Ministerin über Entwicklungspolitik: „Arbeiten an Win-win-Situationen“
Bei der Entwicklungszusammenarbeit gehe es auch um geostrategische Interessen, sagt Svenja Schulze. Sie warnt vor dem steigenden Einfluss Russlands.
taz: Frau Schulze, waren Sie schon mal in Peru mit dem Rad unterwegs?
Svenja Schulze: Nein, ich war in Peru nicht mit dem Rad unterwegs. Aber auf der Münchner Sicherheitskonferenz habe ich mit dem Außenminister von Peru gesprochen. Der war sehr irritiert, dass das Thema „Geld für Radwege in Peru“ in Deutschland so große Wellen schlägt.
Warum irritiert?
Weil es für ihn völlig klar ist, dass es dem Klimaschutz dient, wenn wir in Peru, wo jährlich 500.000 Autos, Busse, Lastwagen und Motorräder neu zugelassen werden, umweltfreundlichere Verkehrskonzepte fördern.
Svenja Schulze
Jahrgang 1968, ist seit Dezember 2021 Bundesentwicklungsministerin. In der Vorgängerregierung hatte die SPD-Politikerin das Amt der Bundesumweltministerin inne.
Die Rede war von 315 Millionen Euro, die die Ampel angeblich für Fahrradwege in Peru ausgibt, während das Geld hier fehlt. In Wirklichkeit geht es um 44 Millionen Euro reine Zuschüsse für Projekte, die zum Teil noch unter CSU-Minister Gerd Müller vereinbart worden sind. Warum werden solche Fake News dennoch aufgegriffen?
Das wird gezielt verbreitet und ist interessengeleitet. Es passt zum Beispiel sehr gut in die AfD-Erzählung, wonach Deutschland kein Geld mehr hat und sich aus der internationalen Zusammenarbeit zurückziehen soll. Passend dazu verbreiten die Handlanger Russlands übrigens gerade in afrikanischen Ländern das Narrativ: Der Westen engagiert sich nicht mehr für euch.
Selbst die CSU hat diese Erzählung auf Social Media aufgegriffen. Hat Sie das überrascht?
Ja. Es gab über Jahrzehnte den Konsens, dass es absolut sinnvoll ist, in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Davon haben sich Teile von CSU und CDU offenbar verabschiedet.
Wie wollen Sie diesen Diskurs wieder einfangen?
Wir informieren und klären seriös auf. Und wir benennen die Interessen hinter den Kampagnen. Denn es geht bei Entwicklungszusammenarbeit natürlich auch um geostrategische Interessen. Da, wo der Westen sich zurückzieht, geht Russland rein. Das konnte man gerade in Burkina Faso sehen.
Sie haben es nach dem Putsch kürzlich zum ersten Mal besucht.
Es war mir wichtig, dieses Zeichen zu setzen und Gesprächskanäle zu öffnen. Denn momentan spielt Russland in Burkina Faso eine sehr starke Rolle. Überall waren Russlandfahnen zu sehen. Russland hat ein Interesse daran, dass sich Deutschland, Europa und die USA aus der Sahelregion zurückziehen. Es gibt dort viele Rohstoffe – Gold, Uran und Phosphat. Und die Region ist ein Drehkreuz für Migration nach Nordafrika und Europa. Es wäre falsch, ein Land wie Burkina Faso aus Mangel an Alternativen weiter in die Arme Russlands zu treiben. Darum war ich da und habe über unsere weitere Zusammenarbeit gesprochen.
Ihr Ministerium verbreitet offiziell die Botschaft: Wir wollen helfen beim Kampf gegen Armut und den Klimawandel. Müssen Sie jetzt stärker kommunizieren, dass Deutschland das auch aus Eigeninteresse macht?
Ich finde es selbstverständlich, dass wir solidarisch sind und weltweit zum Beispiel dabei helfen, das Pariser Klimaschutzabkommen umzusetzen. Das werde ich weiter sagen – auch wenn es dafür momentan kaum Gehör gibt. Aber darüber hinaus sollten sich angesichts der schwierigen Haushaltsdebatte alle bewusst machen: Wir reden beim Entwicklungsetat auch über die Basis von Wohlstand und Frieden in Deutschland. Unser jahrzehntelanges solidarisches Auftreten und das Engagement in der Völkergemeinschaft haben unser Land stark gemacht.
Welche Rolle spielt Deutschland in puncto Entwicklungspolitik neben China und Russland überhaupt noch?
Viele Entwicklungsländer sind sehr viel selbstbewusster, als viele hier denken, und suchen sich ihre Partner aus. Von Russland kriegen sie Waffen und von China große Infrastrukturprojekte, die allerdings den Nachteil haben, dass die Chinesen ihre Arbeiter oft selber mitbringen und zudem die Schuldenabhängigkeit meist größer wird.
Also auch deutsche Waffen an Entwicklungslä nder?
Nein – nicht als Rezept. Aber wir sollten den Ländern nicht vorschreiben, was gut für sie ist, sondern an anderer Stelle bessere Angebote machen.
Hat Deutschland wirklich die besseren Angebote?
Die deutsche Entwicklungspolitik ist sehr geschätzt, und meine Gesprächspartner sagen mir sehr deutlich, sie wollen mehr davon. Was in einem Land wie Burkina Faso nicht so einfach ist, weil es dort noch keine gewählte Regierung gibt.
Sie müssten mit einer Militärregierung zusammenarbeiten. Wie passt das zur wertegeleiteten Außenpolitik?
Der größere Teil der Menschheit lebt nun mal nicht in Demokratien, sondern in Autokratien.
Die Deutschland indirekt mitfinanziert.
Das ist eine Gratwanderung. Deshalb arbeiten wir in Ländern wir Burkina Faso derzeit nicht mehr mit der politischen Führung, sondern mit Behörden, lokalen Akteuren und Nichtregierungsorganisationen zusammen. Es ist sehr leicht, das zu diskreditieren. Aber wir dürfen in diesen Ländern nicht ein oder zwei Generationen ganz aufgeben.
Entwicklungspolitik folgt nach wie vor kolonialen Strukturen. Wieso werden für Projekte in Somalia deutsche Studierende gesucht, statt Frauen vor Ort zu unterstützen, die bereits in dem Feld arbeiten?
Die meisten Expertinnen, die unsere GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit; d. Red) beschäftigt, kommen aus den Ländern selbst. Aber auch wenn man Expertinnen in Deutschland sucht, die vor Ort unterstützen, ist das nicht automatisch kolonial. In der beruflichen Bildung zum Beispiel fragen Partnerländer immer wieder nach Know-how aus Deutschland. Soll ich denen eine Absage erteilen?
Nehmen wir das Weltwärtsprogramm, mit dem etwa Abiturient*innen, die keinerlei Ausbildung haben, in anderen Ländern als Lehrer*innen eingesetzt werden. Wird so nicht ein Narrativ der “weißen Retter“ reproduziert?
Die Welt braucht mehr und nicht weniger Austausch. Ich finde es gut, wenn junge Leute über den Tellerrand gucken, eine Zeit lang in anderen Ländern leben und die Sichtweise der Menschen dort kennenlernen und mitnehmen. Das gilt natürlich auch für die Freiwilligen, die aus den Partnerländern nach Deutschland kommen. Diesen Ansatz verfolge ich übrigens auch mit der African-European-Leadership-Academy: Junge Leute aus beiden Kontinenten kommen bei uns zusammen zur Weiterbildung, zum Netzwerken.
Wie wichtig ist die Rohstoffsicherung für Deutschland in der Entwicklungspolitik?
Wir arbeiten an Win-win-Situationen: Bis jetzt werden viele Rohstoffe aus Entwicklungsländern nach China exportiert. Dort werden sie verarbeitet, und Länder wie Deutschland kaufen die Endprodukte dann von China. Besser wäre es, die Rohstoffe bereits dort weiterzuverarbeiten, wo sie abgebaut werden. Das würde Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Entwicklungsländern schaffen. Es wäre aber auch gut für Deutschland, denn dann gäbe es mehr mögliche Lieferanten und weniger einseitige Abhängigkeit von China.
Ganz so uneigennützig ist es ja nicht, Deutschland will grünen Wasserstoff zum Beispiel für die eigene Stahlproduktion nutzen, obwohl Stahlwerke ja auch in Kenia gebaut werden könnten.
In Kenia stammt jetzt schon rund 90 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Für den Fall, dass Kenia mehr erneuerbare Energien hat, als es selber braucht, wollen wir der Partner des Vertrauens sein, an den sie dann liefern.
Aber in der Realität ist es für Kenias Elite attraktiver, zu exportieren, als die eigene Bevölkerung mit Strom zu versorgen.
Die sogenannten Eliten – also zum Beispiel der Staatspräsident Ruto – haben mir genau das Gleiche wie Sie vorgeschlagen: Lasst uns doch auch Stahl hier produzieren. Wir arbeiten jetzt schon mit der kenianischen Regierung daran, was man mit grünem Wasserstoff vor Ort machen kann: Düngemittel produzieren zum Beispiel. Denn Düngemittel sind teuer auf dem Weltmarkt, und Hunger ist ein großes Problem im Land. Natürlich will ich auch, dass Wasserstoff für die Energiewende nach Deutschland importiert wird, aber diese Reihenfolge ist mir lieber.
Sie müssen sich gerade nach allen Seiten verteidigen. Die einen finden, dass Deutschland sich zu uneigennützig verhalte, für die anderen sei es eigennützig.
Ja, das gehört offenbar zur Jobbeschreibung der Entwicklungsministerin.
Aber konkurrieren die verschiedenen Ziele Ihrer Arbeit nicht miteinander? Auf der einen Seite fördern Sie Kleinbäuer*innen und auf der anderen neoliberale Handelsabkommen, etwa die europäischen Partnerschaftsabkommen …
Viele Entwicklungsländer haben ein Interesse an Handelsabkommen mit uns – wie zum Beispiel Kenia. Alles, was wir tun, hat das Ziel, nachhaltige Wertschöpfung und gute Arbeit zu schaffen, gerade dort, wo die größte Jugendgeneration dringend nach Arbeit sucht.
Aber in der Regel profitieren große Unternehmen, die eine schlechte Klimabilanz haben.
Es gibt große und kleine Unternehmen mit guten und schlechten Klimabilanzen. Die Aufgabe ist, dass alle sich auf den Weg machen, klimaneutral zu wirtschaften. Mit Entwicklungspolitik können wir Partnerländern dabei helfen, die Transformation einzuleiten, auch wenn sie noch nicht unsere Wirtschaftskraft haben. Die internationale Politik insgesamt ist aber noch nicht genug darauf ausgerichtet, Unterschiede zwischen Arm und Reich auszugleichen. Es fließt mehr Geld aus ärmeren Ländern ab als in sie hinein.
Entwicklungspolitik ist quasi systemfremd?
Sie trägt dazu bei, Dinge zu verbessern. Je struktureller wir arbeiten, desto besser. Ein gutes Beispiel ist das europäische Lieferkettengesetz.
Das jetzt doch kommt, obwohl Deutschland blockiert. Der Kompromiss ist jetzt total entkernt. Wie sauer sind Sie auf die FDP?
Der Kompromiss ist ein guter Anfang. Er wird konkrete Verbesserungen bringen für die Menschen, für die das Gesetz gemacht wird: die Arbeiterinnen und Arbeiter, die unter schwierigsten Bedingungen zu niedrigsten Löhnen für uns produzieren. Die zur Arbeit gezwungenen Kinder, die nicht zur Schule gehen können. Oder die Menschen, denen Umweltzerstörung die Lebensgrundlage entzieht. Darum ist dieser Beschluss für mich ein Grund zur Freude, auch wenn Deutschland wegen der FDP nicht mitstimmen konnte. Den Schaden haben wir nicht wegen des neuen Lieferkettengesetzes, sondern weil in Brüssel jetzt gelernt wird, dass man Kompromisse besser ohne Beteiligung Deutschlands schließt.
Im vergangenen Jahr mussten Sie 1 Milliarde im Haushalt einsparen. Welche Folgen hat das?
Wir haben weniger Geld für den Kampf gegen Hunger. Das betrifft leider auch das Welternährungsprogramm, das in schwierigen Zeiten Großes leistet. Und wir haben viel zu wenig Geld für die zivile Unterstützung der Ukraine, von der Stromversorgung bis zu Unterkünften für Binnenvertriebene. Ich finde das falsch, denn die Ukraine braucht mehr als nur Waffen, um im Krieg zu bestehen. Das ist auch nicht in unserem Interesse.
Im nächsten Jahr sollen noch einmal 1 Milliarde Euro im Entwicklungsetat gekürzt werden.
Wir sind ganz am Anfang der Haushaltsverhandlungen. Nichts ist beschlossen. In einer Weltlage, in der wir dringend auf mehr Zusammenarbeit angewiesen sind, brauchen wir mehr und nicht weniger Geld für Entwicklungszusammenarbeit. Wer das nicht sieht, läuft Gefahr, Deutschlands Ansehen – und auch unseren Wohlstand – zu verspielen. Kürzungen halte ich nicht für sinnvoll.
Aber Christian Linder schon?
Der FDP ist die Schuldenbremse sehr wichtig. Aber die notwendige Unterstützung für die Ukraine lässt sich nicht einfach so aus einem normalen Haushalt bezahlen. Darum sollten wir die Schuldenbremse so verändern, dass Deutschland in diesen außergewöhnlichen Kriegszeiten handlungsfähig bleibt.
Dann hätte Deutschland auch mehr Geld für Entwicklungsländer. Können Sie ihn überzeugen?
Es kommt jetzt sehr darauf an, wie die gesellschaftliche Debatte läuft. Wenn sich der Diskurs in der gesamten Gesellschaft weiter nach rechts verschiebt, dann wird es schwierig für die Solidarität in Deutschland und weltweit. Alle demokratischen Parteien sollten es sich zur Aufgabe machen, die zunehmende Propaganda aus der rechtsradikalen Ecke für einen Rückzug ins Nationale und Egoistische wieder zurückzudrängen.
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