Menschenrechte in Belarus: Ein großes Gefängnis
Viel zu wenig unternimmt Europa gegen die Menschenrechtsverletzungen in Belarus. Nun droht auch noch die schleichende Eingemeindung durch Russland.
D ie gängige Redewendung in Belarus: „Wer nicht gesessen hat, ist kein/e Belarusse/in“, beschreibt sehr treffend die Tragödie, die sich direkt vor der Haustür der EU abspielt. Innerhalb eines Jahres und damit seit dem 9. August 2020, dem Tag der gefälschten Präsidentenwahl, hat Staatschef Alexander Lukaschenko die einstige Sowjetrepublik in ein großes Gefängnis verwandelt.
Jüngstes Beispiel für seinen perfiden Rachefeldzug gegen Kritiker*innen ist das Urteil gegen Maria Kolesnikowa vom Montag dieser Woche. Elf Jahre soll die bekannte Oppositionspolitikerin in einem Straflager absitzen. Planung eines Umsturzes und Extremismus lauten die abstrusen Vorwürfe, die zum Synonym für die tatsächliche oder vermeintliche Beteiligung an Protesten geworden sind und dafür herhalten müssen, unbequeme Geister hinter Gitter zu bringen.
Dass es erst dieser drakonischen Haftstrafe für eine Prominente bedurfte, um die Causa Belarus kurzzeitig wieder auf die Tagesordnung zu setzen, spricht Bände. Denn Kolesnikowa ist „nur“ ein Fall von vielen. 659 politische Gefangene sind derzeit bei der belarussischen Menschenrechtsorganisation Wjasna (Frühling) gelistet, und täglich werden es mehr.
Doch die Qualen und die Pein all dieser mutigen Menschen, die gefoltert, gebrochen und ihrer Würde beraubt werden, ist nicht einmal mehr eine Kurzmeldung wert. Hinzu kommen noch all jene Belaruss*innen, die im Ausland Zuflucht gesucht haben und dort einer ungewissen Zukunft entgegensehen. Der Westen hat wiederholt Sanktionen gegen Belarus verhängt – der schärfste Pfeil im Köcher.
Lukaschenko zu Putins Füßen
Und es mangelt auch nicht an Solidaritätsbekundungen – wie in dieser Woche zahlreichen Statements von Politiker*innen, auch in Deutschland, zu entnehmen war. Zweifellos: Die Forderung nach einer sofortigen Freilassung aller politischen Gefangenen ist die einzig richtige. Sie dürfte jedoch in Minsk ungehört verhallen und in Deutschland im allgemeinen Wahlkampfgetümmel untergehen. Außenpolitik war noch nie ein entscheidendes Feld, um bei Wähler*innen zu punkten.
Und Belarus ist derzeit vor allem dann ein Thema, wenn es darum geht, sich vor Geflüchteten, die Lukaschenko an der EU-Außengrenze in konzertierten Aktionen „abkippen“ lässt, zu schützen. So wird Europa schwersten Menschenrechtsverletzungen in Belarus wohl auch weiterhin tatenlos zusehen. Parallel dazu vollzieht sich eine Entwicklung, die scheinbar kaum noch aufzuhalten ist und die Belaruss*innen zu „Gefangenen zwischen zwei Diktaturen“ macht, wie die britische Times anmerkte.
Gemeint ist die schleichende „Eingemeindung“ von Belarus durch Russland, die in ukrainischen und kritischen belarussischen Medien mit dem deutschen Wort „Anschluss“ beschrieben wird. Das Treffen zwischen Lukaschenko und Russlands Präsidenten Wladimir Putin am Donnerstag dieser Woche in Moskau, bei dem eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit vereinbart wurde, diente auch diesem Ziel.
Bislang ist der Unionsvertrag zwischen Belarus und Russland von 1999 kaum das Papier wert, auf dem er geschrieben ist. Das lag auch daran, dass sich Lukaschenko Bestrebungen Moskaus, die beiden Länder stärker aneinander zu binden, bislang erfolgreich zu widersetzen wusste. Doch damit ist es jetzt vorbei. Denn Lukaschenko, innenpolitisch geschwächt, in Europa isoliert und ohnehin durch wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland nur noch ein Herrscher von Moskaus Gnaden, steht mit dem Rücken zur Wand.
Er muss beim großen Bruder zu Kreuze kriechen. So stehen die Chancen für Putin, die Landnahme zu seinen Konditionen durchzuziehen, so gut wie noch nie. Er wird sie zu nutzen wissen – wohlwissend, dass kein nennenswerter Widerstand zu erwarten ist. „Schivi Belarus!“ („Es lebe Belarus!“) lautet ein Schlachtruf der belarussischen Opposition. Fragt sich, wie lange noch.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!