Nach Messerattacke in Göttingen: Polizist erschießt Drogenkranken
Bei einem Einsatz ist ein offenbar drogenkranker Mann ums Leben gekommen. Tödliche Schüsse auf Menschen in psychischen Krisen sind keine Einzelfälle.
Der Mann, laut Staatsanwaltschaft war er drogenkrank, habe die beiden Beamten im Einsatz zuvor unvermittelt mit einem Messer angegriffen und einen von ihnen im Bereich des Oberkörpers verletzt, teilte Polizeisprecherin Jasmin Kaatz am Mittwochabend mit. „Der Polizist gab daraufhin einen Schuss aus seiner Dienstwaffe ab.“
Zuvor soll der spätere Angreifer eine Frau auf der Straße grundlos angegriffen und zu Boden geworfen haben. Die Frau und der Mann kannten sich den Angaben nach nicht. Sie rief nach dem Vorfall von ihrer Wohnung aus die Polizei. „Als die erste Funkstreife vor Ort eintraf, um den Sachverhalt aufzunehmen, kam es zu dem Angriff“, so Kaatz.
Das Göttinger Tageblatt zitiert eine Anwohnerin, die das Geschehen vom Bus aus verfolgt haben will. Sie habe den angeschossenen Mann gesehen, der auf dem Bordstein lag. Dass offenbar niemand von den Umstehenden, darunter Polizisten, Erste Hilfe leistete, habe sie verwundert. Ihren Angaben nach sei das erst durch eintreffende Sanitäter passiert.
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
Fraglich ist auch noch, ob der Beamte wirklich nur einen Schuss abgegeben hat. Eine Ohrenzeugin berichtet etwas anderes. „Ich habe dreimal hintereinander Knallen gehört“, sagte sie einem Journalisten vor Ort. „Ich dachte zuerst, es wären Böller.“
Die Staatsanwaltschaft geht mittlerweile auch davon aus, dass vermutlich einer der beiden Beamten drei bis vier Schüsse abgab, wie die Behörde am Donnerstag mitteilte. Die genaue Anzahl der Schüsse und wo sie den Mann trafen, werde noch ermittelt. Auch ob die Schüsse überhaupt gerechtfertigt waren, müsse noch ermittelt werden. Der Erschossene habe laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft einen Betreuer gehabt und war drogenabhängig.
Tödliche Polizeischüsse auf Menschen in solch psychischen Ausnahmesituationen kommen immer wieder vor. In diesem Jahr etwa erschoss die Polizei am Karsamstag im niedersächsischen Nienburg den 46-jährigen Gambier Lamin Touray, der sich in einem dauerhaft psychischen Krisenzustand befand – um nur einen Fall zu nennen.
Konkrete Zahlen liegen nicht vor, viele Bundesländer erheben nicht einmal, wie viele Menschen durch ihre Landespolizei wie und warum getötet werden, sagte der Kriminologe Thomas Feltes nach Lames Tod im Gespräch mit der taz. Feltes schätzt, dass zwei Drittel der Polizeitoten in einer psychischen Krise waren, als sie getötet wurden.
Keine einheitlichen Fortbildungsstandards bei der Polizei
Das Institut für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit an der Berliner Humboldt-Universität sammelt öffentlich zugängliche Daten. Demnach sind seit 2019 mindestens 37 Personen in psychischen Krisen von Polizisten erschossen worden.
Eine bundesweite Abfrage ergab, dass es in diesem Bereich keine einheitlichen Fortbildungsstandards bei der Polizei gibt. Nur drei Bundesländer gaben demnach an, dass eine Fortbildung speziell im Umgang mit Menschen in psychischen Krisen für alle Beamt:innen verpflichtend ist. In Hamburg etwa müssen einige Polizist:innen eine solche Fortbildung besuchen, die dann ihr Wissen in die Truppe tragen sollen.
Kriminologen finden das nicht ausreichend. Rafael Behr etwa, ehemaliger Ausbilder an der Akademie der Polizei Hamburg, plädiert schon länger dafür, dass einzelne Beamte sechs bis neun Monate in einer psychiatrischen Einrichtung hospitieren sollten – um mitzuerleben, wie das Personal mit diesen Menschen umgehe.
Im aktuellen Fall wurden die weiteren Ermittlungen an die Polizei Goslar übergeben, die mit der Staatsanwaltschaft Göttingen gegen beide Beamte ermittelt. Die Dienstwaffen seien beschlagnahmt worden. Es gelte die Unschuldsvermutung.
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