Menschenrechte in Afghanistan: Taliban gegen Geburtenkontrolle
In Kabul und im Norden Afghanistans ist der Verkauf von Verhütungsmitteln nun untersagt. Ein offizielles Verbot der Taliban gibt es aber bisher nicht.
In beiden Städten hätten Taliban Arzneimittelhändler angewiesen, „den Verkauf von Tabletten, Ampullen und anderen Verhütungsmitteln zu unterlassen“. Händler sowie Hebammen bestätigten gegenüber Rukhshana, dass die Taliban etwa drei Wochen zuvor den Import und die Ausgabe von Kontrazeptiva jeder Art verboten hätten. Bei mindestens einem Kabuler Großhändler sei es zu Beschlagnahmen gekommen.
Die Webseite zitierte mehrere Frauen, die angaben, dass Hebammen sich geweigert hätten, ihnen Kontrazeptiva zu geben. Eine Kabulerin namens Chadidscha berichtete, die Hebamme, die sie regelmäßig konsultiert hatte, habe ihr gesagt, die Taliban hätten angeordnet, dass keine hormonellen Verhütungsmittel mehr verabreicht werden dürften.
Eine weitere Frau aus der afghanischen Hauptstadt sowie ein Ehepaar aus Masar-i-Scharif hätten bestätigt, dass viele Apotheken keine Verhütungsmittel mehr führten, weil ihnen von Taliban gesagt worden sei, der Verkauf sei untersagt. Wo sie unter dem Ladentisch oder von Ärzten privat weiter angeboten würden, habe sich der Preis verdoppelt.
Unklar, welche Behörde die Anordnung erließ
Laut taz-Informationen wurde in einem Distrikt nahe Masar einer Hilfsorganisation die Ausgabe von Kontrazeptiva verboten, aber es war unklar, ob das von den Taliban oder örtlichen Kreisen ausging.
Aufgrund sozial wie religiös bedingter mangelhafter Aufklärung zur Schwangerschaftsvorbeugung kommen viele Afghaninnen erst bei der Geburt mit dieser Möglichkeit in Berührung. Hebammen sind so eine der Hauptquellen für Kontrazeptiva.
Einer der Großhändler erzählte Rukhshana, dass nur „alle Arten Kontrazeptiva, die Frauen verwenden, verboten sind“. Kondome seien also ausgenommen.
Es blieb unklar, welche Taliban-Behörde die Anordnung erlassen hat. Begründet wurde sie gegenüber Händlern und Hebammen mit dem Argument, die Anwendung solcher Mittel sei „haram“ – aus religiösen Gründen verboten. Ein schriftliches Verbot liegt bisher nicht vor.
„Nur in Ausnahmefällen“ erlaubt
Eine der raren offiziellen Stellungnahmen der Taliban zum Thema stammt aus dem Jahr 2009, von ihren damaligen Sprecher Kari Jusuf Ahmadi. Er sagte der humanitären Nachrichtenagentur Irin, dass Kontrazeptiva „nur in Ausnahmefällen“ und Kondome nur „auf Anweisung eines Arztes zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten“ verwendet werden sollten. „Kondome sind schlecht“, sagte er, da sie „Obszönität unter den Moslems verbreiten. Generell sollen Verhütungsmittel nicht dazu dienen, Geburten zu verhindern, denn der Islam spricht sich für mehr muslimische Kinder aus und bittet Paare, so viele Kinder wie möglich zur Welt zu bringen“.
Laut dem Weltbevölkerungsfonds der Vereinten Nationen sterben in Afghanistan 638 von 100.000 Frauen bei der Geburt. In keinem asiatischen Land ist diese Zahl höher. Im Jahr 2001 – als die Taliban zuletzt an der Macht waren – betrug die Rate sogar 1.390 Tode pro 100.000 Geburten. Die Geburtenrate liegt bei durchschnittlich 6,3 Kindern pro Frau, jedes zehnte Kind wurde von einer Unter-18-Jährigen geboren.
Die Vorgängerregierung hatte mit internationaler Unterstützung versucht, die Müttersterblichkeit und das rasante Bevölkerungswachstum durch erweiterte Beratungsangebote und kostenlose Vergabe von Verhütungsmitteln einzudämmen. Die Akzeptanz für moderne Kontrazeptiva war in dieser Zeit gewachsen. Laut UN verwendeten 2014 23 Prozent der verheirateten Frauen solche Methoden; 2003 waren es noch 10 Prozent gewesen.
Allerdings gab es auch Widerstand aus regierungsnahen religiösen Kreisen. Reuters zitierte 2011 einen Professor für islamisches Recht an der Universität Kabul mit den Worten, es sei „nicht an uns (Menschen), die Reproduktion von Kindern zu kontrollieren“. Er sprach sich auch gegen Abtreibungen aus: „Der heilige Koran sagt uns, keine Kinder zu töten.“ US-finanzierte Familienplanungsprojekte mussten eingestellt werden, nachdem die Trump-Regierung ab 2017 UN-Organisationen und ab 2019 nichtstaatliche Hilfswerke im Ausland nicht mehr förderte, die solche anboten.
Das Gesundheitsministerium der Vorgängerregierung konnte sein Personal, darunter Ärzte an staatlichen Kliniken, nicht anweisen, Kontrazeptiva oder Sterilisation anzubieten, da die soziale Akzeptanz begrenzt war. Auch viele Ärzte sind der Ansicht, erst nach mehreren Geburten sollte, wenn überhaupt, verhütet werden. Meist war die Zustimmung des Ehemanns notwendig. Taliban bedrohten Geistliche, die Familienplanungsprogramme der Regierung unterstützten. Ein Schwangerschaftsabbruch war laut Gesetz nur bei Lebensgefahr für die Mutter zugelassen. Ansonsten drohten dafür bis zu fünf Jahre Haft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen