Linksparteitag in Halle: Der große Knall bleibt vorerst aus
Auf ihrem Bundesparteitag in Halle hat sich die Linke nach langem Ringen hinter den Kulissen auf einen Kompromiss im Nahost-Streit verständigt.
Und doch war die Stimmung am Freitagnachmittag nicht panisch, sondern zunächst ungewöhnlich zuversichtlich. „In der Vergangenheit haben wir uns immer so beharkt, das ist unser Problem“, meint eine Delegierte aus Nordrhein-Westfalen. Das sei jetzt nach der Abspaltung von Sahra Wagenknecht und ihres Anhangs anders.
Die Abspaltung des BSW hätte nicht verhindert werden können, hatte zuvor die scheidende Parteivorsitzende Janine Wissler in ihrer Abschiedsrede vor den 470 anwesenden Delegierten gesagt. „Es musste diese Trennung geben“, so Wissler. Es sei „richtig, dass wir nicht mehr in einer Partei sind“. Denn eine linke Partei dürfe „sich niemals einem rechten Zeitgeist anpassen und nach unten treten – auch wenn der Gegenwind noch so stark ist“. Die dramatische Rechtsverschiebung derzeit fühle sich an wie ein „AfD-Look-Alike-Contest“.
Die Linke müsse eine Partei der klaren Haltung in Fragen von Asyl und Menschenrechten sein, sich der Rechtsentwicklung entgegenstellen und sich dem Aufrüstungskurs verweigern, so Wissler. Wie am Donnerstag bekannt geworden war, unterstützt sie als erste Parteivorsitzende die Initiative für ein AfD-Verbotsverfahren im Bundestag.
Die 43-jährige Hessin steht seit 2021 der Partei vor, seit 2022 zusammen mit dem 49-jährigen Berliner EU-Abgeordneten Martin Schirdewan. Beide treten nicht erneut zur Wahl an. „Es ist nicht immer leicht und auch nicht nur eine Freude, Parteivorsitzende der Linken zu sein, aber es war mir immer eine Ehre“, sagte Wissler am Ende ihrer Rede.
Mit stehendem Applaus wurde sie verabschiedet. Ihr und Schirdewan werden nun voraussichtlich die 35-jährige Berliner Publizistin Ines Schwerdtner und der 63-jährige Hamburger Ex-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken nachfolgen. Am frühen Samstagnachmittag stellen sich die beiden den Delegierten zur Wahl.
Nahost-Debatte endet mit Kompromiss
Die anschließende Generaldebatte am Freitag war eine Aneinanderreihung aktueller linker Diskussionen – manchmal versöhnlich, manchmal fragend, manchmal wütend. Themen waren die Rente, der Kampf gegen steigende Mieten, die Rechtsverschiebung, das Desaster bei den letzten Landtagswahlen und immer wieder der Krieg. Jener in der Ukraine und vor allem der in Gaza, Israel und Libanon.
Erst am vergangenen Wochenende führte im Berliner Landesverband eine Debatte über linken Antisemitismus zum Eklat. Nicht unberechtigt war die Angst groß, dass der Streit um den richtigen Umgang mit dem Nahostkonflikt auch den Bundesparteitag sprengen könnte. Auf den Fluren und in Hinterzimmern wurde fieberhaft um eine Lösung gerungen, mit der so viele wie möglich in der Partei leben können. Und tatsächlich gelang am späten Freitagabend das Wunder.
Der designierte Vorsitzende Jan van Aken präsentierte einen Kompromissantrag, in dem der „menschenverachtende Terror der Hamas“ ebenso angeprangert wird wie „Völkerrechtsverbrechen“ der israelischen Armee. Israel und Palästina hätten „ein Recht auf Selbstbestimmung und auf Selbstverteidigung“. Das rechtfertige aber niemals Terror und Kriegsverbrechen.
Die Kernbotschaft: „Unser Mitgefühl und unsere Solidarität gelten den israelischen, palästinensischen und libanesischen Opfern.“ Eine weitere Kernbotschaft: „Als Linke stehen wir gemeinsam und entschieden gegen jede Form des Antisemitismus und Rassismus – unabhängig davon, von welcher politischen und weltanschaulichen Richtung er ausgeht.“
„Wir haben damit den Nahostkonflikt nicht gelöst“, sagte van Aken in der Debatte. Aber zumindest konnte eine gefährliche Bombe für den Parteitag entschärft werden. „Wir sind als Partei wirklich einen großen Schritt weitergekommen“, zeigte er sich zufrieden. Der Antrag wurde mit nur wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen beschlossen. Erleichterung war in vielen Gesichtern zu sehen, als um 22:36 Uhr der Themenkomplex ohne Knall abgeschlossen war.
Erste Highlights des Parteitages
Eindringlich gegen Antisemitismus und Rassismus hatte sich bereits am frühen Freitagabend Ismet Tekin in einer berührenden Gastrede ausgesprochen, einer der Überlebenden des antisemitischen Anschlags von Halle vor fünf Jahren. „Egal woher wir kommen, wir alle haben die Pflicht, für die Menschlichkeit einzustehen“, sagte er unter großem Beifall. „Wir sind alle dafür verantwortlich.“
Ein Highlight am Freitagnachmittag war die Ankunft Bodo Ramelows, des ersten und einzigen linken Ministerpräsidenten. Er war direkt von einer Bundesratssitzung aus Berlin angereist. „Ich wünsche uns die notwendige Kraft, uns neu zu sortieren“, sagte Thüringens Nochregierungschef in seiner 18-minütigen Rede.
Es gehe ihm „auf die Ketten, wie wir uns mit uns selber beschäftigen“. Er habe auch „keine Lust mehr, für jeden Depp, der auf X unterwegs ist, den Kopf hinzuhalten“. Da müssten klare Grenzen gezogen werden, forderte Ramelow. Trotzdem sei er „froh ein Linker zu sein“ und „stolz darauf, mit erhobenen Haupt in dieser Partei zu sein“. Die Delegierten hörten es gerne.
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