piwik no script img

Luxus und NotwendigkeitKrise kratzt an Überzeugungen

Die Regierung hat mit Lädenschließungen in der Corona-Krise gezeigt: Was brauchen wir – und was ist nur nett? Den Unterschied sollten wir uns merken.

Von der Bundesregierung als systemrelevant eingestuft: das Handwerk der Friseure Foto: Christian Mang

A uf unseren Wandertouren gilt die Devise: „Wir suchen nur das Nötigste raus – und nehmen davon dann die Hälfte mit.“ Der Vorteil: Man schleppt nicht so viel mit sich herum. Und man merkt, wie wenig man eigentlich braucht. Ein ähnliches Downsizing zeigt auch die Entscheidung von Bund und Ländern am Beginn der Woche, welche Branchen in der Corona-Krise schließen müssen und was offen bleiben muss: Das ist der Unterschied zwischen Luxus und Notwendigkeit. Was ist uns wirklich wichtig?

Diese Triage am öffentlichen Leben ist vernünftig und kaum umstritten. Das staatliche Siegel „systemrelevant“ bekommen jetzt Energie- und Wasserversorgung, Polizei, Feuerwehr, jede Art von medizinischer Hilfe. Dann zum Beispiel Supermärkte, Banken, Tankstellen, Zeitungskioske, Reinigungen, Tierbedarfsmärkte (!), Getränkemärkte (!) und Friseure (?). Ohne die bricht das Land zusammen. Vergessen wurden nur die Klopapierproduzenten.

Noch interessanter ist, was wir laut dieser offiziellen Liste nicht brauchen: Schulen, Kitas, Kneipen, Restaurants, Sportplätze, Spielplätze, Bordelle, Gotteshäuser, Theater und Museen. Motto: „Ist das Kunst? Und kann das weg?“ Dazu kommt: Auch die deutschen Autokonzerne machen dicht, die Fluggesellschaften, der Tourismus. Alles plötzlich nicht mehr so wichtig wie eben gerade noch.

Es fällt auf: Systemrelevante Arbeit wird oft lausig bezahlt: Die Bedingungen in den Krankenhäusern und Pflegeheimen sind manchmal prekär. Feuerwehrleute und PolizistInnen werden eher selten reich. Wer im Supermarkt kassiert oder Regale auffüllt, bekommt ein Extra-Lob der Kanzlerin, aber oft nur Mindestlohn. Wer Haare schneidet oder Spargel erntet, oft nicht mal das.

Es macht einen Unterschied, ob wir in der Krise kurz- oder mittelfristig auf etwas verzichten oder es gänzlich abschaffen. Aber auch wenn es hart auf hart kommt, sollten wir Kultur nicht als Gedöns begreifen. Ohne sie wird das Leben zur Legebatterie. Und auch ohne VW müssen die Steuern erst mal erwirtschaftet werden, von denen die Subventionen für Oper und Theater bezahlt werden.

Welchen Luxus gönnen wir uns?

Aber Langeweile in der Quarantäne könnte ja auch zum Nachdenken zwingen: Welchen Luxus gönnen wir uns? Die Hände öfter mal zu waschen, ist eine gute Idee, auch wenn gerade nicht die Welt untergeht. Dem Nachbarn was vom Bäcker mitbringen könnte genauso richtig sein wie Pflegeberufe vernünftig zu bezahlen. Und vielleicht ist es in Zukunft ja weniger systemrelevant, was Fußball-Millionäre so meinen, ob die Bestellung im Restaurant gleich kommt oder ob es für jedes Brötchen einen Kassenbon geben muss.

Bei mir kratzt die Krise jedenfalls schon an den Überzeugungen. Seit alle Leute husten und niesen und als potenzielle Virenschleudern unterwegs sind, ertappe ich mich im Supermarkt bei dem Gedanken: Vielleicht ist die Idee nicht so schlecht, Brokkoli und Äpfel in Plastikfolie zu verpacken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Äpfel und Brokkoli kann man, genau wie die eigenen Hände, auch einfach Waschen, bevor man drauf rumlutscht.



    Denn Plastik bleibt ein Problem.

  • Sprachs und grinste mit Designerbrille und Anzug vom Portraitfoto :).

  • Ah, jetzt kommen die Selbstreflektierten Nachdenkenden zu schlauen Ergüssen.



    Wo wären denn die Balkonsinger, als die Kaufland Frauen mit Verdi um bessere Bezahlung kämpften, um nicht im Mindestlohn zu versauern?



    Wo waren die mit von der Werbeagentur gestalteten und bezahlten "Danke" Einschleimerplakat Aufhänger, als die Pflegekräfte sich fragten warum sie nicht streiken können? Weil sie sinniger Weise zu 2/3 bei den Kirchen arbeiten müssen wo das nicht geht und bei Zuwiderhandlung einen dann 2/3 der möglichen Arbeitgeber nicht mehr offen stehen?



    Wo sind die, die jetzt rührselig den Systemrelevanten danken, um ihren eigenen Twitter # relevant zu machen bei der Frage, warum ein altgedienter Rettungssanitäter nicht ebenso viel verdient wie einer der an einer Drehbank irgend ein beschissenes Teil frickelt, also IGMTarif?



    Eine Woche nach dem letzten Corona Special heisst es dann wieder #Hauptsachebilligundmiregal-fuckyousystemrelevant

  • "Seit alle Leute husten und niesen und als potenzielle Virenschleudern unterwegs sind, ertappe ich mich im Supermarkt bei dem Gedanken: Vielleicht ist die Idee nicht so schlecht, Brokkoli und Äpfel in Plastikfolie zu verpacken."

    Ironie bitte als solche kennzeichnen (vgl. Poe's Law). Oder alternativ vielleicht Äpfel und Brokkoli einfach mal abspülen? Da isst Herr Pötter dann auch weniger Pestizide mit.

  • In der Aufzählung der systemrelevanten - weil noch nicht geschlossenen Bereiche - fehlen offenkundigerweise die Lieferdienste.

    In Zeiten des Home-Office fällt einem erst mal auf, wie häufig die Amazon Boten hier ausliefern. Da ich in einem Wohngebiet mit Einfamilienhäusern in einer Straße mit Wendekreis wohne handelt es sich auch um keinen Durchgangverkehr. Bis zu acht mal täglich kommt hier eines dieser typischen Botenfahrzeuge durch.

    Demnach müsste Herr Pötter nach seiner Logik in letzter Konsequenz Amazon als ja als systemrelevant einschätzen.

    Bei der Bewertung wäre ich im übrigen nicht zu voreilig. Warten wir doch erst mal Ostern ab.

  • „ertappe ich mich im Supermarkt bei dem Gedanken: Vielleicht ist die Idee nicht so schlecht, Brokkoli und Äpfel in Plastikfolie zu verpacken.“

    Nach der Krise wird es die Umweltbewegung schwer haben, den weiteren Verzicht zu fordern. Jetzt sehen alle, was es bedeutet, wenn die Industrie den Shutdown macht

  • Fragt sich nur, wer das viele Geld dann erwirtschaftet, von denen Herr Pötter dann Supermarktmitarbeiter und Pflegende besser bezahlen will.