Bundestagsdebatte zur Impfpflicht: Parteipolitischer Schlagabtausch

Mehrere Stunden debattierten die Abgeordneten über eine allgemeine Impfpflicht. Dabei ging es natürlich auch um Parteipolitik.

Karl Lauterbach nimmt seine Brille ab und sitzt im Deutschen Bundestag

Guter Zuhörer: Gesundheitsminister Karl Lauterbach während der Orientierungsdebatte im Bundestag Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz Bei dieser Debatte ist vieles anders. Zwischenfragen sind nicht erlaubt. Es gibt keine Gesetzesvorlage, die debattiert wird. Die Meinungsbildung ist für viele noch nicht abgeschlossen, heißt es.

Allerdings steht das schon im Widerspruch zu der forschen Ansage der SPD, dass das Gesetz zur Impfpflicht schon in drei Wochen im Bundestag debattiert werden soll. Diese Orientierungsdebatte ist ein Zwitter – eine Art demokratisches, offenes brainstorming und dann doch – Parteipolitik.

Den Sound gibt gleich zu Beginn der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), vor. Er mahnt eine bessere Datengrundlage an – eine Kritik, die er eigentlich an seinen CDU-Kollegen Jens Spahn adressieren müsste. Sorge hält „Boostern ohne Ende nicht für die Lösung“ – sagt aber nicht, was er oder die Union anstelle dessen will. Es gibt, so das von der Ampel vorgegebe Verfahren, Gruppenanträge.

Das Gros von SPD und Grünen ist für die allgemeine Impfpflicht, die FDP-Fraktion gegen die Impfpflicht und eine von Grünen und Liberalen unterstützter Antrag votiert für die Impfpflicht für über 50-Jährige. Die Union hat indes am Tag dieser Debatte entschlossen, als Fraktion eine Antrag einzubringen. Inhalt? Bislang unbekannt. Die Union will, auch wenn sie noch so viel weiß, auf jeden Fall Opposition sein.

Opposition kritisiert

Sorge wirft der Ampel vor, das Thema taktisch zu behandeln. Das kann man so sehen. Denn die Ampel hätte keine eigene Mehrheit für eine Impfpflicht, daher wählte Scholz den Weg der Gewissensfrage. Andrea Lindholz (CSU) und Fraktionsvize wirft der Bundesregierung vor, keinen Gesetzentwurf vorzulegen und „planlos und destaströs“ zu agieren. Sie habe keine Haltung zum Impfregister, betreibe Arbeitsverweigerung und „missachte die Opposition.“ Was man eben so sagt, wenn man die Regierung kritisiert.

Die Union macht genau das, was sie der Ampel vorwirft: taktieren. Wenn Machtpolitiker Machtpolitikern Machtpolitik vorwerfen, ist das nur bedingt erkenntnisfördernd. „Wir werden einen Kompromiss finden“, sagt Sorge. Ob mit „Wir“ das Parlament oder die Unionsfraktion gemeint ist, bleibt unklar. Die Union träumt offenbar davon, bei der Impfpflicht die gespaltene Ampel vorführen zu können.

Kirsten Kappert-Gonther, grüne Gesundheitspolitikerin, plädiert für eine allgemeine Impfpflicht. Im EU-Vergleich sei Deutschland bei der Impfquote nur Mittelmaß. Dabei, so die Bremerin, zeige Bremen, dass es anders geht, wenn sich der Staat richtig kümmert. Ein Argument, das auch Linksparteipolitiker betonen – in Bremen gibt es eine engagierte linke Gesundheitssenatorin.

Die Impfpflicht für Ältere hält Kappert-Gonther für unbrauchbar, weil dann die Impfwilligkeit von Jüngeren sinke. Auch Heike Baehrens (SPD) votiert, wie die SPD-Mehrheit, für eine auf drei Impfungen begrenzte Pflicht. „Stimmen Sie für die allgemeine Impfpflicht“ ruft sie ins halb besetze Plenum des Bundestages.

AfD wie immer

Die AfD poltert wie immer. Fraktionschefin Alice Weidel behauptet, dass die ganze Debatte schon ein Zivilisationsbruch sei – bei Historikern ist das ein Synonym für den Holocaust. Das ist auch angesichts der immer steilen AfD-Rhetorik ein bemerkenswerter Fehlgriff. Fraktionschef Tino Chrupalla findet, es werde beim Impfen „durchregiert.“ Angesichts des Durcheinanders in der Impfpflicht-Debatte ein bizarrer Vorwurf.

Das Meinungsbild in der Linksfraktion ist recht vielfältig. Matthias W. Birkwald argumentiert gegen die Impfpflicht. Bußgelder seien ja unsozial, weil sie Ärmere und Reiche gleichermaßen bezahlen müssten. „Die Impfpflicht ist eine autoritäre Illusion“. Zudem habe Ex-Kanzlerin Merkel versprochen, es werde sie nicht geben. Nach dieser Logik hätte man auch nicht aus der Atomkraft aussteigen dürfen.

Gregor Gysi hält die geringe Impfquote für einen Versagen der Regierung. Anderswo sei sie schließlich höher. Gysi zweifelt, das man elf Millionen Ungeimpfte so eines Besseren belehren könne. Ein bestes Argument gegen die Impfpflicht lautet: „Eine Pflicht ohne Sanktion ist keine Pflicht.“ Und man werde ja niemand deswegen einsperren. Seine Linkspartei-Kollegin Kathrin Vogler sieht das genau umgekehrt. Die Alternative zur Impfpflicht sei faktisch eine Durchseuchung, die aber angesichts der Opfer unethisch sei.

Wolfgang Kubicki (FDP) hält die Impfpflicht für falsch und plädiert dafür, die Gegner der Impfpflicht, die keineswegs alle Rechtsradikale oder Coronaleugner seien, nicht als unmoralische Parias zu behandeln. Da applaudiert die AfD von Herzen.

FDP-Justizminister Marko Buschmann ist einer der wenigen, die bekennen, noch unentschlossen zu sein. Er hofft auf wirksame Medikamente und dass die Variante, nur Ältere zu impfen, weniger Widerstand provoziere. Die Debatte, lobt er, sei „nicht von der Logik der Macht, sondern von der des Argumentes“ bestimmt. Das ist aber recht rosafarbene Deutung einer Debatte, bei der parteipolitischen Kalküle deutlich durchscheinen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.