Nach Terroranschlag in Konzerthalle: Verdächtige in Moskau vorgeführt
Russische Ermittler präsentieren überraschend schnell vier Tatverdächtige. Auch in Deutschland und Frankreich wird vor Anschlägen gewarnt.
Ein anderer hatte einen wenig fachmännisch wirkenden Verband am rechten Ohr. Vor dem Gerichtstermin waren Videoaufnahmen im Netz verbreitet worden, die zeigen sollen, dass die festgenommenen Männer gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde. Ob die Aufnahmen authentisch sind, ließ sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die eigentliche Anhörung fand hinter geschlossenen Türen statt, wie die russische Staatsagentur Tass berichtete.
Der Terrorverdächtige auf dem Krankenstuhl, der den Anschlag gefilmt haben soll, hatte demnach „Schwierigkeiten zu sprechen“. Das Ermittlungskomitee wirft ihm und seinen drei mutmaßlichen Komplizen einen gemeinschaftlich verübten tödlichen Terroranschlag vor.
Vier der Verdächtigen gelten als die eigentlichen Todesschützen – sie sind diejenigen, die nun dem Haftrichter vorgeführt wurden. Die Haftbefehle wurden laut Tass am Sonntagabend erlassen. Die vier Männer waren am Wochenende im russischen Grenzgebiet Brjansk festgenommen und nach Moskau gebracht worden. Menschenrechtler berichten immer wieder von Demütigungen, Misshandlungen und brutalen Foltermethoden im russischen Strafvollzug. Öffentlich inszenierte Schauprozesse dienen demnach der staatlichen Machtdemonstration und Abschreckung.
Putin sieht nach wie vor eine Spur in die Ukraine
Zu dem Anschlag hat sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) öffentlich bekannt. Dennoch will Russlands Staatsführung eine Verwicklung der Ukraine sehen, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg führt. Nach Angaben des russischen Präsidenten Wladimir Putin wollten die Täter in die Ukraine flüchten, Beweise dafür legte er aber nicht vor. Kyjiw weist jede Beteiligung an der Tat zurück.
Unterdessen beging Russland am Sonntag einen nationalen Trauertag. Die Mitglieder der populären Rockband Piknik, die am Freitag in der Crocus City Hall hätte auftreten sollen, legten am Abend vor der Konzerthalle Blumen für die Opfer nieder. Nach einer Gedenkminute sprachen sie den Hinterbliebenen ihr Mitgefühl aus. „Diese Gräueltat ist eine sinnlose, unvorstellbare Grausamkeit“, wurde Bandleader Edmund Schkljarski zitiert. Unter den Todesopfern ist laut der Band auch eine ihrer Assistentinnen.
Sichtlich erschütterte Bewohner der Hauptstadtregion strömten auch am Sonntag in dichten Scharen zur Crocus City Hall. Am Zaun vor dem zerstörten Gebäude legten sie Blumen und Spielsachen zum Gedenken an die Opfer nieder – die Gegend glich einem Blumenmeer. Auf Leuchttafeln in der russischen Hauptstadt flackerte anstelle von Werbung die Aufnahme einer Kerze und darunter die Aufschrift: „Wir trauern. 22.03.2024.“ Über dem Kreml wehte die Fahne auf halbmast.
Präsident Putin sprach in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede am Samstagnachmittag von einer angeblichen Spur in die Ukraine. Mit Blick auf die festgenommenen Verdächtigen sagte er: „Sie haben versucht sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war.“ Der ukrainische Militärgeheimdienst konterte dies mit dem Hinweis, dass die Grenze sei seit Langem vermint sei.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies jede Verwicklung seines Landes in den Anschlag zurück. Angesichts der Anschuldigungen aus Moskau nannte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba den Kremlchef am Sonntag einen „pathologischen Lügner“. Putin versuche verzweifelt, die Ukraine mit dem Anschlag in Verbindung zu bringen, auch wenn es keine Beweise gebe, schrieb Kuleba am Sonntag auf der Plattform X (ehemals Twitter). „Lasst euch nicht von Putin und seinen Handlangern in die Irre führen“, appellierte er.
Experten halten Bekennerschreiben für glaubwürdig
Ihr einziges Ziel sei, weitere Russen zu motivieren, um in dem sinnlosen und kriminellen Krieg gegen die Ukraine zu sterben. Zudem solle dadurch weiterer Hass gegen andere Länder, vor allem den gesamten Westen, geschürt werden. Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte als angeblichen Beweis, für den Angriff verantwortlich zu sein, ein Video, das die Attentäter am Anschlagsort zeigen soll. Zudem wurde ein Bild der angeblichen Attentäter mit unkenntlich gemachten Gesichtern gezeigt.
Die mit Sturmgewehren, Pistolen und Sprengsätzen bewaffneten Kämpfer hätten Russland einen „schweren Schlag“ versetzt, hieß es in dem Bekennerschreiben. Der Angriff habe „Tausenden Christen in einer Musikhalle“ gegolten. Terrorismusexperten stuften das Schreiben als glaubwürdig ein. Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige. Seit einigen Jahren haben die Islamisten auch Moskaus Politik auf dem Radar.
In früheren Ansprachen warf die Terrorgruppe Russland etwa vor, muslimisches Blut vergossen zu haben. Insbesondere in Afghanistan wiegt das Erbe der sowjetischen Intervention vor 45 Jahren immer noch schwer. Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte es glaubhaft, dass die als IS-Ableger bekannte Gruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) den Anschlag zu verantworten habe.
Terrorgefahr für Deutschland und Frankreich
Von dieser gehe derzeit auch für Deutschland die größte Gefahr aus, sagte Faeser der Süddeutschen Zeitung. Die ISPK-Terrorgruppe hat ihren Ursprung in Afghanistan. Khorasan steht für eine historische Region in Zentralasien, die Teile von Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan sowie von Iran umfasste.
Die französische Regierung rief in ihrem Land die höchste Sicherheits-Alarmstufe aus. Dies gab Premierminister Gabriel Attal am Sonntagabend im Onlinedienst X bekannt. Neben dem Angriff bei Moskau verwies er zur Begründung auch auf „Bedrohungen, denen unser Land ausgesetzt ist“.
Die höchste Alarmstufe wird in Frankreich ausgerufen, wenn davon ausgegangen wird, dass ein Anschlag unmittelbar droht. Diese wurde nun in Kraft gesetzt, nachdem sie zuvor erst im Januar um eine Stufe nach unten gesetzt worden war. Die Entscheidung fiel nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts im Elysée-Palast, an der auch Präsident Emmanuel Macron teilnahm.
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