Mangelnde PCR-Tests in Deutschland: Von Österreich lernen
Eine effektives Corona-Management ist möglich. Die Bundesregierung und Länderchef*innen könnten einfach mal in Wien anrufen und fragen.
W ien macht Deutschland vor, wie vorausschauende Coronapolitik beim Testen aussehen kann. Wenn ich am Abend einen PCR-Test vorweisen muss, gehe ich morgens zur fünf Minuten entfernten Teststation, zeige meine elektronische Versicherungskarte und bin nach fünf Minuten wieder draußen. Nur zu Spitzenzeiten bilden sich kleine Schlangen. Um 17 Uhr kommt normalerweise das Testergebnis via SMS aufs Smartphone.
Wien ist Testweltmeister. Zwischen 400.000 und 500.000 PCR-Tests werden derzeit täglich verarbeitet. Bis zu 800.000 wären in 24 Stunden möglich. Vier Prozent sind derzeit positiv. Beliebt ist auch die Variante, den Test mit Selfie-Video zu dokumentieren und die Probe in einer Drogerie oder einem Supermarkt in eine Box zu werfen. Um 9 Uhr holt das Labor die Proben ab, das Resultat ist meist binnen zwölf Stunden da. Anderswo dauert es oft so lange, dass die 48-stündige Gültigkeit des Tests schon abgelaufen ist.
Was ist das Geheimnis der österreichischen Bundeshauptstadt? Die sozialliberale Stadtregierung unter Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat schon sehr früh auf flächendeckende Tests gesetzt. Schon bei den Antigentests im vergangenen Jahr wurden schnell effiziente Mechanismen entwickelt, die die Testkits unter das Volk brachten. Die Kosten von rund 6 Euro für einen PCR-Test inklusive Logistik übernimmt der Bund. Die beliebten Gurgeltests wickeln die Lifebrain-Labors ab, die mit rund 1.000 Mitarbeitern – darunter viele Migrantinnen – rund um die Uhr arbeiten. Kein anderer Anbieter kann in puncto Schnelligkeit und Zuverlässigkeit mithalten.
Ludwig praktiziert eine strenge Coronapolitik und nimmt dafür auch den Vorwurf der Spaßbremse in Kauf. Die Teststrategie, die unter dem Motto „Koste es, was es wolle“ stehen könnte, gehört zum Gesamtkonzept. Sie verringert die Dunkelziffer und ermöglicht einen relativ ungestörten Kultur- und Gastronomiebetrieb.
Wenn es Deutschland so schwer fällt, beim Testen und anderen Problemen in der Pandemie vorausschauend zu handeln, sollte Berlin einfach mal in Wien vorbeischauen und sich beraten lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf