traf hier auf den Widerstand des konservativen Klerus. Denn der kroatische Katholizismus sieht sich bis heute als Bollwerk des Westens gegen den Islam und die Orthodoxie. Franziskus besuchte zwar die kroatische Hauptstadt Zagreb, doch der Hochburg der kroatischen Rechtsextremisten in Mostar wich er aus.

Zu Sarajevo hat der Vatikan dagegen eine besondere Verbindung. Im Krieg 1991–1995 stellte sich der damalige polnische Papst Johannes Paul II. klar auf die Seite der vorwiegend muslimischen Opfer, also auf die Seite Sarajevos. Franziskus drückte dies später noch deutlicher aus. Johannes Paul II. plante sogar während der Belagerung in die Stadt zu reisen, doch die serbische Seite erklärte, sie werde Sarajevo weiter beschießen und könne keine Sicherheit garantieren.

So kam Johannes Paul II. erst nach dem Friedensabkommen von Dayton 1997. An einem eiskalten Wintertag hielt er einen Gottesdienst im Sarajevoer Koševo Stadion, 45.000 Menschen kamen. Die meisten von ihnen waren nicht etwa Katholiken, sondern Muslime. So war es auch 2015, als Papst Franziskus nach seinem Besuch des Vorplatzes der Kathedrale von Zehntausenden Menschen ebenfalls im Koševo Stadion empfangen wurde.

Das multireligiöse Zusammenleben hat in Bosnien eine extrem lange Tradition, schon viel früher als anderswo in Europa wurde hier die Religionsfreiheit begründet, durch eine Bulle von 1463 vom osmanischen Sultan Mehmed dem Eroberer. In diesem Dokument garantierte er ein Jahr nach der vollständigen Eroberung des Landes dem Abt des Franziskanerklosters in Fojnica in Zentralbosnien Religionsfreiheit. Noch heute ist dieses historische Dokument im Franziskanerkloster zu bestaunen.

Dass der Papst sich mit seiner an Franziskus von Assisi angelehnte Namenswahl als Beschützer der Armen gezeigt hatte, brachte ihm viele Sympathien ein, nicht nur in Bosnien. Die Franziskaner, nicht die katholische Kirche, waren jahrhundertelang Teil der bosnischen multireligiösen Kultur als Beschützer der Armen auch in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung anerkannt. Hinzu kamen die 1492 aus Spanien vertriebenen Juden und die orthodoxen Christen der Region.

In dieser bosnischen Gesellschaft gab es bis 1941, also bis zum Einmarsch deutscher Truppen, keine Pogrome wie anderswo in Europa. Unter dem Schirm der Nazis brachen kroatische Extremisten mit der bosnischen Tradition. Serben, Roma und Juden verschwanden in den KZs des kroatischen Ustascha-Regimes. Das Hitler-freundliche serbische Nedić-Regime schickte Nazigegner gleich nach ­Auschwitz. Während des Zweiten Weltkriegs zeigten Teile der katho­lischen Kirche Sympathien für die kroatische Ustascha. Nach dem Sieg der Partisanen 1945 organisierte die Kirche sogar Fluchtwege für die Verantwortlichen des Regimes nach Spanien und Lateinamerika.

All das belastete den Dialog zwischen den Religionen in Südosteuropa über Jahrzehnte. Franzikus’ Versuch, den interreligiösen Dialog wieder in Gang zu bringen, hatte zwar einige Erfolge, stieß aber immer wieder auf Widerstand. Ob sein Nachfolger darauf aufbauen wird, ist offen. Erich Rathfelder (Split)

[Anm. d. Red.: In einer vorangehenden Version des Textes konnte der Eindruck entstehen, Franziskus sei Franziskaner gewesen. Er war zwar Jesuit, schätzte Franz von Assisi aber sehr.]

Auch in Osttimor trauern Katholiken um den Papst Foto: Francisco Fatima da Costa Sony/AP/dpa

Asien: Zwischen Dialog und Diplomatie

In Asien ist nicht nur unter den Katholiken die Trauer um den verstorbenen Papst Franziskus groß. Der Argentinier war auch unter den Gläubigen anderer Religionen höchst populär. Über die Religionsgrenzen hinweg hatte er sich Achtung und Bewunderung für sein Eintreten für Arme, gegen einen überbordenden Kapitalismus, seine Offenheit für den interreligiösen Dialog und besonders für seine Umweltenzyklika „Laudato Si’ “ erworben.

13 asiatische Länder besuchte Franziskus und ernannte zahlreiche Bischöfe zu Kardinälen. Das Interesse an Asien kam nicht von ungefähr. Historisch gesehen ist der bevölkerungsreichste Kontinent immerhin der Geburtsort aller Weltreligionen. Die religiöse Vielfalt führt aber auch von Pakistan bis Indonesien zu zahlreichen Konflikten zwischen Mehrheits- und Minderheitsreligionen, die allzuoft von der Politik geschürt werden.

Obwohl die katholische Kirche in Asien Millionen von Gläubigen zählt, ist sie trotzdem – mit Ausnahme von Osttimor und den Philippinen – eine Minderheit und sieht sich durch die kulturellen, religiösen, politischen und sozialen Realitäten der einzelnen Länder besonderen Herausforderungen gegenüber. Diese werden die volle Aufmerksamkeit und das ganze diplomatische Geschick des neuen Papstes in seiner Doppelrolle als Religions- und Staatsoberhaupt fordern.

Im Herzen des Katholiken Benedict Rogers hat Papst Franziskus einen „besonderen Platz“. „Ich hoffe, der nächste Papst wird seinem Beispiel folgen und Myanmar weiterhin auf der Tagesordnung halten“, sagt der Direktor der Menschenrechtsorganisation Fortify Rights und Co-Gründer der chinakritischen Organisation Hong Kong Watch der taz.

Unglücklich ist der Brite allerdings über die Chinapolitik des verstorbenen Papstes. Franziskus habe zu dem „Völkermord“ an den Uiguren, den Gräueltaten in Tibet, den Abbau der Freiheiten in Hongkong geschwiegen und mit der Kommunistischen Partei Chinas ein Geheimabkommen über die Ernennung von Bischöfen geschlossen. „Der nächste Papst sollte also das Abkommen überprüfen und Kriterien für seine Erneuerung festlegen – etwa die Freilassung aller inhaftierten katholischen Bischöfe und Priester und anfangen, sich öffentlich und im Gebet für die Uiguren, Tibeter, die Christen in China, die Situation in Hongkong sowie für Jimmy Lai und andere politische Gefangene einzusetzen.“

Der prominente china­kritische Katholik und Verleger Lai sitzt wegen seiner Unterstützung der Hongkonger Demokratiebewegung seit ­April 2020 im Gefängnis. Große Erwartung an den neuen Papst hegt der prominente indische Katholik John Dayal vor allem mit Blick auf den von Franziskus eingeleiteten synodalen Weg. „In Indien, Heimat des tiefsten Klerikalismus, waren viele überrascht, dass sie in Synodenversammlungen mit ihrem Bischof auf Augenhöhe sprechen konnten. Diese Haltung muss vertieft, geschärft und fortgesetzt werden. Sie wird der katholischen Kirche Asiens neuen Schwung verleihen“, betont Dayal und fügt hinzu: „In seinem letzten Lebensjahr erhob Franziskus Frauen und Laien in höhere Ämter. Der neue Papst muss das fortführen.“

William Grimm ist seit vielen Jahren als Herausgeber und Kolumnist des Mediendienstes Union of Catholic Asian News (UCA) aus Paris ein profunder Kenner der Kirche und der Religionen Asiens. „Eine innerkirchliche Herausforderung wird für den nächsten Papst darin bestehen, die Bemühungen asiatischer Christen zu fördern und zu unterstützen, eigene Denk-, Gebets-, Kunst-, Musik- und Verwaltungsweisen zu entwickeln und keine europäischen Importe zu übernehmen“, sagt Grimm.

Eine andere „wichtige Herausforderung“ werde es sein, „den vielen Menschen in Asien (und anderswo) eine Stimme zu geben, die aufgrund ihres religiösen Glaubens leiden – wie Christen in Indien, Myanmar oder auch China, aber auch Muslime in Indien und Myanmar, Buddhisten in China, Hindus in Sri Lanka“. Mehr als gerne wäre Papst Franziskus in die beiden großen und weltpolitisch wichtigen Länder Indien und China gereist. Aber die politischen Realitäten – Sinisierung der Religionen in China, Hindu­nationalismus in Indien – standen dem entgegen.

Ein Reiseziel des zukünftigen Papstes dürfte aber schon feststehen: Vietnam. Wäre Franziskus nicht überraschend verstorben und hätte es sein Gesundheitszustand erlaubt, wäre er wahrscheinlich in diesem Jahr in die sozialistische Republik gereist. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vatikan und Hanoi vor einem Jahr hatte der damalige Präsident Võ Văn Thưởng den Papst offiziell eingeladen. Robert Lenz

Gläubige pilgern mit einer Statue zur Kathedrale San Justo, La Matanza in Buenos Aires, in Erinnerung an Papst Franziskus Foto: Cristina Sille/dpa

Lateinamerika: Schwieriges Erbe

Papst Franziskus war der erste Pontifex aus dem globalen Süden – und Lateinamerika, seine Heimat, lag ihm besonders am Herzen. In kaum einer Region wurde sein Engagement für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und die Armen so leidenschaftlich aufgenommen – und zugleich so stark hinterfragt. Sein Pontifikat hinterlässt Spuren, aber auch tiefe Widersprüche.

Ein symbolträchtiger Schritt war die Auflösung des peruanischen Sodalicio de Vida Cristiana Anfang 2025 – eine erzkonservative Organisation, die jahrzehntelang systematisch Macht missbrauchte. Unter dem Deckmantel der katholischen Lehre begingen ihre Führer sexuelle Übergriffe, vertrieben Menschen gewaltsam von ihrem Land, wuschen Geld in Millionenhöhe. Staat und Kirche schauten lange weg. Die Aufdeckung kam von außen: durch das Buch „Mitad monjes, mitad soldados“ der peruanischen Jour­na­list:in­nen Paola Ugaz und Pedro Salinas – und den langen Atem der Opfer. Zum ersten Mal überhaupt löste der Papst auf Basis investigativer Recherchen eine katholische Organisation auf.

Der Sodalicio war kein Einzelfall. Auch in Chile erschütterte ein Skandal die Kirche: Der Fall des Priesters Fernando Karadima offenbarte systematisches Vertuschen und eine „Kultur des Missbrauchs“. Franziskus reagierte zunächst zögerlich, schuf dann aber Reformen – etwa die Abschaffung des „päpstlichen Geheimnisses“ bei Missbrauchsfällen. Doch Betroffene beklagen weiterhin mangelnde Transparenz und Entschädigung.

In Kolumbien kämpft der Journalist Juan Pablo Barrientos diese Woche vor Gericht für die Öffnung kirchlicher Archive. Der Widerstand der Kirche ist enorm – und zeigt, wie hart umkämpft Aufarbeitung bis heute ist.

Franziskus’ Pontifikat fiel in eine Zeit massiven religiösen Umbruchs. In Ländern wie Guatemala, Honduras und Brasilien überholen evangelikale Bewegungen bald die katholische Kirche in den Mitgliederzahlen. Diese Gruppen, oft finanziert aus den USA, verbinden erzkonservative Inhalte mit moderner Medienstrategie – und gewinnen damit vor allem in Armenvierteln an Einfluss. Dieser Einfluss reicht bis in Verfassungsdebatten, Bildungspolitik und Menschenrechte – mit Hetze gegen LGBTIQ, Reproduktionsrechte und Gendergerechtigkeit. „Gender-Ideologie“ wird zur Kampfparole, unterstützt von Netzwerken wie „con mis hijos no te metas“ oder „Escola sem Partido“.

Diese religiöse Rechte tritt nicht nur gegen feministische Errungenschaften auf, sondern auch gegen soziale Programme, sexuelle Bildung und Vielfalt in Familienformen. Und sie nutzt ihre Reichweite in sozialen Medien gezielt, um Desinformation zu streuen – mit messbarem Erfolg.

Mit der Enzyklika „Laudato Si’“ setzte Franziskus neue Akzente und machte Umwelt und Klimagerechtigkeit zu Kernthemen des Glaubens. Die Amazonas-Synode lenkte den Fokus auf Indigene, Landraub und ökologische Zerstörung.

Franziskus erhob Frauen und Laien in kirchliche Ämter, förderte synodale Prozesse, ließ Gläubige auf Augenhöhe mit ihren Bischöfen sprechen. Er erklärte, „homosexuell sein ist kein Verbrechen“, erlaubte die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare – doch die Lehre blieb: Homosexualität gilt weiterhin als Sünde. Abtreibung, Verhütung, Kinderlosigkeit – alles blieb theologisch tabuisiert.

Der Papst bat in Bolivien um Vergebung für die Gräueltaten an Indigenen während der Kolonialisierung. Acht Jahre später verwarf der Vatikan die sogenannte Entdeckungsdoktrin. Doch die zugrunde liegenden päpstlichen Bullen, die den europäischen Kolonialismus rechtfertigten, wurden nie offiziell zurückgenommen. Auch das gehört zum bleibenden Erbe Franziskus: die Spannung zwischen progressiven Gesten und alten Strukturen.

Franziskus hat die katholische Kirche verändert – aber nicht revolutioniert. In Lateinamerika wird sein Vermächtnis zwischen Hoffnung und Enttäuschung diskutiert. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 1995 bezeichneten sich noch 80 Prozent der La­tein­ame­ri­ka­ne­r:in­nen als katholisch. 2024 sind es nur noch 54 Prozent. Die Evangelikalen machen bereits 23 Prozent aus, die Religionslosen 19 Prozent. Ex­per­t:in­nen sehen den Grund in der wachsenden Glaubwürdigkeitskrise der katholischen Kirche, in Skandalen um Missbrauch und Korruption und mangelnder Transparenz. Katharina Wojczenko (Bogotá)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Anfrage von G. Gysi 2014:



    .



    》Teilt die Bundesregierung die von Papst Franziskus in seinem jüngsten Apostolischen Schreiben gemachten Äußerungen [...] "Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte an der Börse Schlagzeilen macht. [. . .] Die Anbetung des antiken goldenen Kalbs [...] hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel. [. . .] Während die Einkommen einiger weniger exponentiell steigen, sind die der Mehrheit immer weiter entfernt vom Wohlstand dieser glücklichen Minderheit. Dieses Ungleichgewicht geht auf Ideologien zurück, die die absolute Autonomie der Märkte und die Finanzspekulation verteidigen. Darum bestreiten sie das Kontrollrecht der Staaten, die beauftragt sind, über den Schutz des Gemeinwohls zu wachen. Es entsteht eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt."?《



    .



    t1p.de/7htgj



    .



    Merz jedenfalls fährt nicht zur Beerdigung.

    • @ke1ner:

      Hätte eher vermutet, dass das Gregor Gysi gesagt hat.

    • @ke1ner:

      Korrektur: die Anfrage ist wohl von 2013 - jedenfalls ist so die Antwort datiert:



      .



      》Antwort des Staatssekretärs Stefan Kapferer



      vom 20. Dezember 2013



      .



      Das Apostolische Schreiben „Evangelii gaudium“ von Papst



      Franziskus vom 24. November 2013 richtet sich an die Gläubigen



      der Welt. Papst Franziskus greift weltweite soziale Missstände auf.



      Er verweist in seinem Schreiben zugleich auch auf die große Tradition



      der katholischen Soziallehre. Diese hat die Wirtschaftsordnung



      der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland maßgeblich mitgeprägt.《



      .



      P.s. Elegant, oder? "Richtet sich an die Gläubigen der Welt"...

  • Papst Franziskus war nicht gut.



    Papst Franziskus war vermutlich der beste aller Päpste aus neuweltlicher Sicht, doch gut war auch er nicht. Er hat das Zöllibat nicht abgeschafft, er verweigerte den Frauen die Emanzipation in den Kirchenämtern, er hat das Problem Kindesmisshandlung nur halbherzig geregelt. Ich kann den überschwänglichen Lob nicht verstehen, der gerade verbreitet wird. Die r.k. Kirche ist so nicht reformierbar, sondern völlig außer der Zeit.

    • @Hans Dampf:

      "...sondern völlig außer der Zeit". Mmh, da haben Sie einen Punkt.



      Aber: Ist das nicht der Auftrag an die Christen, "außer der Zeit zu sein", nicht "zeitgemäß" zu sein, nicht dem "Zeitgeist hinterherzulaufen"? Nicht über jedes Stöckchen zu springen, das man ihnen hinhält?



      Aber das nur nebenbei...



      Was den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen betrifft, dürften sich alle einig sein, dass dagegen mit aller zu Gebote stehenden rechtlichen Härte vorzugehen ist.



      Was die Reformierbarkeit der kath. Kirche angeht, haben 1,4 Mrd. Gläubige weltweit da vermutlich sehr unterschiedliche Ansichten. Ob man dort weiterkommt, wenn man allein auf den "westlichen" und insbesondere "deutschen" Formeln (und dem Sonderformat "Synodaler Weg") kompromisslos beharrt? Kulturelle Vielfalt wird ja sonst allenthalben geschätzt und eingefordert... Das sollte dann auch für die kath. Kirche gelten, die als eine der ganz wenigen Organisationen von sich behaupten kann, fast überall nicht nur unterwegs, sondern verwurzelt zu sein.

    • @Hans Dampf:

      Ich denke, sie überschätzen die Macht des Papstes. Schon seit den Borgias und dem Papst aus dem Hause Medici, die das Amt als Selbstbedienungsladen begriffen haben, hat die katholische Kirche die (persönliche) Macht des Papstes merklich eingeschränkt. Dies hat sich im vergangenen Jahrhundert der allgemeinen politischen Demokratisierung noch verstärkt.



      Auch für den Papst gelten kirchenrechtliche Grundlagen und -regeln, die er alleine quasi per Dektret, nicht außer kraft setzen kann. Dafür bräuchte es eine Mehrheit in den Räten und Gremien. Und die ist derzeit schlicht nicht vorhanden. Die progressive Strömung in der katholischen Kirche beruht allenfalls in Westeuropa, den USA (auch nur teilweise) und Australien auf Konsens, weltweit hat sie nicht ansatzweise eine Mehrheit. Der im Artikel genannte Kardinal Turkson ist z.B. ein erklärter Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe, Homosexualität ist Teufelswerk und die kirchliche Macht absolut, da von Gott gegeben. Ein solcher Papst wäre ein Grauen für die westliche Welt, aber durchaus annehmbar für den Rest (man betrachte die Radikalisierung der Christen in den USA).

  • Exzellent. - danke, liebe TAZ.

    Eine Anmerkung.



    In einem Artikel im Guardian (23.04.2025) wurde darauf hingewiesen, wie rechtsextreme Kreise versuchen, zentrale Positionen des christlichen Glaubens umzudeuten:



    etwa den Begriff der 'Ordo amoris'.

    Leute wie der amerikanische Vizepräsident Vance (Katholik) versuchen dabei, der christlichen Nächstenliebe ihren universalen Charakter abzusprechen und sie völkisch umzudeuten. Dem hat, wie es heißt, Papst Franziskus in einem Brief an die US-amerikanischen Bischöfe klar widersprochen, wobei er auf das Gleichnis des barmherzigen Samariters verwiesen haben soll.