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Meşale Tolu über Staatsempfang„Erdoğan sollte sich zu Hause fühlen“

Nach seinem Besuch in Deutschland ist der türkische Präsident wieder abgereist. Die Journalistin Meşale Tolu, die monatelang in der Türkei in Haft saß, zieht Bilanz.

Umstrittener Staatsgast: Erdoğan am Samstag in Köln Foto: ap
Jannis Hagmann
Interview von Jannis Hagmann

Frau Tolu, Sie haben versprochen, Sprachrohr derjenigen zu sein, die weiterhin aus politischen Gründen in der Türkei in Haft sind. Was sagen Sie nach dem Staatsbesuchs Erdoğans in Deutschland?

Die Kanzlerin und der Bundespräsident haben ihre Differenzen mit Erdoğan zur Sprache gebracht. Das ist erfreulich. Trotzdem: Zu mehr als zwei Dritteln ging es in der Pressekonferenz am Freitag um gemeinsame Werte und Interessen. Ich als eine, die in der Türkei im Gefängnis saß, sehe keine gemeinsamen Werte. Die Türkei hat sich von den Werten der EU und des Westens entfernt. Wir müssen über inhaftierte Journalisten sprechen, über zu Unrecht geführte Prozesse, über die Samstagsmütter. All das bewegt die Opposition.

Wurde dem türkischen Präsidenten tatsächlich wie befürchtet der rote Teppich ausgerollt?

Der Teppich wurde ausgerollt, am Flughafen und vor dem Schloss Bellevue. Diese Bilder sind für Erdoğan sehr wichtig. Ob er auch symbolisch ausgerollt wurde, lässt sich noch nicht sagen. Ob hinter geschlossenen Türen wirtschaftliche Abmachungen getroffen wurden, werden wir erst noch erfahren. Dann erst wird der wahre Inhalt dieses Besuchs ans Licht kommen.

Die Proteste gegen Erdoğan fielen kleiner aus als erwartet. Wie kommt das?

Die Proteste waren nicht so groß, wie wir uns erhofft hatten. Die Bundesregierung hatte viele Orte abgeriegelt, die Menschen sind teilweise gar nicht durchgekommen.

Bild: dpa
Im Interview: Meşale Tolu

Die Journalistin und Übersetzerin wurde 1984 in Ulm geboren. In Frankfurt/M. studierte sie Ethik und Spanisch auf Lehramt. Sie zog 2014 nach Istanbul und arbeitete für die kleine Nachrichtenagentur ETHA und den Radiosender Özgür. Im April 2017 wurde Tolu festgenommen und erst acht Monate später aus der Haft entlassen. Ende August 2018, nachdem eine Ausreisesperre gegen sie aufgehoben wurde, kehrte sie nach Deutschland zurück. Tolu wird Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Ein Prozess gegen sie läuft weiterhin.

Erdoğans Anhänger haben allerdings erfolgreich mobilisiert.

Die, die für Erdoğan schwärmen, sind frei durchgekommen. Alle anderen nicht. Mir hat aber die Aktion in der Pressekonferenz gefallen, auch wenn der Journalist Adil Yiğit vom BKA rausgeschmissen wurde. Er hatte nur ein T-Shirt an, auf dem „Pressefreiheit für Journalisten in der Türkei“ stand. Ich hätte mir gewünscht, dass sich die anwesenden deutschen Journalisten mit ihm solidarisieren. Hätte das BKA nicht eingegriffen, hätten wir das Signal gesendet: Hier können Journalisten ihre Meinung sagen. Stattdessen haben die Sicherheitskräfte ihn abgeführt – vor den Augen des Verantwortlichen, der in der Türkei etliche Journalisten inhaftiert hat. Erdoğan sollte sich wie zu Hause fühlen.

Nach mehrmonatiger Haft und Ausreisesperre konnten Sie die Türkei im August verlassen. Das wurde von Beobachtern als Versuch der Annäherung an Deutschland und die EU gewertet. Ist der Staatsbesuch die logische Fortsetzung dieser Entwicklung?

Ich denke nicht. Erdoğan hat in der Pressekonferenz gesagt: ‚Ihr wolltet von uns ein paar Journalisten. Die haben wir Euch gegeben.‘ Aber es ist anders: Während ich und einige andere freigelassen wurden und ausreisen durften, sind andere in Haft gekommen. Adil Demirci ist nach meiner Freilassung verhaftet worden. Max Zirngast, der österreichische Journalist, ist nach mir in Haft gekommen. Ein Deutscher hat eine Haftstrafe von fast neun Jahren bekommen. Würde die Bundesregierung die Augen öffnen, würde sie feststellen: Eigentlich sind wir nicht im Plus, sondern im Minus.

Wie geht es jetzt mit Ihnen weiter? Werden Sie zum Gerichtstermin am 16. Oktober in die Türkei reisen?

Meine Anwälte werden das jetzt nach dem Erdoğan-Besuch abwägen. Der Journalist Can Dündar wurde ja von Erdoğan sehr persönlich angegriffen, das ist kein gutes Zeichen. Aber ich würde gern zurückfahren, auch weil mein Mann Suat Çorlu weiter in der Türkei festgehalten wird. Ich will mich für seine Ausreise einsetzen.

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9 Kommentare

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  • Das Vorgehen der Ditib und der türkischen Security zeigt doch ziemlich deutlich, dass sich die türkischen Extremisten hier in DE ziemlich zu Hause fühlen. Und der Innenminister von NRW deutet ja schon an, dass man Erdogan über die Ditib in DE weiter gewähren lässt.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Passend zum Geist der neuen PAGs. Nach außen lässt es stets leicht: "Totalitäres Regime" schreien.

      Was wäre ohne diese äußeren Feindbilder? Große Teile der Bevölkerung könnten den Braten riechen. Ein 'Glück' für Merkel & Co., dass es Erdogan und all die anderen Gestalten gibt. In Zeiten der gespaltenen Zungen kann den Dieben Zugriff gewährt werden. Und zugleich "Haltet den Dieb" gerufen werden.

      Scheinheiligkeit pur, ganz in der Tradition der christlichen Kirchen.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Die bemerkenswerteste Meldung beim Deutschland-Besuch von Herrn Erdogan war für mich, dass türkische Sicherheitsbeamten in Köln versucht haben sollen, eine Straße zu sperren. Wozu sie in Deutschland nicht ermächtigt sind.

    Nicht der erste Vorfall dieser Art. Ich erinnere mich an das vergleichbare Auftreten in Washington.

    Was sagt uns das? Mir, dass Repräsentanten dieses Landes die Grenzen zwischen mein und dein nicht kennen. Mit solchen Gestalten sollen weitere ökonomische und politische Deals abgeschlossen werden?

    Ein schlechter Kalauer. Zeit für klare Kante!

  • Mir stößt dies alles auch sehr unangenehm auf. Zum einen wird an der Hausordnung des Bundestages festgehalten (damit wurde der Rauswurf vom Journalisten Adil Yiğitbegründet), zum anderen werden Geschäfte mit Dikatoren und Terroristen gemacht. Die Politiker aus der alten BRD schienen mir aus härterem Holz geschnitzt zu sein. Nach den Fehlschlägen hieß es nur noch:"Mit Terroristen wird nicht verhandelt!"

  • "Erdogan sollte sich wie zu Hause fühlen", sagte Frau Tolu. Das konnte er auch. Insbesondere bei der Pressekonferenz, als BKA Beamte einen Journalisten aus dem Raum zerrten. Und auch deshalb konnte er sich wie zu Hause fühlen, weil alle anderen anwesenden Journalisten tatenlos und protestlos zusahen. Diese Journalisten wären die besten Trauergäste bei der Beerdigung der Pressefreiheit.



    Schlimmer noch. Der aus dem Saal gezerrte Journalist hätte an der Pressekonferenz wieder teilnehmen können, was dann doch unterbunden wurde. Die spätere Begründung durch Regierungssprecher Seibert: Man hätte eine Konfrontation mit der türkischen Security befürchtet.

    Wie damals, dachte ich, beim Besuch des Schahs Reza Pahlavi in Berlin, als die persischen Leibwächter mit Holzlatten auf Demonstranten einschlugen und Benno Ohnesorg ermordet wurde.

    • @Rolf B.:

      „. . . , als die persischen Leibwächter mit Holzlatten auf Demonstranten einschlugen und Benno Ohnesorg ermordet wurde.“



      Damit nicht jemand auf die Idee kommt, B. Ohnesorg wäre von „persischen Leibwächter“ ermordet worden, hier eine Klarstellung: Der Mörder war ein gewisser K.-H. Kurras, ein Spion, den die StaSi in die Westberliner Polizei eingeschleust hatte. Seitens der DDR-Machthaber gab es selbstverständlich keine Entschuldigung, sondern die Schuld wurde auf die Westberliner Polizei geschoben, um so die Studentenunruhen in Westberlin zusätzlich zu befeuern.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Pfanni:

        Wer die Geschichte der 1968er im Allgemeinen und das Schicksal von Benno Ohnesorg im Besonderen kennt, braucht keine 'Klarstellung' dieser Art.

        Der Name Kurras ist bekannt. Auch seine Doppelrolle als Beamter der Westberliner Polizei u n d als Spitzel aus Ost-Berlin.

        Was die Entschuldigung angeht, wäre dies Aufgabe von Kurras selbst gewesen. Er hat - völlig egal in wessen Auftrag - Ohnesorg ermordet.

        Alles andere ist Augenauswischerei.

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Die Ermordung von Ohnesorg durch einen Stasi-Spitzel in der Berliner Polizei zeigt, wie Geheimdienste Konflikte anstacheln. Es wird über Bande gespielt. Die gegnerische Partei wird radikalisiert um danach jede Rechtfertigung zu haben, dagegen vorgehen zu können. Der Verfassungsschutz finanziert und unterstützt Neonazis und Terroristen - auch die RAF. Lohnend wären z.B. Spitzel in Assads Armee, die Chemiewaffen abwerfen. Das ist das schmutzige täglich Brot der Geheimdienste, welches auf keinen Fall ans Licht kommen soll. Seit die AfD Stimmen gewonnen hat, ist die linke Kritik an Merkel sehr leise geworden. Fingierte Terroranschläge dienen als Schub zur Abschaffung demokratischer Rechte.



          Bürger*innen macht dies ohnmächtig, denn wir wissen nicht, ob Greueltaten von einer Seite tatsächlich verübt wurden, oder ob sie ihr nur in die Schuhe geschoben werden sollten.

  • Erdogan darf kein Geld mehr aus der EU bekommen und Ausfallbürgschaften für Geschäfte mit der Türkei sollten gestrichen werden.