Mehr Platz für den Radverkehr: Bäume oder Parkplätze
Die Tangstedter Landstraße soll ordentliche Radwege bekommen. Dafür müssen entweder Parkplätze weichen oder Bäume fallen.
Timo B. Kranz, Fraktionschef der Grünen Nord, warnt: „Wer zur Forderung der Initiative ja sagt, unterschreibt gleichzeitig dafür, rund 90 Bäume für Anwohnerparkplätze zu fällen.“ Dagegen versichert die Initiative, ihre Maximalforderung stehe nur auf dem Papier: Sie strebe eine „einvernehmliche Lösung“ an. Doch die wechselseitigen Wünsche sind schwer miteinander zu vereinbaren.
Die Tangstedter Landstraße führt durch eine Reihenhaussiedlung mit lang gestreckten Gartengrundstücken. Sie ist eine in die Jahre gekommene Nord-Süd-Achse, die grundlegend saniert werden muss. Das schließt die schmalen Geh- und Radwege ein. Die Sanierung soll nach den Plänen des Bezirksamtes Nord „Verbesserungen für alle Verkehrsteilnehmer/innen“ bringen.
Hierzu sollen 1.000 Meter Fahrbahn auf die Mindestbreite von 6,50 Meter verschmälert und auf der einen Seite ein 2,25 Meter breiter Radfahrstreifen abmarkiert werden. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sollen die Längsparkplätze wegfallen, sodass dort ein zwei Meter breit gebauter Radweg plus Sicherheitsstreifen angelegt werden kann. Bei dieser Lösung würden rund 90 bis zu 200 Jahre alte Bäume erhalten bleiben, aber 200 von 242 Parkplätzen wegfallen.
Pflegedienste drohen mit Kündigung
Die Unterstützer der Bürgerinitiative halten das für Unsinn. „Wenn wir abends nach Hause kommen, würden hier die Autos kreisen“, prognostiziert Olaf Reichelt, Vertrauensmann des Bürgerbegehrens. Nur wenige Anwohner haben Parkplätze auf ihren Grundstücken. Pflegedienste hätten gedroht, zu kündigen, wenn sie nicht mehr parken könnten, sagt Reichelt. Außerdem gebe es ein Altenheim und einen Kindergarten in der Straße. Nach einer Zählung des Bezirksamts sind die Parkplätze je nach Straßenabschnitt zu 60 bis 80 Prozent belegt.
Reichelt beteuert, dass auch die Bürgerinitiative die Bäume erhalten wolle. Ein möglicher Kompromiss wäre aus seiner Sicht, die Radwege nicht auf die ordnungsrechtlich vorgesehene Maximalbreite hin auszulegen und beidseits auf die Straße zu verlegen. In Kombination mit Tempo 30 könne das eine Lösung sein. Den Grünen wirft er in diesem Zusammenhang eine „dogmatische Haltung“ und „Schwarzweiß-Denkweise“ vor.
Das Bezirksamt unter seinem grünen Leiter Michael Werner-Boelz sieht das anders. „Bei dem letzten Gespräch mit der Initiative wurde gemeinsam festgestellt, dass deren Alternativplanungen aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht umsetzbar wären“, teilte dessen Sprecher mit. Aufgrund des Verkehrsaufkommens und des Busverkehrs dürften bestimmte Regelbreiten nicht unterschritten werden.
Auf dem betreffenden Abschnitt der Tangstedter Landstraße herrscht mit 15.000 bis 20.000 Autos täglich viel Verkehr. Ab 10.000 Fahrzeugen täglich zwang die Polizei Radfahrer früher auf Radwege. Dazu kommt in jeder Richtung alle fünf bis zehn Minuten ein 192er-Bus. Den Radfahrstreifen auf die zulässig Mindestbreite zu verschmälern, würde 40 Zentimeter bringen – nicht genügend Platz für einen Radweg auf der anderen Straßenseite.
Das Bezirksamt schreibt weiter: „Im Ergebnis waren sich die Beteiligten einig, dass die politischen Gremien die Frage beantworten müssen, ob für den Erhalt von Parkplätzen Bäume geopfert werden sollen.“ Die rot-grün dominierte Bezirksversammlung hat sich für die Bäume ausgesprochen.
„In 2020 Bäume für Parkplätze zu opfern, finde ich nicht mehr angemessen“, sagt Grünen-Fraktionschef Kranz. Radwege hätten die gleiche Erschließungsfunktion wie Fußwege und Autostraßen. Im Übrigen habe, wer sich ein Auto anschaffe, kein Anrecht auf einen Parkplatz im öffentlichen Raum. Weitere Parkplätze in den Gärten zu schaffen, verbiete der Denkmalschutz.
Obwohl es Gespräche zwischen der Initiative und dem Bezirksamt gab, kritisiert die Initiative „die immer noch anhaltende Nichtbeteiligung aller Betroffenen“. Das Bezirksamt plant deshalb jetzt eine digitale Informationsveranstaltung. Unterdessen sammelt die Initiative Unterschriften für ihr Bürgerbegehren. Bei 4.900 Unterschriften muss sich die Bezirksversammlung mit ihrem Anliegen noch einmal befassen.
Die SPD, Koalitionspartnerin der Grünen in Nord, hat in einer Pressemitteilung bereits angemahnt, der tatsächliche Platzbedarf für parkende Autos und den Fahrradverkehr müsse neu ermittelt werden. Für den Ausbau von Radwegen sei eine breite Akzeptanz nötig „und daher auf Baumfällungen und den Rückbau von Parkplätzen zu verzichten“.
Reichelt erinnert daran, dass in der nächsten Parallelstraße die Veloroute 4 verläuft und die Radler damit gut bedient seien. Einige der großen Bäume zerstörten die Gehwege und die Straße und machten damit die Instandsetzung in kürzester Zeit zunichte. Möglicherweise sei es schon aus diesem Grund nötig, einige davon zu fällen. Auf das scharf formulierte Ziel des Bürgerbegehrens angesprochen sagt er: „Letztendlich wollen wir ins Gespräch kommen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen