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Linke im Wahlkampf„Es ist wie ein Fiebertraum“

Sich aufs Soziale zu fokussieren, habe für die Linke funktioniert, sagt Co-Parteichefin Ines Schwerdtner. „Koalitionsgeplänkel“ brauche sie nicht.

Ines Schwerdtner Foto: Jens Gyarmaty
Pascal Beucker
Interview von Pascal Beucker

taz: Frau Schwerdtner, Sie sind seit Herbst vergangenen Jahres Parteivorsitzende der Linken. Haben Sie seitdem etwas über Politik gelernt, was Sie vorher nicht wussten?

Im Interview: Ines ­Schwerdtner

Die 35-Jährige wurde im sächsischen Werdau geboren, wuchs in Hamburg auf und studierte in Berlin sowie in Frankfurt am Main. Von 2020 bis 2023 war sie Chefredakteurin des von ihr mitgegründeten Politmagazins Jacobin. Seit Oktober 2024 ist sie Vorsitzende der Linkspartei, zusammen mit Jan van Aken.

Ines Schwerdtner: Ich bin ein bisschen demütiger geworden. Wenn man jeden Tag an Haustüren klingelt oder am Wahlkampfstand steht, merkt man wirklich, was für eine Herausforderung es ist, Menschen wieder für linke Politik zu begeistern.

taz: Aber schaut man sich die Umfragen an, hätte es für Sie auch schlechter laufen können, oder?

Schwerdtner: Das stimmt. Aber es war und ist ein ganz schöner Ritt. Seit Anfang des Jahres ist es wie ein Fiebertraum – im positiven Sinn. Da begann endlich die gute Stimmung in der Partei nach draußen zu schwappen. Es hat wirklich funktioniert, was Jan van Aken und ich uns im Oktober bei unserem Amtsantritt überlegt haben: nämlich konsequent aufs Soziale zu fokussieren. Wobei da natürlich auch ein bisschen Glück dabei war. Offenkundig haben wir eine Stimmung bei vielen getroffen, den Rechtsruck in der Gesellschaft und auch im Parlament nicht einfach kampflos hinnehmen zu wollen.

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taz: Die FAZ warnt ihre Le­se­r:in­nen davor, dass bei der Bundestagswahl SPD, Grüne, BSW und die Linken zusammen eine Mehrheit im Parlament bekommen könnten. Und dann könnte Olaf Scholz zu dem „Husarenstück“ bereit sein, sich mittels solch einer Koalition eine Kanzlermehrheit zu organisieren. Wären auch Sie dazu bereit?

Schwerdtner: Das ist außerhalb meiner Vorstellungskraft. Die Leute, die gerade Wahlkampf für Die Linke machen, machen das nicht für irgendwelche Koalitionen, sondern für ganz bestimmte Forderungen wie für einen Mietendeckel und für günstigere Lebenshaltungskosten. Und weil wir verlässlich antifaschistisch sind. Darum geht es aktuell.

taz: Wie fühlt es sich an, als bereits totgesagte Partei plötzlich wieder Koalitionsfragen gestellt zu bekommen?

Schwerdtner: Das finde ich witzig, beschäftigt mich ansonsten aber kaum. Wir meinen es ernst, wenn wir sagen: Andere wollen regieren – wir wollen verändern! Und: Wir sind die Brandmauer! Das bedeutet, dass wir uns verweigern, auf Kosten von Menschen Politik zu machen. Wir halten als einzige Partei konsequent dagegen, wenn zum Beispiel in Talkshows gegen Bürgergeldempfänger oder Geflüchtete gehetzt wird. Während SPD und Grüne darum kämpfen, wer von ihnen mit Friedrich Merz regieren darf, verteidigen wir das Asylrecht. Da brauche ich doch jetzt kein Koalitionsgeplänkel.

taz: Anders als Ihr Co-Vorsitzender Jan van Aken gehörten Sie zu jenen, die gerne die Abspaltung des „linkskonservativen“ Flügels um Sahra Wagenknecht verhindert hätten. Sehen Sie das immer noch so?

Schwerdtner: Weil eine Spaltung immer erst einmal schwächt. Spätestens seit der Abstimmung des BSW mit der AfD im Bundestag dürfte aber allen klar sein, dass die Abspaltung von denjenigen, die da mitgestimmt haben, richtig war.

taz: Die Linkspartei erfreut sich derzeit eines bemerkenswerten Zulaufs und ist inzwischen auf mehr als 81.000 Mitglieder angewachsen. Denken Sie, dass das möglich gewesen wäre, wenn Wagenknecht und ihr Anhang noch in Ihrer Partei wären?

Schwerdtner: Nein.

taz: Jan van Aken bezeichnet das BSW als Kreml-Partei. Tun Sie das auch?

Schwerdtner: Na ja, ich sage das seltener als er. Das liegt daran, dass ich nicht glaube, dass das zur Charakterisierung des BSW den Kern trifft. Für mich ist das Zentrale, dass es sich um eine autoritär geführte Ein-Personen-Partei handelt, die mit Demokratie nichts am Hut hat und deren Gründungskreis seinen Klassenstandpunkt verlassen hat. Dass das BSW ein unkritisches Verhältnis zu Putin und wenig Empathie für die Menschen in der Ukraine hat, kommt dann noch dazu.

taz: Haben Sie eine Idee, was Sie mit den vielen neuen Mitgliedern anfangen wollen? Der Durchschnitt der Neuen ist um die 28 Jahre alt, mehr als die Hälfte ist weiblich, viele akademisch. Das dürfte doch für etliche Ihrer Landesverbände vor allem im Osten ein Kulturschock sein.

Schwerdtner: Das Tolle ist, dass die sofort in den Wahlkampf einsteigen. Alt- und Neumitglieder lernen sich dadurch in der Praxis kennen. Die Älteren nehmen die Begeisterung der Neuen auf und geben ihre Erfahrung weiter. Ich habe den Eindruck, dass sich das gerade eigentlich sehr gut gegenseitig so befruchtet. Natürlich machen wir uns Gedanken darüber, wie es nach dem Wahltag weitergeht. Wie überführen wir die jetzige Energie in eine organisierte Struktur, die auch jenseits des Wahlkampfs funktioniert? Das ist in der Tat eine Mammutaufgabe.

taz: Parteien sind ja auch immer Jahrmärkte der Eitelkeiten. Wie sehr wurmt es Sie eigentlich, jetzt so im Schatten der Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek zu stehen?

Schwerdtner: Gar nicht. Ich glaube, wir haben eine nahezu ideale Arbeitsteilung gefunden. Es ist gut, dass Sören Pellmann und ich das Groundgame machen und darum kämpfen, unsere Direktmandate in Leipzig und Lichtenberg zu gewinnen. Jan van Aken macht in den Talkshows die politische Konkurrenz fertig und Heidi Reichinnek ist die Queen im Bundestag und auf TikTok. Dazu kommen noch die drei „Silberlocken“, also Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch. Dass eine solche Konstellation funktioniert, hätte ich mir auch nicht zu träumen gewagt. Aber es klappt.

taz: Ihr Wahlkreis in Berlin-Lichtenberg hat eine einzigartige Besonderheit: Seit der Wiedervereinigung wurde er ausschließlich von Linken-Politikerinnen gewonnen, erst von Christa Luft und dann von Gesine Lötzsch. Jetzt gilt die AfD-Politikerin Beatrix von Storch als Favoritin. Ist das nicht verdammt bitter für Sie?

Schwerdtner: In der politischen Erbfolge von Christa Luft und Gesine Lötzsch zu stehen, empfinde ich als eine große Ehre. Ich werde dem rechten Hochadel aus dem Westen hier nicht einfach einen Ostbezirk wie Lichtenberg mit einer solchen linken Tradition überlassen. Und mit mir kämpfen gerade viele an Tausenden Haustüren darum, dass das nicht geschieht. Da sind auch viele Nichtmitglieder dabei, die sagen: Wir müssen Beatrix von Storch verhindern!

Ines Schwerdtner in der Parteizentrale der Linken am 11. Februar Foto: Jens Gyarmaty

taz: Sie werben damit, dass Sie und ihr Co-Vorsitzender Jan von Aken freiwillig nur das Durchschnittseinkommen eines Arbeitnehmers in Deutschland von 2.850 Euro netto im Monat beziehen würden. Das sollte Ihrer Erachtens Vorbildcharakter haben. Haben Sie darüber eigentlich schon mal mit den drei „Silberlocken“ gesprochen?

Schwerdtner: Ja, und auch mit vielen anderen. Ich spüre da gerade wirklich Bewegung in der Partei. Wir haben ab der nächsten Legislatur eine ganz neue Fraktion, der auch die „Silberlocken“ angehören werden. Wenn die Drei mitmachen, freue ich mich. Aber es werden ansonsten auch genug andere freiwillig auf ein Durchschnittseinkommen beschränken. Schon jetzt spenden die Linken-Abgeordneten übrigens viel.

taz: Den Umfragen nach hat die Linkspartei inzwischen eine gute Chance, wieder in den Bundestag einzuziehen. Sicher ist das aber noch nicht. Haben Sie einen Plan B für den Fall, dass es doch nicht klappt?

Schwerdtner: Nun ja, unser Plan A ist, möglichst deutlich die Fünfprozenthürde zu überwinden. Plan B ist, in den Wahlkreisen mindestens drei Grundmandate zu gewinnen – unser Sicherheitsgurt für den Wiedereinzug in den Bundestag. Das war von Anfang an unsere Doppelstrategie. Sowohl für Plan A als auch für Plan B sieht es sehr gut aus.

taz: Egal wie die Wahl ausgeht, so haben Sie angekündigt, soll es eine programmatische Erneuerung der Linken geben. Was muss sich darunter vorzustellen?

Schwerdtner: Unser Grundsatzprogramm stammt aus dem Jahr 2011. Ich finde es in wesentlichen Teilen immer noch verblüffend gut und richtig. Wir müssen also nicht alles über Bord werfen. Aber die Welt hat sich seitdem weiterbewegt. Um nur drei Punkte zu nennen: Es gibt eine andere Blockkonfrontation, die Klimakatastrophe stellt uns vor neue Realitäten, die Transformationsprozesse der Wirtschaft haben einen anderen Stand als noch vor mehr als einem Jahrzehnt. Und nicht zuletzt hat sich unsere Partei stark verändert. Bei mehreren zehntausend Eintritten im vergangenen und vor allem in diesem Jahr sind wir inzwischen praktisch eine neue Partei. Ich finde, dass sich das auch in einem neuen Grundsatzprogramm widerspiegeln sollte. Das streben wir bis Ende 2027 an.

taz: Sie haben Ihrer Partei „revolutionäre Freundlichkeit“ verordnet. Fällt Ihnen das nicht selbst manchmal schwer?

Schwerdtner: Ja, sicher. Insbesondere auf Podien mit den politischen Konkurrenten ist das nicht immer leicht. Das gilt auch an manchen Haustüren oder am Infostand, wenn da Leute sagen: Die Linken finde ich scheiße, die habe ich sowieso schon immer gehasst. Aber gerade dann halte ich es für wichtig, freundlich zu bleiben. Dann sage ich trotzdem: Na gut, Sie können aber gerne trotzdem zu meiner Sozialsprechstunde kommen, wir haben übrigens einen Mietwucherrechner und einen Heizkostenrechner, können Sie ja mal prüfen. Und dann wünsche ich einen schönen Tag. Dass überrascht viele enorm. Und vielleicht sorgt es bei dem einen oder der anderen für ein Nachdenken. Damit ist doch schon etwas gewonnen.

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