Mietendeckel bedroht soziale Träger: „Wir sind extrem aufgescheucht“
Ausgerechnet für soziale Organisationen ist der Mietendeckel eine Gefahr, warnt Gabriele Schlimper vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin.
taz: Frau Schlimper, warum sind steigende Gewerbemieten denn ein besonderes Problem für soziale Organisationen?
Gabriele Schlimper: Obwohl wir uns nur aus staatlichen Zuschüssen und Leistungen der Krankenkassen finanzieren, werden soziale Organisationen grundsätzlich als Gewerbe angesehen. Das ist schon schwierig genug, steigende Büromieten treffen uns ähnlich hart wie den kleinen Einzelhändler um die Ecke. Ein Großteil unserer Arbeit findet aber gar nicht im Büro, sondern unter anderem in Wohnungen statt, die wir zum Beispiel für Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen, Obdachlose, Menschen mit Suchterkrankungen oder Jugendliche anmieten. Dafür gilt dann aber auch das Gewerbemietrecht, und der Immobilieneigentümer hat ganz andere Möglichkeiten, was Mieterhöhungen betrifft. Deshalb sind wir jetzt auch extrem aufgescheucht durch den Mietendeckel.
… mit dem der Berliner Senat die explodierenden Wohnungsmieten ab kommenden Jahr deckeln will. Das ist doch sehr sozial.
Im Prinzip schon. Die in unseren Wohnungen betreuten Menschen bekommen aber die gleichen Zuschüsse für die Unterbringungskosten wie jeder andere Transferleistungsempfänger auch. Wenn die Wohnungsmieten in Berlin gedeckelt werden, dann bleiben auch diese Zuschüsse gedeckelt. Der Immobilieneigentümer wird sich aber das, was er im normalen Mietrecht nicht mehr abschöpfen kann, bei den Gewerbemietern holen. Diesem Spannungsfeld sehen wir uns ungeschützt ausgeliefert.
Jahrgang 1960, ist seit 2016 Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtverbands Berlin. Der Dachverband der freien Wohlfahrtspflege hat in Berlin 770 Mitgliedsorganisationen.
Was heißt das konkret?
Da wird mal eben eine Kaltmiete von mehr als 20 Euro pro Quadratmeter statt bisher um die 10 Euro aufgerufen. Das gibt es auch jetzt schon, aber wir befürchten, dass das mit dem Mietendeckel breiter aufploppt. Wenn schon Deckel, dann brauchen wir einen Schutz für die Projekte, die mit Menschen in schwierigen Lebenslagen arbeiten.
Also eine Mietpreisbremse oder einen Mietendeckel für Gewerbe?
Eigentlich wollen wir ganz raus aus der Gewerbemiete. Eine praktische Zwischenlösung wäre doch, wenn soziale Organisationen, die die Wohnungen ausschließlich für die Betreuung, Beratung und Unterstützung von Menschen brauchen, auch Wohnungen mit Wohnberechtigungsschein (WBS) anmieten dürfen. Bislang geht das nicht, weil wir ja als Gewerbe gelten. Und das obwohl quasi alle von uns betreuten Menschen Anrecht auf einen WBS hätten.
Ihren Vorschlag haben Sie doch bestimmt vorgebracht …
Na sicher, auch bei Senatorin Lompscher. Man nimmt das ernst, man nimmt das wahr. Aber es passiert nichts.
Was ist die Konsequenz der Misere?
Soziale Organisationen haben keinen Spielraum. Wenn die Miete so steigt, müssen sie umziehen. Und weil es selbst am Stadtrand kaum mehr bezahlbaren Wohnraum gibt, heißt das am Ende: Brandenburger Tieflandsebene. Die von uns betreuten Menschen gehören aber mitten in die Gesellschaft.
Passiert diese Verdrängung jetzt schon?
Ja, aber natürlich sitzen wir nicht wie die Kaninchen vor der Schlange. Einige soziale Organisationen machen sich auf den Weg, selber Häuser für betreute Wohnformen zu bauen. Das ist eigentlich gar nicht unsere Aufgabe, wir wollten soziale Arbeit machen. Aber wenn wir schon dazu gezwungen sind, brauchen wir Unterstützung zum Beispiel in Form von Bürgschaften durch das Land Berlin. Dafür kämpfe ich auch schon seit drei Jahren beim Senat.
Versuchen Sie auch, an die Vermieter selbst zu appellieren?
Das ist immer dann gut möglich, wenn am anderen Ende eine natürliche Person sitzt. Wenn das aber eine Investmentgesellschaft beispielsweise in einem anderen Land ist, dann kann ich meine Bitten auch auf einen anderen Planeten schicken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge