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Nach Massaker in OrlandoWie der Hass in Amerika tötet

Das Verbrechen von Florida ist ein weiterer Fall von Hasskriminalität. Es verweist auf das gesellschaftliche Problem des freien Waffenbesitzes.

Gedenken an die Opfer: US-Flagge auf Halbmast Foto: ap

BERLIN taz | Den USA steht möglicherweise eine neue giftige Debatte im Wahlkampf bevor. „Eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich“ hatte der Täter in Orlando ein ideologisches Motiv. Das sagte ein Vertreter der Sicherheitsbehörden am Sonntagabend. Die neuesten Erkenntnisse der Behörden gehen ebenfalls in diese Richtung. So hatte die Bundespolizei FBI den mutmaßlichen Attentäter Omar Seddique Mateen nach eigenen Angaben 2013 wegen Terrorverdachts im Visier, stellte die Beobachtung nach zwei Vernehmungen aber wieder ein.

Aus einzelnen Informationen setzt sich allmählich ein Bild zusammen, das auf einen islamistisch motivierten Überfall hindeutet. Ein Hinweis darauf war auch, dass, direkt nachdem die Polizei erste Informa­tionen über den Täter öffentlich gemacht hatte, ein Vertreter einer muslimischen Gemeinde vor „vorschnellen Schlüssen“ warnte.

Sollte sich das Motiv des Täters tatsächlich als islamistisch herausstellen, dürfte dieser Appell wenig helfen. Der potenzielle republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump nahm das Attentat zum Anlass, seine Forderung nach einem Einreiseverbot für Muslime zu bekräftigen. Im Dezember 2015 hatte ein islamistisch radikalisiertes Ehepaar 14 Menschen erschossen und 21 verwundet. Auch damals konnte Trump ein solches Attentat in seinem rassistisch geprägten Wahlkampf nutzen.

Mindestens 50 Tote bei einem Überfall oder einem Amoklauf sind selbst für die USA eine verstörende Größenordnung. Schießereien, Mehrfachmorde und Überfälle an öffentlichen Orten indes sind nicht selten. In den Vereinigten Staaten gibt es deshalb Sparten in der Statistik, die in Deutschland relativ unbekannt ist: Sie heißen „Mass Shooting Tracker“ (Monitor der Massenschießereien) oder auch „Timeline of Mass Killings“ (Zeitschiene von Mehrfachmorden).

Vier Schusswaffenanschläge im vergangenen Jahr

Die Kriterien, nach denen ein Vorfall zu den Massenschießereien oder zu Mehrfachmorden gezählt wird, variieren. Entsprechend unterscheiden sich auch die Gesamtzahlen, mit denen hantiert wird. Nach der Definition des Trackers von mindestens vier Toten oder Verwundeten gab es im Jahr 2015 372 Massenschießereien, mit 475 Toten und 1870 Verwundeten.

Das Magazin Mother Jones dagegen spricht eher von dem, was man in Deutschland unter einem Schusswaffenanschlag versteht. Dazu gehörten Schießereien, bei denen Einzeltäter mindestens vier Menschen an einem öffentlichen Ort töten. In den vergangenen 30 Jahren gab es in den USA demnach etwa 80 Schusswaffenanschläge, vier davon im vergangenen Jahr.

Seit der Nacht auf Sonntag steht auch Orlando in Florida auf jenen Listen von „Tracker“ und Mother Jones, zusammen mit San Bernardino in Kalifornien, Charleston in South Carolina, Newtown in Connecticut oder Aurora in Colorado. Diese Städtenamen haben sich ins öffentliche Bewusstsein eingebrannt. Sie stehen zugleich stellvertretend für Konflikte in der US-Gesellschaft. Und die meisten zeigen ein ums andere Mal das massiv Problem des freien Waffenbesitzes.

Willkürliche, öffentliche Morde

Bis zu der Tat von San Bernardino hatte zuletzt die Diskussion über rassistische Gewalt viele Debatten in den USA bestimmt. Insbesondere nachdem in Ferguson, Missouri, im Sommer 2014 der junge Schwarze Michael Brown von einem Polizisten erschossen worden war, folgten bei weiteren solchen Fällen Proteste und Demonstra­tionen im ganzen Land. Im Juni vergangenen Jahres dann hatte ein Anhänger des Ku-Klux-Klan neun Afroamerikaner in einer Kirche in Charleston erschossen.

Städte wie Aurora und Newtown stehen für willkürliche öffentliche Morde aus anderen, nicht politischen Motiven. In Newtown hatte im Dezember 2012 ein 20-Jähriger 27 Menschen erschossen.

Obama und Vizepräsident Joe Biden hatten nach Newtown eine Initiative für strengere Waffengesetze angekündigt. Angesichts des Widerstands im US-Kongress reichten die dann beschlossenen Maßnahmen aber nicht weit.

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