Machtwechsel in Washington: Kampf der Traumatisierten
Nicht der Effekt ihres Handelns, sondern die emotionale Genugtuung treibt die Anhänger Trumps an. Was zählt, ist die Gruppenzugehörigkeit.
E ine Frage bewegt derzeit alle: Sind wir Trump nach seinem Abgang aus dem Weißen Haus nun wirklich los? Ist die Zeit für seine Spielart des Populismus abgelaufen? Nun, da er über keine präsidentielle PR-Maschine mehr verfügt, wird Trump uns wohl nicht mehr so oft auf den Wecker gehen. Aber er wird weiter als Anführer einer Gegenregierung mit Sitz in Mar-a-Lago wirken. Deren Tentakel reichen bis in den Kongress, und sie weiß bewaffnete Milizen hinter sich.
Trumps Einfluss und seine Sicht der Welt bleiben nur dann bedeutsam, wenn mächtige Republikaner wie Senator Mitch McConnell sie für nützlich halten – weil sie wollen, dass ihre Basis weiter für eine Politik stimmt, mit der sie sich letztlich schadet. Andererseits hängt die weitere Wirksamkeit von Trumps Weltsicht davon ab, ob sich seine AnhängerInnen noch mit ihr wohlfühlen – egal welche Politik dahintersteckt. In dieser Hinsicht kann man schon beunruhigt sein.
Laut der Washington Post glauben beinahe 70 Prozent der Republikaner, dass es bei der Wahl im November Betrug gegeben hat – obwohl republikanische Wahlbeamte die Auszählungen überprüft haben, obwohl diese in mehr als 60 Gerichtsverfahren bestätigt wurden, zweimal sogar durch den Supreme Court, und obwohl Wahlkontrolleure auf der nationalen Ebene die Abstimmung als „die sicherste in der amerikanischen Geschichte“ bezeichnet haben.
Noch stärker besorgt bin ich über die Zahl der AmerikanerInnen, die überzeugt sind, dass Trump ihre Interessen vertritt. Tatsächlich trifft das nur auf einen Sektor der Trump-AnhängerInnen zu: reiche Einzelpersonen und Unternehmen, die weniger Steuern zahlen wollen (was Trump 2017 durchgesetzt hat) und die Schutzbestimmungen für VerbraucherInnen, Erwerbstätige und die Umwelt aushebeln wollen.
ist Publizistin und Professorin in New York und Berlin. Sie schreibt und forscht über Religion, Politik und Kultur. Öffentliche Gastvorlesung zum Thema am 30.05.: „White Evangelicals & Right-wing Populism: HOW DID WE GET HERE?“, 18-20 Uhr in Berlin, Humboldt-Universität, Burgstr. 26, Raum 117 oder online über bettina.schoen@hu-berlin.de
Trump vertritt nur die Reichen
Dieser Sektor handelt seinen Interessen gemäß, besonders, da Trumps gelegentlich populistisch klingende Handelsrhetorik kaum Folgen für die im Welthandel tätigen Unternehmen hat. Das ist schlüssig, wenn auch gierig; das Gemeinwohl und die von allen genutzte Infrastruktur bleibt unberücksichtigt.
Trump und die Politik der Republikaner zu unterstützen ist dann wenig sinnvoll, wenn man zur Mittelschicht und zur Arbeiterschaft gehört, deren Infrastruktur (Straßen, Internetzugang, Gesundheitsversorgung, Schulen und Berufsbildung, Luft- und Wasserqualität) durch Trumps Steuer- und Deregulierungspolitik Schaden genommen hat. Der Glaube an Trump bleibt trotzdem bei vielen bestehen. Oder genauer:
Das Bedürfnis, an Trump zu glauben, bleibt bestehen. Welchen Glauben braucht man und warum? Das kann man auf zweierlei Weise betrachten: Zum einen gibt es die menschliche Fähigkeit, zu hoffen, zu glauben, dass man den Übeln, die uns begegnen, wirksam entgegentreten kann. Ja, die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ist deutlich gewachsen, wie uns das Economic Policy Institute sagt.
Und in der Zeitschrift Forbes kann man lesen, dass große Bereiche der Wirtschaft durch technologischen Wandel und die Steigerung der Produktivität ins Aus gedrängt wurden. Einige Regionen unseres Landes wurden zum „Rust Belt“. In unserer von Wissen und Daten getriebenen Wirtschaft verengt sich der Horizont für Menschen ohne College-Abschluss immer mehr. Aber Hoffnungslosigkeit ist eine Sackgasse und führt für immer mehr Menschen zu Abhängigkeit von Drogen oder Alkohol.
Die Leute wollen an Trump glauben
„Todesursache Verzweiflung“ haben dies Anne Case und Angus Deaton im vergangenen Jahr in ihrem New-York-Times-Bestseller genannt. Menschen müssen daran glauben können, dass sie ihre eigenen Lebensumstände beeinflussen und verbessern können.
Um in einer schwierigen Lage effektiv handeln zu können – sei sie durch wirtschaftliche Not, raschen demografischen Wandel oder Veränderungen im Lebensstil bedingt –, muss man erkennen können, was schiefgelaufen ist, gegen wen man sich wehren muss und wer einem zur Seite steht. Falls dies gelingt, wachsen Zugehörigkeitsgefühl und Selbstbewusstsein, und man findet Gleichgesinnte, die einem Unterstützung leisten.
Dies gilt für Unterstützer Trumps genauso wie für Fans von Bernie Sanders oder der linken Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez. Doch es funktioniert auch andersherum: Zur Beseitigung wirtschaftlicher oder anderer gesellschaftlicher Missstände befürworten Trumps AnhängerInnen Maßnahmen, die sich gar nicht dafür eignen. Allein die Überzeugung, dass man mit diesem oder jenem Mittel Probleme lösen könnte, reicht ja nicht aus. Die schwierige Lage bleibt schwierig.
Aber der emotionale Zugewinn, der daraus resultiert, in einer Gemeinschaft aktiv geworden zu sein, stellt sich dennoch ein. Im Ergebnis streiten Leute dann für unwirksame Maßnahmen, weil es ihnen emotionale Genugtuung verschafft. Je weiter die Unterstützungsnetzwerke und das emotionale Wohlgefühl wachsen, desto überzeugter wird man von der „Lösung“, die diese Netzwerke zusammenhalten.
Moderne Hexenjagd
Dabei ist es wichtig, dass die angebotene „Lösung“ der Probleme auch sehr lange Zeit weiterverfolgt werden kann, sofern daraus psychologischer Nutzen entsteht. Jahrhundertelang wurden unzählige Hexen verbrannt, doch kein einziges Problem des mittelalterlichen Dorflebens wurde so gelöst. Heute wird auf Twitter über Hexen getuschelt.
Der aus Frankreich stammende Anthropologe René Girard hat dies in Büchern wie „Der Sündenbock“ oder „Le Sacrifice“ den „Sündenbock-Mechanismus“ genannt. Wenn Knappheit und Wettbewerb gesellschaftliche Spannungen produzieren, wird ein Ziel ins Visier genommen, das angeblich Urheber des Problems ist.
Wenn sich die Mehrheit darauf verständigt, diesen Sündenbock zu töten, lösen sich die Spannungen zunächst auf, vor allem aber fühlen sich die Angreifer als Gruppe, die ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Tatkraft eint. Die Psychologin Carol Gilligan und ihre Studentin Naomi Snyder erläutern in ihrem Buch „Why Does Patriarchy Persist?“, dass die erste emotionale Verteidigung bei Verlust oder Bedrängnis darin besteht, auf Abstand zur Außenwelt zu gehen, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen.
Dies geschieht oft in persönlichen Beziehungen – wenn sie an dich nicht herankommen, können sie dir auch nichts anhaben –, aber auch bei wirtschaftlichen oder politischen Rückschlägen. Wer Schwierigkeiten oder Traumata verarbeiten muss, kann anderen kein Vertrauen schenken und keine Nähe herstellen. Dies ist nicht nur in Kriegen oder Hungersnöten der Fall, sondern auch bei Verlust des Arbeitsplatzes, raschem Wandel gesellschaftlicher oder Geschlechterrollen sowie demografischen Veränderungen.
Also immer wenn die eigene gewohnte Lebensweise und die Erwartungen an die Mitmenschen infrage gestellt werden. Die Fähigkeit, Beziehungen wieder anzuknüpfen, Sympathie und Freundschaft zu empfinden und anderen zu vertrauen, ist ein Prozess der Heilung. Er kann aber nur stattfinden, wenn der „Ich gegen sie“-Schutzmechanismus nicht durch ein „Wir gegen sie“ ersetzt wird: Meine Gruppe gegen die der „anderen“. Der Reiz ist, dass damit beide Formen des emotionalen Zugewinns locken:
Etwas ausrichten zu können, ist Illusion
Man fühlt sich effektiv (wir lösen unsere Probleme, indem wir „sie“ angreifen) und einer Gruppe zugehörig (wir handeln gemeinsam, wenn wir „sie“ angreifen). Man weiß, wer „wir“ sind, wer „sie“ sind, wer „uns“ Unrecht getan hat und gegen wen „wir“ uns zu Recht mit aller Kraft zur Wehr setzen. „Sie“ anzugreifen als „Lösung“ allgegenwärtiger Probleme muss nicht einmal langfristig von Erfolg gekrönt sein, es reicht völlig, wenn der psychologische Gewinn durch die Zusammenarbeit beim Angriff fühlbar bleibt.
Dies ist eine der Möglichkeiten, wie Psychologie Politik beeinflusst. „Große Gruppen regredieren genauso wie Individuen, wenn sie gemeinsam unter Druck geraten“, schreibt der Psychiater Vamik Volkan in Hyperlink:=„Blutsgrenzen“. „Sie nehmen ihre Umgebung als gefährlicher wahr, als sie ist, und andere als mächtiger als sie selbst.“ Und er ergänzt: „Je mehr Stress eine Situation erzeugt, desto argwöhnischer betrachten sich benachbarte Gruppen.“
Diese psychologisch-politische Situation kann lange Zeit überdauern. Jeanne Knutson ist die Gründerin der Internationalen Gesellschaft für Politische Psychologie. Verletztheitsgefühle und die Angst vor zukünftigen Verletzungen halten lange an, schreibt sie ebenfalls in „Blutsgrenzen“, und sie erfordern den Balsam, den das Gefühl der Gemeinschaft und des Erfolgs bringt. „Man kann die Identität eines Opfers nicht auslöschen.
Die ersten Schläge erzeugen permanente Wachsamkeit, und man macht sich auf die nächste Attacke des nächsten Angreifers gefasst. Selbst falls der – sei es ein Stamm, eine ethnische Gruppe oder ein Land – seine Macht oder die glaubwürdige Fähigkeit zum Angriff verliert, bleibt die Angst des Opfers bestehen.“ Politische Gewalt nimmt ihren Ausgang, so Knutson, mit der Überzeugung, dass „allein fortgesetzte Anstrengungen, sich oder seine Gruppe angemessen zu verteidigen, die eigene Bedrohung verringern“.
Trumps AnhängerInnen sind überzeugt, die „Schuldigen“ identifiziert zu haben – also den Staatsapparat/„Deep State“, der von lügnerischen und elitären Medien dabei unterstützt wird, es Schwarzen, neu Eingewanderten und bisweilen auch Juden zu ermöglichen, „ihre“ Jobs, ihre Region und ihre Lebensweise zu zerstören.
Dies erlaubt ihnen, sich als Gemeinschaft zu empfinden, ihr Selbstwertgefühl und die Illusion des Erfolgs aufzubauen – selbst wenn die Bedrohung ihres wirtschaftlichen Wohlergehens und ihrer Lebensweise unverändert besteht. Es kann sein, dass Trump diese Denkweise weiter verkörpern wird – oder er gerät ins Vergessen. Aber solange es keine Alternativen zu den psychologischen Vorteilen des Trumpismus gibt, werden viele von ihm nicht ablassen.
Joe Biden, Kamala Harris und die Demokraten wissen, dass sie die Wirtschaft in Gang bringen, die Gesundheitsversorgung, das Erziehungswesen und die Infrastruktur verbessern müssen. Aber ihr Auftrag ist auch, Alternativen zu der verfänglichen Denkstruktur des „Wir gegen sie“ zu entwickeln.
Übersetzung aus dem Englischen von Stefan Schaaf
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