Lieferdienste für Lebensmittel: Rückkehr zum Planet der Affen
Die Dienstbotifizierung macht vor nichts halt, auch nicht vorm Supermarkt. Lieferdienste wie „Gorillas“ sind der letzte Schrei des Start-up-Irrsinns.
L ange standen die zwei Geschäftsräume in einer mäßig frequentierten Kölner Straßenzeile leer. In dem einen hatte sich einst eine Postfiliale befunden, nun bietet hier ein Mietbohrmaschinendienst seine Durchlöcherungen an; von dem anderen surren seit ein paar Monaten im Minutentakt Menschen in der Blüte ihres Lebens auf E-Bikes und mit pinken Lieferquadern auf dem Rücken in die Umgebung.
Sie tragen kein Restaurantessen auf ihren urbanen Schultern, sondern Lebensmittel. Onlinesupermärkte sind das neue große Ding der Start-up-Szene. Die pinke Abteilung gehört zu „Flink“, dem frischen Abklatsch vom kaum älteren Primus „Gorillas“, der bald eine Milliarde Euro an Bumskapital wert sein soll. Ausbeutung sells, wie man in der Branche sagt.
Früher haben die Leute Holz gehackt und ihre Butter selbst gemolken. Sie sind vor wilden Tieren um ihr Leben gerannt. Heute sendet „Gorillas“ auf Plakaten einen „Gruß an alle, die morgens um 8 h Bio-Gurken aus der Region bestellen“. Und leitet selbst die genervtestmöglichen Reaktionen in Werbesprechbahnen: Haben die noch alle Pralinen in der Packung?
Wohin das alles führt, ist eine gute und sogar ernst gemeinte Frage. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass sich Akademiker:innenpärchen eine sprechende Lautsprecherbox ins Wohnzimmer stellen? Folgt auf „Alexa“ bald „Rettich“, der das leider nicht mitlieferbare Supermarktfeeling ganz bequem ins Eigenheim trägt? Hängen sich Hipster bald Einkaufswagen an die Wand, voll retro?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Dienstbotifizierung macht vor nichts halt. Das beschränkt sich übrigens nicht nur auf urbane Sphären; bald, dafür sorgt die CDU, hat jede Milchkanne ihre eigene smarte On-Demand-Station zur Verfügung, an der man sich frische Lieferboten liefern lassen kann. Zugleich gerät das Strömen in die Innenstadt zum Daseinszweck schlechthin. Aber wenn etwa Reiner Haseloff den Restaurantbesuch zum Grundrecht erklärt, wo bleiben dann die Sorgen und Nöte der kleinen Online-Start-up-Leute? Wovon sollen sie ihre Gewinnrunden abmähen? Weiß die Köchin im Schnitzelparadies, wo der „Gorillas“-Lieferant die Bestellung ablegt, aus der sie mein Essen kochen soll?
Die Politik hat auf diese Fragen keine Antworten. Liegt es an der deutschen Bürokratie? Am Föderalismus? An der älteren Generation? An der jungen? Niemand weiß es.
„Faster than you“ lautet der Slogan von „Gorillas“. Heißt im Umkehrschluss: Ich komme gar nicht hinterher. Große Datenfirmen halten mir eine hipdesignte Smoothie-Möhre vor die Fresse, aber haben mich längst abgehängt. Die Kosten tragen künftige Generationen; aber, nun ja, gevögelt wird auch immer weniger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity