Mietenwahnsinn in Berlin: Das Wohnungssyndikat
Der Verein „Wohnraum für alle“ kauft Wohnungen auf. Sie sollen denen zugute kommen, die auf dem Mietmarkt sonst keine Chance haben.
Genau für diese will sich nun der 2017 gegründete Verein „Wohnraum für alle!“ vermehrt einsetzen. Die Idee: einzelne Wohnungen privat kaufen und auf dem Wohnungsmarkt benachteiligten Personen zur Verfügung stellen. Im März 2018 hat der Verein nach eigenen Angaben bereits eine Wohnung in Spandau erworben, wo nun eine fünfköpfige geflüchtete Familie lebe.
Dabei sei die Idee aus der Not geboren worden, wie es in einer ersten Pressemitteilung des Vereins heißt – und bei einem Praxisworkshop des Mietshäuser Syndikats entstanden. Die Bildungsreferentin Beate Flechtker, die sich in dem Verein engagiert, sagt, dass das Prinzip des Mietshäuser Syndikats in Ballungsräumen nicht mehr funktioniere, weil ganze Häuser kaum noch bezahlbar seien. Das Mietshäuser Syndikat ist eine nicht kommerzielle Beteiligungsgesellschaft, die etwa Hausprojekten dabei hilft, ihre Häuser in Kollektiveigentum zu überführen. Ziel des Vereins Wohnraum für alle ist nun, das Prinzip im kleineren Maßstab anzuwenden, also bei einzelnen Wohnungen anzusetzen, die auf diese Weise noch finanzierbar seien.
Xiao Zhu, ein Betriebswirt, der sich ebenfalls in dem Verein engagiert, sagt der taz: „Wir waren vorher bei Solizimmer aktiv, einem Verein, der WG-Zimmer für Geflüchtete organisiert. Irgendwann wollten wir nicht mehr nur mieten, sondern dauerhafte Lösungen. Dann kam uns die Idee, Wohnungen für die gleiche Zielgruppe zu kaufen.“
Ohne Hilfe durch den Bezirk
Aktuell will der Verein mehrere Wohnungen in der Friedrichshainer Voigstraße erwerben. Die Bewohner*innen dort befürchteten nach Umwandlung in Eigentum durch die vorherigen Vermieter*innen den Rausschmiss. Um dies zu verhindern, habe Wohnraum für alle bereits eine erste Wohnung im Februar 2021 gekauft, derzeit wird der Kauf einer zweiten Wohnung im Haus vorbereitet, der dritte ist geplant. In der Voigtstraße sehe der Verein auch dank engagierter Mieter*innen die Chance, dort nach und nach weitere Wohnungen im Haus zu sichern – „und das ganz ohne Vorkaufsrecht“.
Der Verein finanziert die Ankäufe „über eine Mischung aus Bank- und Direktkrediten von solidarischen Privatpersonen“, wie es heißt – finanzwirtschaftlich seien diese den Nachrangdarlehen vergleichbar. Dabei gebe es für Geldgeber bis zu 1 Prozent Zinsen. Wenn man das Geld zurück brauche, könne man den Kredit mit einer drei- bis fünfmonatigen Frist wieder kündigen, sagt Zhu, angelehnt an die Modelle des Mietshäuser Syndikats – bloß in kleinerem Maßstab. Sechsundsechzig private Kreditgeber*innen gebe es bereits.
Derzeit wirbt der Verein um mehr Unterstützer*innen, „die ihr Geld sicher und sozial anlegen wollen“. Dann könne man in Zukunft auch „bei teureren Wohnungen zugreifen“, wie Zhu sagt. Natürlich sei es keine Geldanlage mit Rendite, sondern nur eine Möglichkeit, sein Geld zu parken und „einen gesellschaftlichen Zweck zu unterstützen“, so Zhu. Für die erste Wohnung in Spandau hätte Wohnraum für alle im Freundeskreis als Eigenkapital 30.000 Euro gesammelt, um mit einem 70.000-Euro-Kredit die 100.000 Euro teure Wohnung zu erwerben. Für Reparaturen und Sanierungen bilde man aus den Krediten rund 10 Prozent Rücklagen.
Der Verein sucht weiter nach günstigen Wohnungen, bei denen sich ein derartiges Finanzierungsmodell lohnt – also etwa, wo Umwandlung in Eigentum droht und Mieter*innen Eigenkapital haben oder die Wohnung nicht allzu teuer ist – eine günstige Vermietung also finanzierbar wäre.
Zukünftigen Missbrauch seines wachsenden Wohnraumbestands schließt der Verein aus: Der Zweck sei in der Vereinssatzung festgeschrieben, eine Änderung nur per Dreiviertelmehrheit der Mitglieder möglich, die hauptsächlich flüchtlingspolitisch organisierte Menschen sind. Zudem sind auch fluchtpolitische Organisationen wie der Flüchtlingsrat und Solizimmer Mitglied, sodass eine Umwidmung des Vereinszwecks undenkbar sei.
Der genaue Satzungszweck heißt: „Er verfolgt den Zweck, Mieter*innen, vorrangig Geflüchteten und Migrant*innen, das Leben in eigenem Wohnraum zu ermöglichen. Dieser Wohnraum soll nachhaltig, sicher und sozial gebunden sein, um das Recht auf Wohnraum für alle umzusetzen.“
Die Mieterschaft in der Voigtstraße 36 ist bunt gemischt, heißt es von Wohnraum für alle. Es seien nicht nur Geflüchtete begünstigt, ausziehen muss dort allerdings niemand. „Wir wollen keine Gruppen gegeneinander ausspielen, deswegen schmeißen wir natürlich niemanden raus, um dann Geflüchtete einziehen zu lassen“, sagt Vereinsmitglied Zhu. „Aber wenn wir mehr Wohnungen kaufen und wachsen, können wir langfristig mehr Wohnraum für Geflüchtete anbieten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid