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Menschenrechte in AfghanistanTaliban gegen Geburtenkontrolle

In Kabul und im Norden Afghanistans ist der Verkauf von Verhütungsmitteln nun untersagt. Ein offizielles Verbot der Taliban gibt es aber bisher nicht.

Die neue Normalität unter den Taliban: eine Frau mit Burka in Kabul im November 2022 Foto: Ali Khara//reuters

Berlin taz | Die in Afghanistan herrschenden Taliban scheinen nun für Frauen auch den Zugang zu Kontrazeptiva einschränken zu wollen. Das geht aus einem Bericht der von afghanischen Frauen betriebenen Nachrichtenseite Rukhshana hervor. Demzufolge hätten Taliban in der Hauptstadt Kabul sowie in der nordafghanischen Metropole Masar-i-Scharif den Kauf und Verkauf von Schwangerschaftsverhütungsmitteln untersagt, hieß es am Donnerstag.

In beiden Städten hätten Taliban Arzneimittelhändler angewiesen, „den Verkauf von Tabletten, Ampullen und anderen Verhütungsmitteln zu unterlassen“. Händler sowie Hebammen bestätigten gegenüber Rukhshana, dass die Taliban etwa drei Wochen zuvor den Import und die Ausgabe von Kontrazeptiva jeder Art verboten hätten. Bei mindestens einem Kabuler Großhändler sei es zu Beschlagnahmen gekommen.

Die Webseite zitierte mehrere Frauen, die angaben, dass He­bammen sich geweigert hätten, ihnen Kontrazeptiva zu geben. Eine Kabulerin namens Chadidscha berichtete, die He­bamme, die sie regelmäßig konsultiert hatte, habe ihr gesagt, die Taliban hätten angeordnet, dass keine hormonellen Verhütungsmittel mehr verabreicht werden dürften.

Eine weitere Frau aus der afghanischen Hauptstadt sowie ein Ehepaar aus Masar-i-Scharif hätten bestätigt, dass viele Apotheken keine Verhütungsmittel mehr führten, weil ihnen von Taliban gesagt worden sei, der Verkauf sei untersagt. Wo sie unter dem Ladentisch oder von Ärzten privat weiter angeboten würden, habe sich der Preis verdoppelt.

Unklar, welche Behörde die Anordnung erließ

Laut taz-Informationen wurde in einem Distrikt nahe Masar einer Hilfsorganisation die Ausgabe von Kontrazeptiva verboten, aber es war unklar, ob das von den Taliban oder örtlichen Kreisen ausging.

Aufgrund sozial wie religiös bedingter mangelhafter Aufklärung zur Schwangerschaftsvorbeugung kommen viele Afghaninnen erst bei der Geburt mit dieser Möglichkeit in Berührung. Hebammen sind so eine der Hauptquellen für Kontrazeptiva.

Einer der Großhändler erzählte Rukhshana, dass nur „alle Arten Kontrazeptiva, die Frauen verwenden, verboten sind“. Kondome seien also ausgenommen.

Es blieb unklar, welche Taliban-Behörde die Anordnung erlassen hat. Begründet wurde sie gegenüber Händlern und He­bammen mit dem Argument, die Anwendung solcher Mittel sei „haram“ – aus religiösen Gründen verboten. Ein schriftliches Verbot liegt bisher nicht vor.

„Nur in Ausnahmefällen“ erlaubt

Eine der raren offiziellen Stellungnahmen der Taliban zum Thema stammt aus dem Jahr 2009, von ihren damaligen Sprecher Kari Jusuf Ahmadi. Er sagte der humanitären Nachrichtenagentur Irin, dass Kontrazeptiva „nur in Ausnahmefällen“ und Kondome nur „auf Anweisung eines Arztes zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten“ verwendet werden sollten. „Kondome sind schlecht“, sagte er, da sie „Obszönität unter den Moslems verbreiten. Generell sollen Verhütungsmittel nicht dazu dienen, Geburten zu verhindern, denn der Islam spricht sich für mehr muslimische Kinder aus und bittet Paare, so viele Kinder wie möglich zur Welt zu bringen“.

Laut dem Weltbevölkerungsfonds der Vereinten Nationen sterben in Afghanistan 638 von 100.000 Frauen bei der Geburt. In keinem asiatischen Land ist diese Zahl höher. Im Jahr 2001 – als die Taliban zuletzt an der Macht waren – betrug die Rate sogar 1.390 Tode pro 100.000 Geburten. Die Geburtenrate liegt bei durchschnittlich 6,3 Kindern pro Frau, jedes zehnte Kind wurde von einer Unter-18-Jährigen geboren.

Die Vorgängerregierung hatte mit internationaler Unterstützung versucht, die Müttersterblichkeit und das rasante Bevölkerungswachstum durch erweiterte Beratungsangebote und kostenlose Vergabe von Verhütungsmitteln einzudämmen. Die Akzeptanz für moderne Kontrazeptiva war in dieser Zeit gewachsen. Laut UN verwendeten 2014 23 Prozent der verheirateten Frauen solche Methoden; 2003 waren es noch 10 Prozent gewesen.

Allerdings gab es auch Widerstand aus regierungsnahen religiösen Kreisen. Reuters zitierte 2011 einen Professor für islamisches Recht an der Universität Kabul mit den Worten, es sei „nicht an uns (Menschen), die Reproduktion von Kindern zu kontrollieren“. Er sprach sich auch gegen Abtreibungen aus: „Der heilige Koran sagt uns, keine Kinder zu töten.“ US-finanzierte Familienplanungsprojekte mussten eingestellt werden, nachdem die Trump-Regierung ab 2017 UN-Organisationen und ab 2019 nichtstaatliche Hilfswerke im Ausland nicht mehr förderte, die solche anboten.

Das Gesundheitsministerium der Vorgängerregierung konnte sein Personal, darunter Ärzte an staatlichen Kliniken, nicht anweisen, Kontrazeptiva oder Sterilisation anzubieten, da die soziale Akzeptanz begrenzt war. Auch viele Ärzte sind der Ansicht, erst nach mehreren Geburten sollte, wenn überhaupt, verhütet werden. Meist war die Zustimmung des Ehemanns notwendig. Taliban bedrohten Geistliche, die Familienplanungsprogramme der Regierung unterstützten. Ein Schwangerschaftsabbruch war laut Gesetz nur bei Lebensgefahr für die Mutter zugelassen. Ansonsten drohten dafür bis zu fünf Jahre Haft.

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14 Kommentare

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  • @Aron Silberstein Nach dieser Logik kann man sich auch gleich von jeglichem Universalismus verabschieden. Nach dem Motto: "bei denen ist es halt so" - Das ist in meinen Augen aus verschiedensten Gründen absolut falsch. Erstens weil das zu einer Essentialisierung von gesellschaftlichen Zuständen und somit zur Verhinderung von Veränderung und Entwicklung führt. Zweitens, weil es nicht einfach nur um "Kultur" geht, sondern um fundamentale Menschenrechte, die in meinen Augen höher zu bewerten sind als das Selbstbestimmungsrecht. Drittens gibt es in Afghanistan schon seit Jahrzehnten Teile der Gesellschaft, die keinen Bock darauf haben, ihr Leben von Islamo-Faschisten diktiert zu kriegen. Die Taliban haben aber leider das Gewaltmonopol und begegnen auf grund ihres "göttlichen Auftrages" jeglichem Abweichen durch massive Repression.

    Ich verstehe nicht, wie man auch nur ansatzweise in Anbetracht dieser Barbarei die Augen verschließen kann.

  • Geistige Aufklärung, Trennung von Staat und Religion, Gleichberechtigung der Geschlechter oder das Recht einer Frau ihre Verhütung vor Schwanderschaft selbst zu betimmen: Alles Themen, die sich in unserer westlichen Welt entwickelt haben und in unseren Teil der Welt passen. Angesichts der unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen auf diesem Globus habe ich jedoch erhebliche Zweifel, ob es sich unsere westliche Welt anmaßen kann und darf, die gesamte Menschheit mit unseren ethischen Werten zu "missionieren". Auch wenn es uns völlig widerstrebt, dass ein jahrtausende altes Stämmesystem unter fanatischer Führung der Taliban unserem westlichen ethischen Wertesystem völlig zuwider läuft, sehe ich keine Berechtigung für uns, in diese Entwicklung einzugreifen. Greifen wir dennoch ein, wird man uns im Westen später eine zweite Kolonialisierung der Welt mit unseren westlichen Werten vorwerfen. Wenn wir das Selbstbestimmungsrecht der Völker ernst nehmen, bleibt uns leider in Afghanistan nur die Rolle des Kopf schüttelnden Zuschauers. Wir in der westlichen Welt sollten uns von der Illusion verabschieden uns als Retter der Welt zu verstehen.

    • @Aron Silberstein:

      Merken Sie, dass es hier um die Unterdrückung von Frauen geht? Bei dem, was Sie aufzählen (Religion, Gleichberechtigung, Verhütung) handelt es sich zumeist um Frauenrechte. Aber Frauenleben sind ja wohl nicht wichtig.

    • @Aron Silberstein:

      Das Problem ist hier wurde eingegriffen. Die Ideen der Taliban stammen nicht aus Afghanistan sondern aus Saudi-Arabien und von einigen Deobandi Schulen in Pakistan. Traditionell hat in Afghanistan der Volksislam und die Sufis dominert aber Saudi-Arabien finanzierte damals die Indoktrination einer ganzen Generation von Kindern in Pakistan in den 80er Jahren. Die Taliban zwingen seit dem Afghanistan das ganze über.



      Die Idee das Länder sich alleine entwicklen ist in der Theorie nett aber hat nichts mit der Praxis zu tun, wir sollten uns einmischen andere tun es auch, zu unserem und oftmals dem Nachteil der Leute vor Ort.

      Afghanistan war schon deutlich weiter unter Amanullah Khan und später Zair Shah und Präsident Daoud Khan gab es Reformen in Richtung Säkularität und Gleichberechtigung. Das Afghanistan da ist wo es heute ist hat viel mit der Islamisierung Pakistans, dem ewigen Krieg von selbigem mit Indien zu tun und der globalen Verbreitung des Wahhabismus durch Saudi-Arabien insbesondere nach 1979.

    • @Aron Silberstein:

      Sind die Frauen in Afghanistan weniger wert als die Menschen in der Ukraine, wo wir uns seit langem einmischen?

      • @Jörg Schulz:

        Gute Frage. Vielleicht, weil es hier im speziellen ja "nur" um Frauen handelt. Da werden immer noch Unterschiede gemacht.

  • "Ein offizielles Verbot der Taliban gibt es aber bisher nicht." – Heißt es im Untertitel. Bei aller Tragik wunderbar missverständlich, Gott verhüte.

  • 1950 lag Afghanistan noch bei etwa acht Millionen Einwohnern. 2022 bei über 42 Millionen.

    Längst kann das Land seine Bevölkerung nicht mehr selbständig ernähren. Die kargen Böden geben nicht mehr her.

    Afghanistan ist daher auf ständige Hilfe von außen, vor allem den westlichen Ländern angewiesen, damit die Kinder nicht zu Millionen verhungern.

    Rund 41 Prozent davon sind dem United Nations Population Fund zufolge Kinder zwischen 0 und 14 Jahren. Rund zehn Millionen afghanische Mädchen und Jungen brauchen humanitäre Nothilfe.

    Artikelzitat: " . . . der Islam spricht sich für mehr muslimische Kinder aus und bittet Paare, so viele Kinder wie möglich zur Welt zu bringen."

    Das kennen wir auch so aus Pakistan, der Türkei, einer Reihe afrikanischer und arabischer Länder.

    Die islamistische Ideologie ist da gnadenlos.

    Danke an Herrn Ruttig das Thema überhaupt anzusprechen. Westliche Postkolonialisten unterstützen in der Regel ja eher die totalitären Systeme jener Länder, indem sie darauf pochen, der Westen habe sich in fremde Kulturen nicht einzumischen.

    Mitgefühl bleibt da natürlich auf der Strecke. Zum Leidwesen von Frauen und Kindern.

    • @shantivanille:

      Aha, wer postkoloniale Kritik übt ist also tendenziell totalitär? Wer genau unterstüzt denn da wie genau Gruppen wie die Taliban? Und was wäre die vorgeschlagene Alternative? Dann doch lieber eine (neo-)koloniale Politik betreiben weil die islamischen/afrikanischen Länder es halt selbst nicht auf die Reihe kriegen?



      Und klar, während man so heftig nicht nur auf Taliban und Islamischen Staat, sondern gleich auf eine nicht näher definierte Reihe islamisch geprägter Staaten zeigt, kann man schon mal übersehen, dass der Christliche Staat aus Rom in Sachen reproduktiver Rechte kaum anders tickt.

      • @Ingo Bernable:

        Wollen Sie ernsthaft Italien mit Afghanistan vergleichen? Unfassbar und es zeigt auch, dass an der Kritik von SHANTIVANILLE etwas dran ist. Die Menschen in Italien sind frei, über Verhütung zu entscheiden, ganz egal was der Staat aus Rom dazu meint; das zeigt auch die für Europa niedrigste Geburtenrate von 1.2 je Frau.

        • @resto:

          Der Vatikan herrscht nicht über Italien, gibt aber die Regeln für die Katholiken in der ganzen Welt vor - vor allem auch in weniger aufgeklärten patriarchalischen Gesellschaften.



          Die Philippinen z.B. sind überwiegend katholisch und arg überbevölkert.

          • @Jörg Schulz:

            Hier wurde aber Rom angesprochen.

            • @resto:

              Und welcher Staat liegt in Rom?

  • Ein Land mit kollabierte Wirtschaft und jetzt wollen sie noch die Geburtenrate ins Absurde treiben.