Lieber 42 Kilometer als 30 Jahre: Alles ist Marathon

Der Kampf gegen Corona, Klimawandel oder Artensterben – jeweils ein Langstreckenlauf. Schön wär´s, wenn sich die Welt mit Training retten ließe.

Jogger vor Sonnenuntergang.

„Corona-Jogger“, sagt meine Tochter, als wir uns auf der Wiese vom Laufen erholen Foto: Christoph Soeder/dpa

Da kommt der füllige Schnaufer mit dem neongelben Stirnband; da traben die beiden Schleicher, die den ganzen Uferweg blockieren; da taumelt die Helene-Fischer-Gestylte atemlos durch die Nacht. „Corona-Jogger“, sagt meine Tochter, als wir uns auf der Wiese vom Laufen erholen. Es ist warm, man trägt kurz, und wer keinen Hund hat, muss eben rennen, wenn er an die Luft will.

Der Kampf gegen Corona ist jetzt ja auch ein Marathon, sagen die Verteidigungsministerin, der Ministerpräsident von Brandenburg und viele andere. Alles ist heute ein Langstreckenlauf, und wir sind immer erst am Anfang: Gegen Corona kämpfen, die Artenvielfalt retten, das Klima schützen, das Abitur machen, einen Flughafen in Berlin bauen.

Es gibt kaum eine Sonntagsrede zu diesen Themen ohne den Hinweis auf eine lange, harte Anstrengung (die im Original 490 vor Christus in Griechenland tödlich endete, aber das verschweigen wir mal lieber).

Beim Joggen ist der Weg das Ziel. Beim Klima nicht.

Was dem Bayer das Oktoberfest, ist dem Jogger die Langstrecke: Höhepunkt des Jahres, laute Musik, Saufen bis zur Erschöpfung, froh sein, wenn man es überlebt hat. Und jetzt haben sie nicht nur das Oktoberfest in München, sondern auch das Septemberfest in Berlin abgesagt. Nix mit Hauptstadt-Marathon 2020.

Ich wäre ja froh, wenn ein CO2-freies Deutschland wirklich bloß ein Marathon wäre. Dann könnte man es nämlich gut schaffen. Wir bräuchten nur langen Atem und starken Willen. Am Anfang tut es weh, dann wird es viel besser (zum Schluss tut es auch noch mal richtig weh, aber auch das verschweigen wir lieber). Der Weg ist nicht schwer zu finden, und mit guten Begleitern geht es gleich viel besser. Allerdings: Wenn man nicht trainiert ist, kann es gefährlich werden.

Der große Unterschied zwischen 42 Kilometern und 30 Jahren bis zur CO2-Freiheit: Beim Laufen ist der Weg das Ziel. Beim Klima- und Artenschutz zählt nur das Ergebnis. Egal, wie gut wir uns unterwegs fühlen – wenn am Ende 3 Grad plus und tote Meere rauskommen, haben wir verloren.

Für uns Läufer ist es also nicht so schlimm, wenn der Berlin-Marathon entfällt. Das Wichtige und das Schöne sind ohnehin die langen Stunden des Trainings im Wald.

Bei der Rettung der Welt läuft es andersherum. Alle preisen das Ziel, aber keiner will wirklich trainieren: ab sofort kein Fleisch mehr, nur noch Nudeln? In den Urlaub laufen, statt zu fliegen? Den Energieverbrauch runterfahren? Ach schau mal, es regnet, wie schade! Vielleicht fangen wir doch erst morgen mit der CO2-Nulldiät an. Oder übermorgen.

Da helfen nur eiserne Prinzipien. Oder gar keine. Natürlich ist Doping ein Verbrechen. Aber ehrlich gesagt: Energiewende auf EPO, Solarindustrie auf Speed und Windkraft auf Anabolika – ich würde beide Augen zudrücken.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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