Merz im Oval Office: Morgen kann in Trumps Welt alles anders sein
Der Antrittbesuch des Kanzlers beim US-Präsidenten läuft glatt, für Merz ist das ein Erfolg. Nur überbewerten sollte man ihn nicht.

J a, es ist gut gelaufen für Friedrich Merz bei seinem Antrittsbesuch in Washington. Im Oval Office, wo Donald Trump vor laufenden Kameras erst versuchte, dem ukrainischen Präsidenten entgegen aller Tatsachen die Schuld am Krieg in seinem Land anzuhängen und ihn dann rausschmiss, wo er Südafrikas Präsident mit vermeintlichen Belegen für einen Massenmord an Weißen in seinem Land zu provozieren suchte – da musste sich Merz zwar allerhand Unwahrheiten und Selbstgefälligkeiten anhören, Schikanen des deutschen Bundeskanzlers aber blieben aus.
Trump versuchte nicht nur nicht, Merz vorzuführen, er fand sogar freundliche Worte für die Deutschen und ihren Kanzler. Das kippte auch nicht, als Merz ihm einmal widersprach. Trumps Vergleich des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit zwei sich prügelnden Kindern ließ Merz trotz seiner grundsätzlichen Anti-Eskalationstrategie nicht so stehen. Russland sei der Aggressor und man stehe an der Seite der Ukraine, stellte Merz klar, der nicht nur als Kanzler, sondern auch Stimme Europas in Washington war. Angesichts der schwierigen Ausgangslage war das ein gelungener Balanceakt. Den Besuch kann Merz als Erfolg verbuchen.
Hatte Trump einfach einen guten Tag? Zog Elon Musk alle Aggressionen des US-Präsidenten bereits auf sich? Haben Trump die vorherigen Telefonate mit Merz, dessen Gastgeschenk oder die Tatsache, dass der deutsche Bundeskanzler wie er selbst aus der Wirtschaft kommt, gerne Golf spielt, die USA gut kennt, fließend Englisch spricht und der Bundesrepublik eine härtere Gangart in Sachen Migration verordnet hat, milde gestimmt?
Im Vorfeld war im Kanzleramt viel über all diese Fragen nachgedacht, in Medien und Öffentlichkeit viel darüber spekuliert worden. Das kann man unpolitisch und angesichts der Weltlage auch ein bisschen irre finden. Denn sollten beim Antrittsbesuch eines deutschen Kanzlers in Washington nicht andere Fragen im Vordergrund stehen als der Beziehungsstatus zweier Alpha-Männer – zumal der eine von ihnen gerade die Axt an die Demokratie anlegt?
Falsche Hoffnungen
Richtig waren die Überlegungen trotzdem. Merz' Ziel ist es, und das nicht nur vor den wichtigen anstehenden Gipfeltreffen von G7 und Nato in wenigen Wochen, Trump möglichst lang bei dem Verteidigungsbündnis und der Unterstützung der Ukraine zu halten. Das ist mangels Alternativen notwendig – und dabei kann ein guter persönlicher Kontakt durchaus hilfreich sein.
Nur: Überbewerten sollte man dessen Bedeutung nicht. Ein paar Stunden, in denen Trump Merz wohlgesonnen zu sein scheint, ändern nichts daran, dass dieser eine politische Agenda verfolgt. Und dabei radikal mit dem bricht, was der Westen einmal war. Merz weiß das. Doch besonders für überzeugte Transatlantiker wie ihn und andere Christdemokrat*innen ist das eine schmerzhafte Erkenntnis, die auch noch nicht überall in den Kern des Bewusstseins vorgedrungen ist.
Die Lobeshymnen auf Merz`Besuch jedenfalls lassen befürchten, dass die alte Hoffnung, so schlimm komme es dann vielleicht doch nicht, erneut keimt. Der sollte die Bundesregierung besser nicht aufsitzen, im Gegenteil. Notwendige Ziele sind jetzt die strategische Autonomie Europas und eine Abnabelung von den USA. Und ohnehin: Morgen kann in Trumps Welt wieder alles ganz anders sein.
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